Donnerstags ist Jakob-Tag

ENGAGEMENT Der 8-jährige Jakob und der 35-jährige Stefan sind nicht Vater und Sohn, sie sind ein Tandem. Die beiden haben sich über „biffy“ kennengelernt. Das Patenschaftsprojekt vermittelt seit 15 Jahren Paten an Kinder zur gemeinsamen Freizeitgestaltung

■ Das Patenschaftsprogramm ermöglicht die individuelle Förderung eines Kindes durch gemeinsame Freizeitaktivitäten. Mitmachen können Kinder ab dem Grundschulalter und verlässliche Erwachsene aus ganz Berlin, die sich engagieren wollen, Verantwortung übernehmen und einem Kind regelmäßig Zeit schenken wollen: Patenkind und Patin/Pate treffen sich wöchentlich für ein paar Stunden.

■ 2001 wurde das erste Paten-Tandem zusammengeführt. Bis heute wurden über 900 Patenschaften vermittelt. Davon laufen aktuell etwa 230. Bei dem Projekt kommen Menschen aus allen Schichten, unterschiedlichen Milieus und Kulturen zusammen.

■ Weitere Informationen zum Projekt unter biffy-berlin.de. (fal)

VON NINA APIN

Im Elefantenhaus des Zoos. Gerade hat sich der Jungelefant einen Haufen Stroh über den Rücken gepustet und schwenkt übermütig den Rüssel in Richtung Zuschauer. Ein paar Kinder kreischen, aber Jakob hat genug von dem Elefanten. Er will jetzt weiter, zerrt an der Hand seines Begleiters. „Komm, los! Ich will zu den anderen Elefanten und noch ’ne Waffel!“, befielt der groß gewachsene Junge. Stefan lächelt gutmütig, reicht dem Kind noch eine Reiswaffel, dann setzen sich die beiden in Bewegung.

Der 8-jährige Jakob und der 35-jährige Stefan sind nicht Vater und Sohn, sie sind ein Tandem. Seit drei Jahren treffen sie sich jede Woche für ein paar Stunden, zum Schwimmen, Eislaufen, Spielen und Blödeln. „Donnerstags ist bei mir Jakob-Tag, und manchmal auch am Wochenende“, sagt Stefan, der selbst keine Kinder hat und als Lehrer in Neukölln arbeitet. „In der Schule gebe ich meine Schüler nach drei Jahren ab. Ich finde es schön, ein Kind länger in seiner Entwicklung begleiten zu können.“

Der Pate gehört inzwischen fest zu Jakobs Familie, man feiert Weihnachten zusammen, unternimmt Ausflüge. Aus prekären Verhältnissen kommt Jakob nicht, auch sein Sozialleben ist ziemlich reich für einen Achtjährigen: Er trainiert im Schwimmverein, singt im Kinderchor und zeichnet. Trotzdem: Der Kontakt zum leiblichen Vater fehlt. Die Mutter ist alleinerziehend, arbeitet Vollzeit, hat wenig Verwandte in der Stadt. Der Pate Stefan ist für sie Teil eines sozialen Netzwerks, das sie sich in Berlin geschaffen hat.

Fürsorgliche Netzwerke schaffen und einen Austausch zwischen Generationen und Schichten – um dieses Ziel zu erreichen, hat sich vor 15 Jahren das Projekt „biffy“ gegründet, Berlins ältestes Patenprojekt. biffy steht für „big friends for youngsters“. Vorbild war das US-amerikanische Mentoringprojekt „Big Brothers, Big Sisters“. Zumindest zu Anfang. Doch der Berliner Ableger, eines von sechs Modellprojekten in Deutschland, ging schnell eigene Wege, wie Koordinatorin Andrea Brandt in den Geschäftsräumen von biffy e. V. in der Kreuzberger Dieffenbachstraße erzählt. „Mehr als die Hälfte unserer Paten sind Männer, viele davon homosexuell. Für die Amerikaner war das ein Unding“, sagt die 51-Jährige.

Viele Alleinerziehende und viele Kinderlose in Berlin

Für die Berliner aber war es Teil des besonderen Profils der Stadt: Auf der einen Seite viele zugezogene Alleinerziehende ohne familiäres Netzwerk. Auf der anderen Männer (und Frauen), denen das Elternsein versagt bleibt. biffy trennte sich von der US-amerikanischen Mutterorganisation und machte auf eigene Faust weiter. Zwei halbe Stellen gibt es; Vorstand und Geschäftsführung arbeiten ehrenamtlich. Die Räume teilt sich der Verein mit der Freiwilligenagentur Kreuzberg-Friedrichshain, die ebenfalls von Andrea Brandt geleitet wird.

„Mehr als 230 Tandems haben wir zurzeit, 40 Prozent davon bestehen seit drei Jahren und länger“, sagt Pressesprecher Bernd Schüler, der ebenfalls an dem langen Tisch Platz genommen hat, an dem regelmäßige Pasta-Abende für die Paten stattfinden.

Schüler selbst hat bereits seit elf Jahren ein Patenkind in Prenzlauer Berg. Der Junge ist schwerbehindert, hatte Probleme in der Schule. Auch die Patenschaft sei nicht immer einfach verlaufen, erzählt Schüler. „Bei meinem Patenkind hatte sich zeitweise viel Frust aufgebaut, den konnte es bei mir loswerden. In seiner Pubertät sahen wir uns nicht mehr so häufig. Aber jetzt, seit er eine Ausbildung macht, bin ich wieder mit Rat und Tat gefragt.“

Mindestens einmal die Woche für ein paar Stunden müssen sich die Paten schon Zeit nehmen für die Kinder, die bei Beginn der Patenschaft sieben bis neun Jahre alt sind. Und nicht gleich hinschmeißen, wenn es mal knirscht. Neben den alltäglichen Kind-Erwachsenen-Konflikten, die es in jeder Familie gibt, entstehen besonders durch unrealistische Erwartungen der Eltern Konflikte, die die biffy-Mitarbeiter dann in Einzelberatungen vor Ort zu lösen versuchen. „Die Paten sind kein kostenloser Hol-und-bring-Dienst, auch keine Hausaufgabenhilfe. Wir sehen sie auch nicht als Geldgeber“, stellt Andrea Brandt klar.

Anders als andere Mentoringprojekte, die Kindern bei Schulproblemen helfen oder sie in der Berufswahl unterstützen sollen, ist biffy ein reines Freizeitprojekt. Wesensverwandt fühlt man sich eher mit den Großelterndiensten, die sich in ländlichen Regionen zunehmender Beliebtheit erfreuen. Nur dass die Paten mit 30 bis 50 Jahren deutlich jünger sind.

Mittlerweile gibt es allein in Berlin rund 30 Patenschaftsprojekte, die ganz ähnlich arbeiten; viele davon hat biffy bei der Gründung beraten. Die Konkurrenz um Freiwillige fürchtet man nicht: „Es gibt genug Freiwillige, und noch mehr wartende Kinder“, sagt Brandt. Momentan warten 30 Mädchen und 80 Jungen auf einen Paten. Nur mit den Spenden-und Projektgeldern sei es nicht mehr so üppig bestellt. Eine dauerhafte Finanzierung hat biffy nicht. Zwischen Projektförderungen gibt es Phasen, in denen das Projekt hauptsächlich durch ehrenamtliches Engagement überlebt.

Wenn es gut geht, laufen die Patenschaften irgendwann von selbst. So wie bei Stefan und Jakob. Seit die beiden sich bei einer „tea time“ – so heißen die unverbindlichen Kennenlerntreffen mit den Familien –, kennengelernt haben, haben sie nie eine Beratung in Anspruch nehmen müssen. Nur zu den Patentreffen geht Stefan gerne. Und neulich spendierte ihnen biffy Karten für einen Berlinale-Kinderfilm. Wie war’s? „Merkwürdig“, sagt Jakob. „Wir haben durchgehalten“, formuliert es Stefan diplomatischer.

Die mit dem Paten verbrachte Zeit soll für Kinder ein Freiraum sein, wo sie sein können, wie sie sind. Das gemeinsame Erleben, der exklusive Kontakt zu „ihrem“ Erwachsenen soll im Vordergrund stehen. Deshalb fordert biffy Exklusivität ein: Geschwister und Familie des Kindes sollen nach Möglichkeit außen vor bleiben bei der Patenschaft.

Mehr als die Hälfte der biffy-Paten sind Männer, viele davon homosexuell

biffy setzt auf Austausch, Gespräche, klare Regeln

Das sei nicht immer einfach, meint Schüler: Eifersucht von Geschwistern spiele durchaus eine Rolle, manchmal sei ein Elternteil auch misstrauisch. Besonders getrennt lebende Väter aus anderen Kulturen hätten Misstrauen gegen den vermeintlichen Ersatzvater.

biffy setzt auf Austausch, Gespräche und klare Regeln: Die Paten müssen ein erweitertes Führungszeugnis mitbringen; der Verein überprüft, wie wohl sich das Kind fühlt. Die Kontrolle dient auch der Prävention: Netzwerke wie biffy sind – wie alle anderen Projekte, in denen Freiwillige auf Kinder treffen – potenziell gefährdet durch Pädosexuelle, die Kontakt mit Kindern suchen. „Wir hatten diese Thematik von Anfang an im Blick“, betont Brandt. Letztes Jahr veranstaltete biffy eine Fachtagung zum Thema „Männer als Paten für Kinder“. Die Überschrift eines Vortrags: „Zwischen Verdacht und Verantwortung“. Er ging der Frage nach, wie sich mit den Risiken umgehen lässt, ohne in Hysterie zu verfallen.

In 15 Jahren Patenschaftsvermittlung gab es zwei Fälle von Grenzverletzungen. Der Verein reagierte schnell. Um sicherzugehen, dass Männer mit unlauteren Absichten nicht weiterziehen, hat biffy gemeinsam mit anderen Projekten, die im Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften organisiert sind, Kinderschutzmaßnahmen vereinbart.

Wie aber geht man mit dem Misstrauen gegen Männer um, die sich in ihrer Freizeit um Kinder kümmern, in einer Zeit, in der ständig ein Missbrauchsfall nach dem anderen öffentlich wird? Schließlich hören die Patenschaftsvermittler immer wieder von Männern, dass sie sich ja gerne als Pate engagieren wollten – aber das Risiko, zu Unrecht verdächtigt zu werden … „Ein hilfreiches Vorgehen, so haben uns auch Experten gesagt, ist, das Thema Grenzüberschreitungen allgemein anzusprechen und nicht auf den sexuellen Missbrauch zu reduzieren. Jedes übergriffige Verhalten muss wahrgenommen und thematisiert werden“, sagt Schüler. Im Normalfall aber, betont er, seien die Paten eher Pioniere einer fürsorglichen Männlichkeit – ein neues gesellschaftliches Leitbild, das in Patenschaftsprojekten wohl besser gedeiht als in der durchschnittlichen bundesdeutschen Kernfamilie.

Im Zoo sind Jakob und Stefan inzwischen bei den Affen angekommen. „Sag mal“, fragt Stefan ein wenig unsicher sein Patenkind, „was bin ich eigentlich für dich – Bruder, Onkel, Ersatzvater?“ „Nö“, tönt es selbstbewusst von einer Tierstatue herunter. „Du bist einfach Stefan. Und gehörst zur Familie.“