Exil im doppelten Sinne

NATIVES Mit überwältigender Melancholie folgt Kent Mackenzie in „The Exiles“ drei Figuren der indigenen Bevölkerung durch die Nächte von L. A.

Der Film ist ein Gründungsdokument der vielen Identitätsdiskurse, die das politische Leben in den letzten Jahrzehnten geprägt haben

VON BERT REBHANDL

Es gab eine Zeit, da gehörte den eingeborenen Amerikanern das Land. Dann kamen die Europäer und nahmen den ganzen nordamerikanischen Kontinent in Besitz, „from the frantic Atlantic to the terrific Pacific“, wie an einer Stelle von Kent Mackenzies Film „The Exiles“ ein Radiomoderator sagt. Er spricht davon, dass die Vereinigten Staaten ein zusammenhängendes Ganzes sind, in dem Männer wie er das Sagen haben: optimistische, rechtschaffene Weiße, die an die Marktwirtschaft glauben. Dazwischen gibt es auch ein paar Reservate für die „Native Americans“. Doch die, von denen in „The Exiles“ erzählt wird, sind eben: im Exil. Sie leben fernab der Traditionen in Los Angeles, und als einer von ihnen, ein dicklicher Mann namens Homer vom Stamm der Hualapai, einen Brief bekommt, dem ein Foto seiner Eltern beiliegt, wird er ganz traurig. Anscheinend wird ihm bewusst, dass etwas mit seinem Leben nicht stimmt.

Dass „The Exiles“ in dem Berlinale-Programm NATIVe – Indigenous Cinema enthalten ist, versteht sich weitgehend von selbst. Es handelt sich bei diesem 1961 veröffentlichten Schwarzweißfilm um ein Gründungsdokument der vielen Identitätsdiskurse, die das politische Leben in den USA in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Doch anders als der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe gelang es den „Native Americans“ nie richtig, eine Bürgerrechtsbewegung auf die Beine zu bringen. Sie sind eben im doppelten Sinne im Exil, ortlos auf ihrem eigenen Territorium, dazu vergleichsweise gering an Zahl, angewiesen auf symbolische Gesten eher als auf starke Vertretung in den Zentren der Macht.

Mackenzie, Sohn eines Journalisten und Schüler des linken Filmprofessors Andries Deinum in Los Angeles in den 1950er-Jahren, beginnt seinen Film mit den kanonischen Indianer-Fotografien von Edward S. Curtis, aus deren Überblendungen schließlich das Bild von Yvonne hervorgeht, einer Frau vom Stamm der Apachen. Sie ist eine der drei Hauptfiguren in „The Exiles“, eine schwangere Frau, die allein durch die Nacht streift und deren innerer Monolog zwischen Wohlstandshoffnungen und Verzweiflung hin und her schwankt. In einer besonders starken Szene sehen wir sie, wie sie im Kino sitzt; das Licht geht an, „it’s intermission time“, Zeit für eine Werbeunterbrechung. Nicht einmal die Traumzeit des Kinos ist mehr ungestört.

Mackenzie drehte mit 16-mm-Material und synchronisierte die gesamte Tonspur in der Postproduktion; dabei zeigte er einen bemerkenswerten Sinn für die Collage popkultureller Momente (er achtet auf Werbung genauso wie auf die Musik der Zeit, von Fats Domino bis zu romantischen Schnulzen, alles aus der Jukebox). Neben Yvonne folgt er zwei weiteren Figuren durch die Nacht: Homer, der Vater von Yvonnes Kind, lässt sich treiben, er sitzt manchmal einfach allein an einem Tisch und trinkt Bier, dann wieder spielt er Karten, so richtig klug wird niemand aus ihm. Tommy hingegen ist ein Aufreißer, er möchte alle Frauen gleich auf ein „date“ ausführen, muss aber schon früh am Abend anschreiben lassen. So vergeht die Nacht, bis alle Lokale schließen und die „Natives“ noch ein wenig von der Ungebundenheit zelebrieren können, die gemeinhin mit ihrem traditionellen Leben assoziiert wird. Aber auch in diesen Schlussszenen vergeht die überwältigende Melancholie von „The Exiles“ nicht.

Aus heutiger Sicht müsste sie eigentlich noch stärker sein, denn Mackenzies Film ist auch das Dokument eines untergegangenen Teils von Los Angeles: die Gegend um Bunker Hill, in der hauptsächlich gedreht wurde, existiert so nicht mehr. Und beinahe wäre auch der Film in Vergessenheit geraten, hätte nicht Thom Andersen für „Los Angeles Plays Itself“ (2003) wichtige Passagen wieder zugänglich gemacht. Inzwischen wurde „The Exiles“ sorgfältig restauriert und ist längst als ein Meilenstein des unabhängigen amerikanischen Kinos anerkannt, in einer Reihe mit „Shadows“ von John Cassavetes oder „Killer of Sheep“ von Charles Burnett.

■ „The Exiles“: 15. 2. um 12 Uhr im Haus der Berliner Festspiele, 17. 2. um 17 Uhr im HKW