Der geistige Vater des Film-Pathos

FILMMUSIK Seit Erfindung des Kinos leihen sich Regisseure gern Richard Wagners pathetische Musik – das Zeughaus zeigt die besten Anwendungen in einer Filmreihe

VON THOMAS GROH

Francis Ford Coppola ließ 1979 in seinem Antikriegsfilm „Apocalypse Now“ vom „Ritt der Walküre“ aufgepeitschte US-Soldaten ein vietnamesisches Dorf angreifen. Nicht erst seitdem weiß das Kino um die Kriegsrelevanz von Wagners Musik. Doch während Coppola damit die Hybris des mordlüsternen Kriegers kenntlich machte, bediente sich Regisseur Karl Ritter 1941 für seinen lederknarzigen Nazi-Propagandafilm „Stukas“ noch gänzlich ungebrochen in Wagners Werk: Während die meiste Zeit zackig-kernige Wehrmachtspiloten Befehle bellen oder bellend bestätigen, muss ein im Trübsinn versumpfter Wehrmachtsbursche erst von einer rührselig besorgten Krankenschwester nach Bayreuth auf den Grünen Hügel zur Opernkur verfrachtet werden, um sich dort an der halluzinogenen „Götterdämmerung“ so lange zu berauschen, bis die Kriegstauglichkeit wieder hergestellt ist.

Um in der heute beginnenden, um ein Symposium und eine Buchveröffentlichung ergänzten Filmreihe im Zeughauskino über das Verhältnis zwischen Wagner und dem Kino Zeuge dieser Ergriffenheit zu werden, musste das Kino Wagners Anordnung zur Überwältigung der Sinne freilich ein gut Stück weit verraten: Während dem Soldat schon aus filmtechnischen Gründen im taghellen Saal der Wille zur jauchzenden Aufopferung ins Gesicht steigt, war Wagners Opernhaus – Novum der Theatergeschichte – nachtschwarz abgedunkelt. Ein Akt der Emanzipation der Kunst, die den im Saal versammelten Adel samt seinen Repräsentationswünschen buchstäblich auf seinen Platz verwies und das Publikum qua Kanalisation seines Sinnapparats zur selbstvergessenen Berauschung regelrecht zwang. Wagner ist damit geistiger Vater nicht nur der Großraumdiscos mit ihren Lightshows, deren grüne Laser Harry Kupfer 1988 in seiner „Ring“-Inszenierung auf die Zuschauer richtete, sondern insbesondere auch des Kinos, das dem Komponisten weit mehr verdankt als bloß wuchtige „Star Wars“- oder „Herr der Ringe“-Soundtracks eines dem Zuschauerauge entzogenen Orchesters.

Rund einen Monat lang forscht die von Jan Drehmel, Kristina Jaspers und Steffen Vogt mit erfreulich ausholender Geste kuratierte Reihe diesen Spuren nach, die Wagners Person – etwa in Carl Froelichs Stummfilm-Biopic von 1913 – und Werk im Kino hinterlassen hat.

„Ein Kino der Dekadenz, des verschwenderischen Bombasts“ macht das begleitende Symposium dabei schon im Titel aus: Zum „Tannhäuser“ und zu „Tristan und Isolde“ zelebriert etwa Lars von Triers in „Breaking the Waves“ (25. 5.) und „Melancholia“ (11. 5.) den melodramatischen Exzess – in Letzterem lässt der Regisseur im Schmelz höchster Ergriffenheit eine nackt ans Wasser drapierte, nachtsüchtige Kirsten Dunst einen mysteriösen Planeten anbeten, der sich straff auf Kollisionskurs mit der Erde befindet: Cine-Schönheit des Wagner’schen Weltenbrands.

Eine Welt in Flammen zeigt auch Werner Herzog in seinem umstrittenen, ekstatisch kargen Essayfilm „Lektionen in Finsternis“ (26. 4.): Elegisch kreist die Kamera hier über die brennenden Ölfelder Kuwaits nach dem Zweiten Golfkrieg, während Herzog sich im Voice-over als Reisender zu fernen Planeten ausgibt, der von dort fremdartige, in Wagner- und Mahlerkompositionen gebettete Bilder eines apokalyptischen Krieges nach Hause bringt. Dem seinerzeitigen Berlinalepublikum war so viel triumphales Wagner-Pathos zu den Bildern einer historisch noch nahezu gegenwärtigen Katastrophe deutlich zuviel: „Ästhetisierung des Grauens“ warf man dem fortan hierzulande auf Jahre verfemten Regisseur vor.

Etwas abgefedert wird Werner Herzogs düstere Schwere durch zwei den Film begleitende, abstrakte Werbefilme aus den 1930er Jahren der beiden Experimentalfilmemacher Wolfgang Kaskeline und Oskar Fischinger. Zu deren verspielten, lebensfreudig pulsierenden Lichtgedichten in sattem Blau und Rot stellt Wagner den aufs herrlichste vertröteten Soundtrack: Man kann also auch von Zurichtungen gänzlich befreit und menschlich albern im Kino mit Richard Wagner träumen. Und entspannt stellt man denn auch fest, dass die gestählten Wagner-Krieger aus „Apocalypse Now“ und „Stukas“ jeweils auf der Verliererseite kämpften.

■ Wagner im Kino, 25. 4.–31. 5. im Zeughauskino, Unter den Linden 2, Programm und weitere Informationen unter www.wagner-kino.de