Angriffe auf die übrige Zeit

GRUSEL Beim Fantasy Filmfest erscheinen auffällig viele Gespenster der Vergangenheit – jenseits des üblichen Horror-Personals

„Guest“ ist eine fulminante Exkursion in die Geschichte des Thrillerkinos

VON THOMAS GROH

Der Angriff der Vergangenheit auf die übrige Zeit – was Poptheoretiker wie Simon Reynolds und Mark Fisher mit ihren Essays über Retromania und Hauntologie beschreiben, hat im Horrorgenre mit seinen geisterhaften Erscheinungen und Vampir-Adligen stets seinen Platz gehabt. Im diesjährigen Frühlings-Intermezzo des für solche Filmkost generalzuständigen Fantasy Filmfests, das seinen eigentlichen Auftritt im Hochsommer begeht, suchen einen die Gespenster der Vergangenheit besonders auffällig oft heim – und das auch ganz jenseits des üblichen Horror-Personals.

Etwa in Adam Wingards fulminantem, in satten Primärfarben schwelgendem Thriller „The Guest“, in dem sich ein nicht nur unheimlich gut aussehender, sondern mit seiner respektvollen Art auch unheimlich taktierender Afghanistanveteran (Dan Stevens) bei einer Familie einnistet, die ihren Sohn in ebendiesem Feldzug der USA verloren hat, stehen nicht nur die jüngeren, mit lustvollen Spekulationen aus dem Fundus des Paranoiakinos ausgeschmückten Traumata auf der Tagesordnung, die Clint Eastwood mit „American Sniper“ mit patriotischer Weihestimmung weggewischt hat. Es ist auch das Genrekino der 80er Jahre, das hier abseits smarter, aber leerer Zitatkonvolute behutsam aufgehoben und aktualisiert wird.

Wenn der Veteran sich mit roher Gewalt zum Beschützer seiner Wahlfamilie erhebt, um sich dann auf Autopilot gegen diese zu wenden, läuft dazu ein zwischen Tangerine Dream und John Carpenter changierender Soundtrack des für solche musikalischen Zeitreisen gefeierten Komponisten Steve Moore. Bereits mit seinem interessant neben der Spur liegenden Slasher „You’re Next“ konnte sich Wingard als einer der vielversprechendsten Regisseure im Genrefilm-Nachwuchs positionieren: Mit diesem souveränen, zum Ende großartig in eine Reminiszenz an Orson Welles’ Showdown aus „Die Lady von Shanghai“ kippenden „The Guest“ gelingt eine weitere interessante Exkursion in die Geschichte des Thrillerkinos – namentlich des Lone-Wolf-Neo-Noirs und Veteranenactionfilms. Dabei zielt er nicht bloß aufs nostalgische Pastiche, begreift das Material der Filmgeschichte tatsächlich als Fundus liegengebliebener Fäden für eine Fortschreibung. Toll.

Auch der deutsche Episodenfilm „German Angst“ bemüht sich in mehrerlei Hinsicht um den Wiederaufgriff jäh abgebrochener Traditionslinien: Einst in Deutschland mit „Caligari“ und „Nosferatu“ entscheidend geprägt, machten die Nazis dem Horrorkino einst den Garaus. Um den kärglichen Rest kümmerte sich ein übereifriger Jugendschutz. Seitdem haben Horrorfilme aus Deutschland Seltenheitswert. In drei Berliner Geschichten schlagen die drei Regisseure Jörg Buttgereit, Michal Kosakowski und Andreas Marschall nun eine Brücke: Das klaustrophobische Grauen einer Missbrauchsgeschichte hinter zugezogenen Gardinen, der geisterhafte Spuk der Kontinuität des braunen Terrors und die im Umweg über den italienischen Horrorfilm erkundeten Schattenwelten eines dekadenten Privatclubs rücken das Berlin der Jetzt-Zeit ins diffus Unheimliche. Neben der im deutschen Kino selten gesehenen Freude am Genre und dessen Exzess bietet vor allem Jörg Buttgereits Kino-Rückkehr Anlass zur Freude: Sein letzter Kinofilm „Schramm“ ist immerhin auch schon über 20 Jahre her. Sein Beitrag „Final Girl“ erweist sich dabei in seiner fast schon an die „Berliner Schule“ erinnernden formalen Konzentration als exquisites Kammerstück, das angenehm böse unter die Haut geht.

Dass Ana Lily Amirpours sichtlich vom spröden Schwarzweiß-Indiekino der 90er Jahre heimgesuchter, als Festivalgeheimtipp lancierter Film „A Girl Walks Home Alone At Night“, ein amerikanischer Vampir-Western mit Popkultur-Zierrat, der vorgibt, ein Film aus dem Iran zu sein, sich schlussendlich als zwar exzellent fotografierte, aber künstlich langgezogene und inhaltlich ziemlich leere Stilübung erweist, ist angesichts solcher Leckerbissen denn auch rasch verziehen.

■ Fantasy Filmfest Berlin, Cinestar Sony Center , 21. – 22. März, www.fantasyfilmfest.com