Offene Seelenlandschaften

KINOGESCHICHTE Filmische Naturdarstellungen prägen unsere Seherfahrungen. Die Reihe „Land in Sicht“ im Kino Arsenal ist ein Ausflug in diese Bildwelten

Die Filme sind flüchtige Dramen der Menschen inmitten grandioser Kulissen

VON CLAUDIA LENSSEN

„Magical History Tour“ nennt das Arsenal Kino seine immer wieder originell und kenntnisreich variierten Programmreihen, die Schätze der Filmgeschichte präsentieren. Ein Programm zum Thema Landschaften im Film ermöglicht nun mit 13 Spiel- und Dokumentarfilmen eine virtuelle Weltreise in Gegenden von archaischer Naturschönheit, deren scheinbar zeitlose Beständigkeit den flüchtigen Dramen der Menschen inmitten grandioser Kulissen sublime oder wuchtige Größe verleiht. Dass auch filmische Landschaftsbilder immer kulturelle Konstrukte sind, in denen sich die Seelenlandschaften der westlichen Kunstgeschichte und die mythischen Narrative anderer Kulturen überblenden und unsere Seherwartungen prägen, reizt Filmemacher im Gegenzug dazu, der Weite, Offenheit und – wenn noch vorhanden – Unberührtheit der Landschaften ein Denkmal zu setzen. Ganz ohne den Beigeschmack trockener Lektionen oder geschwurbelter Theorien bietet das Programm Passagen durch die gegensätzlichsten Naturszenerien, Geschichten und atmosphärischen Stimmungen.

„Sogobi“ (2002) ein Film aus einer Trilogie des amerikanischen Minimalisten James Benning über kalifornische Landschaften, begibt sich in 35 festen Einstellungen von gleichmäßiger Länge in Naturreservate und registriert dort Bilder von Salzmulden, Felsen, Wald – unmittelbare Eindrücke, für Augen und Ohren gleichermaßen intensiv und konzentriert, für die einen meditatives Erlebnis, für die anderen eine Sammlung von Momenten, in denen das Kino zu sich selbst kommt, die „äußere Wirklichkeit errettet“ (Siegfried Kracauer). „Viaggio in Italia“, der letzte Film einer Spielfilmtrilogie, die Roberto Rossellini mit seiner Frau Ingrid Bergman 1956 drehte, bewahrte in ähnlicher Prägnanz, hier in schwarz-weiß, historische Momentaufnahmen der mythischen antiken Landschaft um Neapel, den Vesuv und Capri auf. Ein englisches Paar (Ingrid Bergman und George Sanders) wird sich auf der Reise seiner hinter Floskeln lauernden Ehekrise bewusst und nimmt, gelangweilt voneinander, zerstreuende Einladungen an, um am Ende in einem Bergdorf, inmitten eines Scheidungsstreits in einer Marien-Prozession auseinandergerissen, vielleicht wieder zueinanderzufinden.

Auch „Lust for Life“, Vincente Minellis opulente Biographie der letzten zehn Lebensjahre des Mahlers Vincent van Gogh, feierte 1952 die Stimmung, die Farben und Landschaftsformationen der Mittelmeerregion. In Südfrankreich zerbricht van Goghs Freundschaft zu seinem Malerfreund Paul Gauguin und nicht zuletzt treibt ihn die rauschhafte Wahrnehmung der flirrenden Sommeratmosphäre an den äußersten Rand seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Zu Füßen der steinernen Türme im amerikanischen Monument Valley macht sich der grimmige Cowboy John Wayne in John Fords Western „The Searchers“ (1956) auf die Suche seiner entführten Nichte. Je mehr sich der einsame Wolf in der Weite und gleißenden Helle verliert, desto verzweifelter wirkt sein Durst auf Rache an den Indianern. Die gigantischen Tafelberge dieser Wüste, ikonische Kulisse in vielen von John Fords Western, scheinen den Wunsch der weißen Siedler, hier ihr „Zuhause“ zu reklamieren, als tragische Selbstüberhebung abzuweisen.

Paradiese gaukelt keiner der Filme vor. Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm-Klassiker „Tabu“ (1930) inszeniert zwar die Sinnlichkeit eines Perlenfischerdorfs in der Südsee, noch vor dem Einbruch westlicher Zivilisation, konfrontiert jedoch mit der rigiden Herrschaft archaischer Tabus, die die Heirat des Liebespaars im Zentrum des Films verbietet und die beiden in die Flucht und in den Tod treibt.

Nicht zuletzt die dokumentarischen Landschaftsporträts des Programms kreisen um die Macht der Eingriffe des Menschen in die Landschaft. Schildert Volker Koepp in „Das weite Feld“ und „Kurische Nehrung“ zugewandt heiter, wie die Geschichte die Landschaften Brandenburgs an der Grenze zu Mecklenburg-Vorpommern und an der Ostsee prägt, ist Hannes Langs „Peak – Über allen Gipfeln“ eine stille Abrechnung mit der Indienstnahme der Alpenregion durch den blinden Winterurlaubswahn einer technisierten Tourismusindustrie.

■ Land in Sicht – Landschaften im Film: 1. – 30. 4., Kino Arsenal, www.arsenal-berlin.de