„TATORT“, EHEBRUCH, GIOVANNI DI LORENZO, KÄLBCHENFRÄULEINS
: Sind wir nicht alle von unseren Säften Getriebene?

Liebe taz-Medienredaktion, ich kann die Zeit nicht zurückdrehen – aber ich möchte mit dir schlafen. Ja, da staunste, wa?!? Ich auch.

Nämlich darüber, dass es solche Sätze noch gibt. Wo, willste wissen? Nein, nicht in der Mottenkiste und auch nicht im Reich der Toten. Bei der ARD. (Was, zugegeben, dem Reich der Toten oft nicht ganz fern ist.) Schauspielerin Karoline Eichhorn musste diesen Satz sagen, im Sonntags-„Tatort“, dessen Niveau dem unterirdischen der Robert-Atzorn-Folgen schon ziemlich nahekam. Später dann, nachdem der Geschlechtsverkehr mit Max Ballauf vollzogen und das Bett befleckt war, kam natürlich die Reue. 30 Jahre lang Hausfrau, nach Strich und Faden vom Gatten betrogen, ahnt sie, dass es kein Recht auf Selbstbestimmung gibt: „Ich wollte einmal ausbrechen!“ Ja, das sind Sätze, da wähnen wir Doris Heinze als Stichwortgeberin unter dem Kopfkissen. Mit 9,59 Millionen Zuschauern war diese Folge mit Kamerafahrten à la „Der Kommissar“, Musik aus dem Zonenrandgebiet um 1990 und einem Geschlechterbild von 1892 einer der erfolgreicheren.

Ich habe kurz überlegt, ob ich das schlimm finde, wenn die Menschen, mit denen ich zusammenlebe, so einen schlechten Geschmack haben. Dann aber habe ich gedacht, vielleicht geht es denen wir mir, die waren fasziniert vom Schrecken, dessen Zeuge sie wurden, und konnten sich nicht losreißen? Gefangene der ARD sozusagen.

Da lob ich mir erneut Giovanni di Lorenzo. Dem ist aufgefallen, dass in der DDR bzw. dem, was davon übrig ist, keiner die Zeit liest, sondern lieber Super Illu. Darum hat die Zeit, die dort müde, lustlos und ohne Hoffnung, ergriffen zu werden, am Kiosk liegt, seit November 2009 zwei Sachsen-Seiten. Ob das erfolgreich sein wird, ist fraglich. Schließlich nähert sich Super Illu durch gewagte Worte und gehobene Sprache stetig dem Niveau der jungen, wissenshungrigen Zeit-Leserschaft an, wie ein Artikel über Recycling beweist: „Novum: Sekundärrohstoffe mit Sex-Appeal“ lautet die Überschrift, der Vorspann nimmt sich so aus: „Vorbei die Zeiten, als Jungpioniere mit dem Spruch ‚Haben Sie nicht noch Altpapier, liebe Oma, lieber Opa?‘ auf Beutezug gingen …“ Dieser Artikel allerdings, und da zeigt sich dann doch der Unterschied zur Zeit, steht in der Rubrik „Erotik“.

Auch von ihren Säften getrieben zeigt sich die FAZ, diese Druckerschwärze gewordene Bildungsbürgerkorrektheit. Ihr liegt demnächst das Heftchen The Red Bulletin vom Energy-Drink-Hersteller Red Bull bei, der sich auch als Veranstalter von testosterongeschwängerten Unterhaltungen wie Tauziehwettbewerbe auf der Reeperbahn einen Namen gemacht hat.

Nicht nur dass ich mich frage, ob die FAZ ihre wegsterbenden Oberstudienräte durch jene Leser ersetzen möchte, die Artikel über Recycling in der Rubrik „Erotik“ suchen, nein, ich freue mich auch schon auf die Fotos in der nächsten Gala: Frank Schirrmacher in der VIP-Lounge, sexy Kälbchenfräuleins, die mit seinen Locken spielen. Apropos Locken: Am Montag stand in der taz, dass der Film- und Fernsehregisseur Dieter Wedel noch immer die Glocken hört und nicht müde würde, zu erzählen, er habe es vor 30 Jahren „auf offener Straße“ mit Hannelore Elsner getrieben. Ich würde gern wissen, wie er die rasante Lady rumgekriegt hat. Wahrscheinlich mit einem filmreifen Satz. Immerhin neigt auch er nicht erst nach dem Männerheulsusenstück „Papa und Mama“ zu schweren Verbalgeschossen. Ich nehme an, er sagte: „Ich kann die Straße nicht zurückgehen – ich möchte mit dir schlafen.“

Mit dieser Vermutung zurück nach Berlin!

Hinweis:SILKE BURMESTERberichtet jeden Mittwoch von der MEDIENFRONT. Feldpost? Mail an kriegsreporterin@taz.de