Die Herrscher über Gütersloh

BERTELSMANN Der internationale Mediengigant bestimmt in Gütersloh sogar die Reihenfolge der Sender im Hotelfernsehen. Die eigene Sicht der Dinge zählt viel im Konzern. Damit die auch in die lokale Presse findet, hat die PR-Abteilung für die Journalisten vor Ort eigene Ansprechpartner

Geschichte:

1824 gründet Carl Bertelsmann eine Steindruckerei

1835 kommt der Verlag C. Bertelsmann für christliches Schrifttum hinzu. Der Konzern feiert dieses Datum als offiziellen Geburtstag

1921 Heinrich Mohn (1885–1955) übernimmt die Verlagsführung

1939 größter Buchlieferant der Wehrmacht

1947 Reinhard Mohn (1921–2009) übernimmt den Verlag

1950 Start des Bertelsmann-Leserings, Vorläufer der Buchclubs

Der Konzern heute:

RTL-Group (90,4 Prozent Bertelsmann-Anteil), größte Sender- und TV-Produktionskette Europas; 5,4 Mrd. Euro Umsatz, 12.520 Mitarbeiter weltweit

Avarto (100 Prozent): Druck- und Logistikgeschäft; 4,8 Mrd. Euro Umsatz, 60.323 Mitarbeiter

Random House (100 Prozent), weltgrößter Buchverlag; 1,7 Mrd. Euro Umsatz, 5.432 Mitarbeiter

Gruner + Jahr (74,9 Prozent), größter Zeitschriften- und Magazinverlag Europas; 2,5 Milliarden Euro Umsatz, 13.571 Mitarbeiter

Direct Group (100 Prozent), Medienclubs, Buchhandel, Internet; 1,3 Mrd. Euro Umsatz, 10.087 Mitarbeiter (Stand 2009) (STG)

AUS GÜTERSLOH STEFFEN GRIMBERG

Ostwestfalen an diesem Dienstag: öde Gegend, wahnsinnig heiß. Schon der Bahnhof von Gütersloh verrät: Hier sitzen Weltkonzerne. Das rote Miele-Logo beherrscht die Eingangshalle. An der anschließenden Bahn-Unterführung: der Miele-Schriftzug. Am nächsten Haus: eine Miele-Werbewand. Vom zweiten, ungleich größeren Weltkonzern, dagegen keine Spur. Dabei begeht Bertelsmann diesen Monat den 175. Geburtstag.

Erst letztes Wochenende haben rund 11.000 MitarbeiterInnen von Deutschlands größtem Medien- und Dienstleistungskonzern im Schlosspark sich und ihren Konzern gefeiert. „Für die Party am Schloss ließ der Hausherr, Erbprinz Maximilian, im Park extra Wiesen trockenlegen und Brücken über Gräben und Bäche errichten. Auf dem Vorhof zeigte sich die Vielfalt des Mediengiganten“, schrieb die Regionalzeitung Neue Westfälische. Der einzige Schönheitsfehler: Der Mediengigant feierte nicht in Gütersloh, sondern im benachbarten Rheda. Dort wurde Liz Mohn, seit dem Tod ihres Mannes Reinhard im vergangenen Oktober die starke Frau bei Bertelsmann, geboren. In Gütersloh habe es kein Gelände für so viele Menschen gegeben, heißt es.

Hier, in der Carl-Bertelsmann-Straße, mit dessen Druckerei (1824) und Verlag (1835) alles begann, wehen immerhin ein paar Fahnen mit dem Jubiläumsslogan: „Bertelsmann – eine Zukunfts-Geschichte“. Doch obwohl in Gütersloh nur wenig auf den Konzern hinweist, kommt man an ihm kaum vorbei. Bertelsmann herrscht über die Stadt. Dass die ersten fünf Programmplätze der Fernbedienung im Parkhotel den Sendern der RTL-Familie vorbehalten sind und ausschließlich Zeitungen und Zeitschriften der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr ausliegen, gehört noch zu den amüsanten Kleinigkeiten.

Das Hotel gehört Bertelsmann, und die eigene Sicht der Dinge zählt viel im Konzern. Der Aufwand, der vor allem für die Luft- und Kulturhoheit über Gütersloh betrieben wird, ist groß. Gerade die hier lebenden mehr als 10.000 MitarbeiterInnen sollen vor bösen Einfällen in die heile Bertelsmann-Welt verschont werden. Kritische Presse hat es in den letzten Monaten kaum gegeben, die großen Blätter haben den Geburtstag bislang eher ignoriert. Vielleicht kommt im September, wenn sich Bertelsmann noch mal mit den Größen aus Politik und Wirtschaft in Berlin feiert, noch was.

Wie 2004, als plötzlich die raue Wirklichkeit ins Idyll brach: Die Legende vom Widerstandsverlag, der Bertelsmann im Dritten Reich hatte sein wollen und die über Jahrzehnte in den USA geschäftsfördernd eingesetzt wurde, zerbarst. Das Gegenteil war wahr: Der Verlag war einer der größten Lieferanten von Wehrmacht-Erbauungsliteratur. Thomas Schulers Buch „Die Mohns“ räumte zudem auf mit dem heilen Familienidyll der mächtigen Bertelsmann-Besitzer: Reinhard Mohn, der ethische Unternehmer, hatte seine erste Frau sitzen lassen und seine Geliebte und spätere Ehefrau Liz pro forma zunächst mit einem Verlagsangestellten verheiratet. „Als hätten sie einen Porno in der Hand“, seien viele Leute mit dem Buch durch seinen Laden geschlichen, sagte damals der Gütersloher Buchhändler Folkert Roggenkamp. Der Schock saß tief. Und wirkt bis heute.

Am nächsten Tag ist der Konzern flächendeckend in der Lokalpresse zu finden: In der Neuen Westfälischen (NW) gibt sich Bertelsmann-Stiftungschef Gunter Thielen im Interview auf Seite 3 die Ehre. Die Glocke schreibt auf zwei Seiten über die Bertelsmann-Druck- und Dienstleistungstochter: „Arvato zurück auf Wachstumskurs“.

Überhaupt ist das Engagement für die örtlichen Berichterstatter immens: Sie werden bevorzugt zu Bertelsmann-Terminen mitgenommen, haben einen eigenen Ansprechpartner in der Abteilung Unternehmenskommunikation. „Die Lokalpresse wird mit ins Boot geholt“, sagt ein Insider – und wenn es mal kritisch wird, sorge „Vorfeldarbeit auch dafür, Geschichten im Vorfeld zu unterdrücken“.

Die Beilage der Lokalzeitung zum 175sten stammt zum Gutteil ohnehin aus der Konzern-Pressestelle

Bertelsmann entscheidet eben gern, was wie und wo veröffentlicht wird: Als sich die taz um Nachdruckrechte für Fotos vom Geburtstagstrubel in Rheda bemüht, heißt es, dies sei eine private Feier gewesen und nur die Lokalpresse zugelassen. 11.000 Menschen, dazu mit Liz Mohn, Vorstandschef Hartmut Ostrowski und Top-Act Sasha („selbst ein Mitglied der großen Bertelsmann-Familie“, schrieb das Westfalenblatt) richtige Prominenz: Aber man tut so, als wäre es ein Kaffeekränzchen.

Die NW-Beilage zum 175. Geburtstag stammt sowieso zum Gutteil gleich direkt aus der Konzern-Pressestelle: Viele Texte sind identisch mit der Themenbeilage, die das Unternehmen im Juli dem Fachblatt Journalist beifügen lässt. Dort steht „Konzept/Redaktion Bertelsmann AG, Pressestelle“. In der NW aus Bielefeld, die sich früher durchaus mal einen kritischen Blick auf den Nachbarn aus Gütersloh leistete, steht davon nichts.

Doch wovor hat Bertelsmann eigentlich Angst? Ärger kann jedenfalls auch schon bekommen, wer den kleinen Trick bei der Bilanz-Pressekonferenz bemerkt, mit dem Bertelsmann das schwierige Geschäftsjahr 2009 mit Gewinn vermelden konnte (die taz merkte nichts): Der Konzern hatte sich den Gewinn seiner Cashcow, der RTL-Group, komplett zugeschlagen. Nur gehört die gar nicht vollständig zu Bertelsmann. Zieht man den Gewinnanteil bei RTL, der den Miteigentümern zusteht, ab – bleiben für die Bertelsmann AG plötzlich 82 Millionen Euro Verlust. Im Geschäftsbericht steht’s auch so. Doch als die Neue Zürcher Zeitung im April darüber berichtete, kam Besuch aus Gütersloh: Ein Konzernsprecher reiste extra zum Gespräch nach Zürich, bestätigt die NZZ.

Im heißen Gütersloh scheint die Abendsonne auf den Bertelsmann-Hubschrauberlandeplatz, der am Rand eines künstlichen Sees neben der Konzernzentrale liegt. Die Parkplätze leeren sich. Wer zurück durch die Stadt fährt, kommt bald am Hinweisschild Richtung Miele und Miele-Museum vorbei. Bertelsmann hat kein Museum. An Gütersloh, sagen Gütersloher, sei der Konzern eigentlich gar nicht so interessiert. Und wenn es heiße, Liz Mohn, die Königin von Gütersloh, sei das Quatsch: „Die Königin von Gütersloh ist Karin Miele.“