Eine Kapsel namens Venedig

REISE „Durch die Nacht mit …“ Michael Haneke und Ferdinand von Schirach (0.05 Uhr, Arte)

Wie grässlich Venedig doch sei, betonte Ferdinand von Schirach vor kurzem in der Welt. Deshalb könne man in dieser Stadt auch so gut Bücher schreiben. Und gut Bücher schreiben, das heißt für Schirach vor allem: schnell. Hauptberuflich ist der Mann Strafverteidiger in Berlin, nebenbei verdichtete er zahlreiche Fälle im 2009 erschienenen Erzählband „Verbrechen“, ein im Literaturbetrieb gefeiertes Debüt. „Schuld“, der Nachfolgeband, entstand zum Gutteil in Venedig.

Für die Sendereihe „Durch die Nacht“, die regelmäßig zwei Kulturschaffende durch das urbane Nachtleben einer ausgesuchten Metropole schickt, ist er allen Abneigungen zum Trotz noch einmal hierhergekommen, auf einen Abend mit dem Regisseur Michael Haneke, zuletzt ebenfalls gefeiert für seinen Film „Das weiße Band“.

Die geradezu mechanisch konsequente Beschreibung von seelischen und physischen Grausamkeiten eint beider Werk, hier nun begegnen sich zwei dem entspannten Parlare sehr zugeneigte Künstler, die glücklich verloren im Gespräch miteinander durch altes Europa streifen.

Gut zum Arbeiten findet es auch Olga Neuwirth hier, gesteht die Komponistin beim Abendessen, in die Gesellschaft der Stadt dringe man eh nicht vor. Wenn Haneke und Schirach später mit dem Schauspieler Ulrich Tukur, der hier eine Wohnung besitzt, Wein trinken, wirkt die Szenerie ein wenig wie der Louis-XIV.-Raum in Kubricks „Space Odyssey“: eine verplombte Kapsel, dem Strom der Zeit vollständig entzogen. Das einzige Gespräch mit einem Venezianer – einem für Hanekes und Schirachs Geschmack zu liberalen Psychiater – geht denn auch schief.

Mittlerweile ist es dunkel geworden, die Straße leer, Venedig entschleunigt. „Nachts“, sagt Ferdinand von Schirach abschließend, „ist Venedig doch schön.“ THOMAS GROH