Im Namen des Vaters

DOKU Harlan-Biografie und Familienporträt: „Im Schatten von Jud Süß“ (23.15 Uhr, WDR)

Aus heutiger Sicht ist kaum nachvollziehbar, was 1940 die Faszination von „Jud Süß“ ausmachte. Zu plump, zu theatralisch erscheinen die Szenen, zu simpel ist das Feindbild des jüdischen Geschäftsmanns gezeichnet. Dennoch traf „Jud Süß“, das Meisterstück der NS-Propagandamaschine, wie so viele der Filme des Regisseurs Veit Harlan, den Nerv der Zeit genau.

Doch war Harlan nun ein naiver Künstler, der Goebbels auf den Leim ging? Drehte er aus Angst? War er ein gewissenloser Ästhetiker, der die Chance auf unglaubliche Budgets sah? Oder einfach: ein Antisemit?

Anhand dieser Fragen führt Felix Moeller durch Harlans Leben: seine Ehe mit seiner Stammschauspielerin, der „Reichswasserleiche“ Kristina Söderberg, seine bombastischen Filmproduktionen der Nazizeit, seine berechtigte Stigmatisierung danach. „Im Schatten von Jud Süß“, der passend zum heutigen Kinostart von Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ (s. Seite 15) und einen Tag nach Harlans 111. Geburtstag im WDR läuft, ist ein sachlicher und formal klassischer Dokumentarfilm. Der Hundertminüter nähert sich dem Thema aber mit einem klugen Kniff: Abgesehen von einem Filmwissenschaftler beurteilen ausschließlich die Kinder und Enkel Harlans die Frage nach dessen Rolle.

Mit der Schuld, die Harlan auf den Namen seiner Familie geladen hat, gehen sie sehr unterschiedlich um. Das geht von Harlans Sohn und Kritiker Thomas und seiner Enkelin Jessica Jacoby – Tochter eines Juden –, bis zu Kristian Harlan, für den doch „dein Vater dein Vater ist“, den man nicht öffentlich kritisiert.

Die Erinnerung der Nachkommen widerspricht sich manchmal diametral. Es ist ein weitverzweigter Clan, dessen Vielgestalt mindestens so spannend ist wie die Frage nach Harlans Schuld. Man wäre gerne mal bei einem Familientreffen dabei. Es ginge sicher hoch her.

MICHAEL BRAKE