Der Abtritt des Gründers

JOURNALISTENVEREIN Am Wochenende musste der Gründer und Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Thomas Leif, seinen Hut nehmen – wegen finanzieller Unstimmigkeiten

„Exzessiver Lobbyismus“ und „Kommunikation auf Teufel komm raus“ – dafür haben die vier großen Atomkonzerne den Negativpreis des „Netzwerks Recherche“ „Die verschlossene Auster“ 2011 erhalten. Er wurde am Samstag in Hamburg an RWE, Vattenfall, Eon und EnBW übergeben.

AUS HAMBURG MARTIN KAUL

Ob es nur ein Fehler war oder ein Vergehen, dazu will beim Netzwerk-Recherche-Treffen niemand wirklich etwas sagen. Aus Respekt. Denn es geht um eine heikle Frage: Hat Thomas Leif sich nur verrechnet? Oder hat er auch betrogen?

Fest steht: Weil in den Finanzen des Vereins Netzwerk Recherche gravierende Buchungsfehler offenbar geworden sind, steckt die kritische Journalistenvereinigung seit dem Wochenende in einer Krise. Und: Sie hat ihren wichtigsten Kopf verloren. Ihr Gründer und Vorsitzender, Thomas Leif, Fernsehjournalist und Beiratsmitglied bei Transparency Deutschland, hat am Freitag einen dramatischen Abgang hingelegt.

Auf seiner Jahrestagung in Hamburg wollte der Verein eigentlich sein zehnjähriges Bestehen feiern. Mit Gästen wie Günter Grass, Spiegel-Chef Georg Mascolo und anderen prominenten Köpfen. Mit etlichen Veranstaltungen zur Zukunft der Investigativrecherche und zur Praxis der Pressefreiheit. Doch Feierstimmung kam nicht auf.

Denn einer stand an diesem Wochenende ganz allein: Thomas Leif, der verdiente Gründer, die charismatische Führungsfigur eines Projektes, das in den letzten zehn Jahren zu einer der renommiertesten deutschen Journalistenvereinigungen geworden ist. Viele sagen: Ohne Leifs dominante Dringlichkeit gäbe es davon heute nur einen Bruchteil. Doch im Vorstand des Vereins, in dem namhafte Journalisten wie Investigativreporter Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, Markus Grill vom Spiegel oder WAZ-Recherchechef David Schraven sitzen, war der oft eigensinnige Thomas Leif zuletzt völlig isoliert.

Der Hintergrund: Rund 75.000 Euro könnte der Verein zu Unrecht erhalten haben. Der „Sauberkeitsverein“, wie ihn Hans Leyendecker nennt, – hat er Dreck am Stecken? Darauf deutet einiges hin. Es geht um Zuschüsse zu den Jahrestagungen der letzten vier Jahre, die dem Verein von der Bundeszentrale für Politische Bildung ausbezahlt worden waren – unter der Voraussetzung, dass die Veranstaltungen defizitär gewesen seien. Doch um die Finanzen des Vereins steht es nicht schlecht. Und weil es in den Einnahmerechnungen der Jahrestagungen Ungereimtheiten gibt, liegt die Vermutung nahe: Da wurde etwas armgerechnet, das so arm nicht ist. Der Rechner, das war Thomas Leif. Denn seine Vision, die viele teilten, war: Das Netzwerk sollte eine Stiftung gründen, um die anerkannte Arbeit zu professionalisieren. Dafür brauchte es Geld. Und das könnte Leif etwas zu übereifrig gesammelt haben.

Aufgeflogen war dies bei einer Sitzung Ende Mai. Vorstandsmitglieder wollten detaillierten Einblick in die Finanzen erhalten. Auch die, die eigentlich im Verein für die Finanzen zuständig sind, wie Vorstandsmitglied Tina Groll: „Es war für mich vorher nicht möglich, einen vollumfänglichen Einblick zu erhalten“, sagte sie am Wochenende. Ihr Vorwurf: Leif soll bewusst gemauert haben.

Eine goldene Brücke wollte ihm der Vorstand bauen, ihn ehren – und dann sollte er seinen Hut nehmen. Doch das tat er nicht. Erst nach einem Eklat auf der Mitgliederversammlung, als kurzzeitig zahlreiche Vorstandsmitglieder ihren eigenen Rücktritt erklärten, ließ Leif sich schließlich dazu drängen. Er ging im Groll: Zwischen seinem Rückzug und den Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen bestehe „kein kausaler Zusammenhang“, sagte Leif am Samstag. Und gegenüber der taz betonte er, ein „Rücktritt“ sei das nicht gewesen. „Meine Amtszeit wäre ohnehin ausgelaufen.“ Das stimmt nicht ganz: Die nächsten Wahlen sind im Herbst. Thomas Leif ist zurückgetreten. Oder zurückgetreten worden.

■ Der Autor ist taz-Redakteur und ordentliches Mitglied im Netzwerk Recherche. Er nahm stimmberechtigt an der Mitgliederversammlung teil