Mut und Unmut

RADAU Die „Bild“-Zeitung erhält den renommierten Henri-Nannen-Preis, die „Süddeutsche Zeitung“ verzichtet aus Protest dagegen auf ihre Auszeichnung. Die Jury des Preises steht in der Kritik – und vor einer Reform

AUS HAMBURG FELIX DACHSEL

Wie groß sein Unwille war, zusammen mit der Bild ausgezeichnet zu werden, das drückte Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses noch sehr höflich aus. Erst nach der Preisverleihung – auch vor Kameras – wurde er dann ganz explizit: Die Bild stehe für einen Journalismus, den er ablehne.

Am Freitag wurde der renommierte Henri-Nannen-Preis verliehen – man könnte auch sagen: der ehemals renommierte Henri-Nannen-Preis. Der Verlag Gruner + Jahr und der Stern luden wie jedes Jahr nach Hamburg. Auf den ersten Blick war alles in bester Ordnung: roter Teppich, ein paar Promis und vorzügliches Essen. Doch der Festgesellschaft sollten an diesem Abend noch die Häppchen im Halse stecken bleiben.

Schon wieder wird über den Henri-Nannen-Preis diskutiert, nachdem im vergangenen Jahr einem Redakteur des Spiegels eine Auszeichnung nachträglich aberkannt wurde. Der Ärger begann diesmal jedoch schon vor der Gala. Man stritt über die Kategorie „Investigation“, in der besondere Rechercheleistungen prämiert werden sollen. Die Bild-Redakteure Nikolaus Harbusch und Martin Heidemanns waren für ihre Berichterstattung über die Wulff-Affäre nominiert worden. Die Diskussionen setzten sich in der Jury fort und gingen nach der Verleihung bis in die Nacht: Darf Bild, ganz generell, diesen wichtigen Preis erhalten? Sind die eingereichten Beiträge im Speziellen überhaupt eine besondere Rechercheleistung? Darf jemand wie Martin Heidemanns ausgezeichnet werden?

Der Tagesspiegel veröffentlichte 2004 einen Text, der sich kritisch mit den Methoden des damaligen Unterhaltungschefs der Bild befasste. Und darauf reagierte Heidemanns prompt mit einer Richtigstellung: „Der Text erweckt den Eindruck, dass ich bei meiner Berufsausübung schreie, drohe, erpresse. Das ist falsch. Ich schreie nicht, ich drohe nicht, und ich erpresse auch nicht.“ Über Heidemanns spricht man in der Branche nur hinter vorgehaltener Hand. Und wenn man über ihn schreibt, riskiert man, verklagt zu werden.

So gab es auch Zoff in der zwölfköpfigen Jury, in der neben taz-Chefredakteurin Ines Pohl mit Welt-Chef Jan-Eric Peters auch ein Vertreter des Axel Springer Verlags sitzt. Mehrmals wurde abgestimmt, zuletzt offenbar geheim, mehrmals ergab sich ein Patt. Bis sich die Jury auf einen Kompromiss einigte. Bild sollte prämiert werden, aber nicht allein. Auch die SZ-Redakteure Hans Leyendecker, Klaus Ott und Nicolas Richter sollten in der Kategorie „Investigation“ einen Preis erhalten; sie hatten ein kriminelles Geflecht rund um die Formel 1 enttarnt. Ein fauler Kompromiss nach Meinung vieler Beobachter.

Als Harbusch und Heidemanns am Freitagabend auf die Bühne gerufen wurden, mischte sich im Hamburger Schauspielhaus verhaltener Applaus mit Buhrufen. Die beiden bedankten sich artig. Dann sollte die zweite Hälfte des Preises vergeben werden, an die Redakteure der Süddeutschen. Doch die lehnten ab. Die Auszeichnung der Bild sei ein Kulturbruch, sagte Hans Leyendecker. Dafür gab es Applaus und ein paar erstaunte Gesichter.

Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche forderte am Tag nach der Verleihung, die Jury in Zukunft mit Experten statt mit Chefredakteuren zu besetzen. Damit solle verhindert werden, dass nach „Gefühlslage oder Proporzdenken“ entschieden werde. Sie kritisierte die Arbeit der Juroren scharf. „Die Aufdeckung der Hintergründe um den Privatkredit des Bundespräsidenten Christian Wulff durch die Bild-Zeitung war verdienstvoll und richtig“, so das Netzwerk Recherche. Dennoch sei sie nicht die beste investigative Leistung des vergangenen Jahres gewesen. Eine Veränderung in der Jury gibt es bereits. Geo-Chefredakteur Peter-Mattias Gaede legte am Freitag sein Mandat nieder.

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