Die große Sehnsucht

Dahoam Die ARD-Vorabendserie „München 7“ zeigt ab Mittwoch eine gemütliche Stadt, die es so nicht mehr gibt

„München 7“ steht in der Tradition des bayerischen komischen Volkstheaters

VON AMBROS WAIBEL

Nein, es ist überhaupt nicht wenig, wenn der Exilmünchner zwei Folgen einer für die ARD-Reihe „Heiter bis tödlich“ konzipierten Vorabendserie schaut und ihn dabei die große Sehnsucht überkommt: nach einem Schlendrian-Nachmittag im Biergarten, nach dem Schweinsbraten daheim, überhaupt nach diesem Münchner Gefühl, das man so richtig nur aus der Ferne zu schätzen weiß.

Sentimentalität aber sollte einen immer stutzig machen. Und es ist eben dann auch so, dass Regisseur und Autor Franz Xaver Bogner in der ab Mittwoch auf Sendung gehenden vierten Staffel von „München 7“ eine wunderschöne Stadt zeigt, die es allerdings so schon lange nicht mehr gibt. In den ersten beiden Folgen der neuen Staffel ist die bayerische Landeshauptstadt ein Hort des Gemüts und der Gelassenheit, ein Traumort, in dem die Busse so lang für die Distanz zwischen zwei Haltestellen brauchen, bis Bogner die Episode vom durchgeknallten MVV- Kontrolleur, vom Strizzi und dem Ende seiner Liebe zur rothaarigen Vorstadtschönheit zu Ende erzählt hat. Ganz gemütlich halt.

Mit dem Verlangen nach Realismus also darf man „München 7“ nicht kommen. Und wahrscheinlich ist das Eintauchen in den schmutzigen Alltag eines großstädtischen Polizeireviers ja auch das geringste Bedürfnis von Menschen, die um 17.55 Uhr den Fernseher einschalten, um dann immerhin knapp fünfzig Minuten pro Folge mit Xaver Bartl und Felix Kandler zu verbringen, mit Elfie Pollinger und Thekla Eichenseer.

Andreas Giebel als Bartl ist – um es unmissverständlich zu sagen – ein Ereignis. Was für eine Nervosität dieses Trumm von Mann mit dem pockennarbigen Gesicht und der Guttenberg-Frisur dauernd ausstrahlt! Mag ja sein, dass der Kabarettist Giebel hier einfach sich selbst spielt, aber eine solche souveräne Natürlichkeit sieht man sonst nur in den großen US-Serien. Ihm beinahe ebenbürtig sind Luise Kinseher als Revierleiterin Eichenseer und Monika Gruber als Standlfrau Moni Riemerschmidt – auch sie Kabarettistinnen.

„München 7“ steht also klar in der Tradition des bayerischen komischen Volkstheaters, eines Genre, das sich interessanterweise am frischesten in TV- Serien erhalten hat: von Helmut Dietls „Münchner Geschichten“ (ab 1974) und seinem immer unterschätzten „Der ganz normale Wahnsinn“ (1979) bis zu Bogners 68er Saga „Irgendwie und sowieso“ (1986) und dem „Café Meineid“(1990).

Das eigentliche Vorbild von „München 7“ ist aber natürlich „Polizeiinspektion 1“, von der zwischen 1977 und 1988 über hundert Episoden produziert wurden, mit dem Fassbinder-Schauspieler Walter Sedlmayer als Kommissar Franz Schöninger. Man sieht sehr schön – oder sehr traurig –, wie sich die Welt schon rein sprachlich verändert hat: Bei „Polizeiinspektion 1“ waren noch alle bairische Muttersprachler, obwohl es sich gerade bei den sogenannten Volksschauspielern selbstverständlich um Profis handelte, die auch ihren hochdeutschen Goethe und Schiller auf den großen deutschsprachigen Bühnen sprechen konnten. Bei „München 7“ ist diese Natürlichkeit der Sprache – wie auch bei der grausamen Daily-Bayern-Soap „Dahoam is daoam“, die der Bayerische Rundfunk ausstrahlt – längst dahin.

Was geblieben ist, sind die anderen, Charaktere definierenden Dialekte Bayerns, das Allgäuerische von Jockel Tschiersch als beflissener Polizeikollege Dagobert Schindler und das Fränkische, mit dem in der ersten Folge „Frauenlos“ ein Friseur nervt. Apropos Frauen: Die haben bei „München 7“ durchweg und modern die Hosen an – und sogar eine Christine Neubauer kommt trotz arg limitierter schauspielerischer Mittel stark und sympathisch rüber.

Charme also haben sie, die neuen Folgen von „München 7“. Und das dürfte dem Leben der meisten Vorabendzuschauer etwas hinzufügen, woran sie sich in ihrem deutschen realistischen Alltag eher selten erfreuen können – jedenfalls jenseits der Donau.