TV-Thriller „Alaska Johansson“: Zwischen Traum und Trauma

Sie ist schön, erfolgreich und besessen: Im Fernsehfilm „Alaska Johansson“ sucht eine junge Headhunterin nach einem Phantomkind.

Die Hauptrolle spielt Alina Levshin. Bild: HR

Eine Männerstimme aus dem Off: „Wenn Sie überallhin könnten, überall, wo würden Sie hingehen?“ Eine Frauenstimme aus dem Off: „Ein kaltes Land. Am Ende der Welt. Kurze Sommer, lange Winter.“ Eine von Schnee bedeckte Landschaft. Ein Hundeschlitten. Ein Titel wie von Jack London: „Alaska Johansson“. – Alaska? Ganz falsche Fährte.

Das macht dieser Film gerne. Fährten auslegen. Verwirren. Irritieren. Schon an der Frage, welches Filmgenre hier eigentlich bedient werden soll – Thriller? Melodram? Schocker? Surrealistischer Kunstfilm à la Buñuel? –, ist erst mal zu knabbern.

Zum Beispiel die Nutella-Szene. Wie Alaska Johansson, eine Frau, gespielt von Alina Levshin („Im Angesicht des Verbrechens“, „Kriegerin“), vor sich mehrere Nutella-Gläser, sich die Nusscreme mit den Fingern – ja: reinschmiert. Großaufnahmen, lautes Schmatzen. Groteske Satire à la Marco Ferreri?

Alaska Johansson, schön und erfolgreich, gleichwohl als Headhunterin wie als Geliebte von ihrem Chef gerade abserviert, wohnt am schnieken Frankfurter Westhafen. Teures Domizil, aber sie schläft auf einem Feldbett. Ihr Duschverhalten zeigt eine Frau mit Waschzwang.

Kompromisslosigkeit und Abgründigkeit

Aber das ist nicht alles, was an ihr nicht stimmt. Ein Fahrradschloss. Die Unterwäsche. Röntgenbilder. Besonders beunruhigend: das kleine Mädchen mit der Rassel, mit einem Bettlaken als Gespenst verkleidet, das plötzlich in ihrer Wohnungstür steht und danach immer wieder auftaucht und verschwindet, das Alaska verflucht und dessen Lachen so bedrohlich klingt.

Alaska hält das Mädchen für die Tochter des neuen Nachbarn (Stipe Erceg). Der sagt, er habe keine Tochter. Er verhält sich verdächtig. Alle Figuren in diesem Film verhalten sich merkwürdig. Es geschehen Dinge, für die es keine rationale Erklärung gibt. Der ganze Film ist mit Zeichen, Symbolen, Hinweisen und Andeutungen durchsetzt.

Stilwillen und Kompromisslosigkeit und Abgründigkeit hat Regisseur Achim von Borries auch schon 2004 mit „Was nützt die Liebe in Gedanken“ demonstriert. Daniel Brühl und August Diehl spielten die Gründer eines Selbstmörderclubs. Und nun bedient der Regisseur sich hemmungslos bei klassisch gewordenen Vorbildern wie Stephen King („Christine“), David Lynch („Lost Highway“) oder Roman Polanski („Rosemary’s Baby“) – übrigens auch visuell – und drehte einziemlich undeutsches Stück TV nach einer Buchvorlage von Sascha Arango: Kameramann Bernd Fischer filmte deutlich breiter als 16:9.

Keine Rettung

Den Dreh, mit einer bösen Schlusspointe eine schlüssige Erklärung für die zuvor aufgegebenen Rätsel anzubieten, hat sich von Borries bei M. Night Shyamalan („The Sixth Sense“) abgeguckt. Und so wie John Baxter in „Don’t Look Now“ von der durch das labyrinthische Venedig huschenden kleinen Gestalt im roten Mäntelchen angezogen wird, so ist Alaska Johansson von dem unbekannten Mädchen unter dem Bettlaken besessen. Auch für sie wird es, wenn sie das Gewand und damit das Geheimnis schließlich lüftet, keine Rettung mehr geben.

Sie ist das hilflose Opfer im sorgfältig gewebten Netz von Autor und Regisseur, die ihr und dem Zuschauer die gepflegte Langeweile des herrschenden TV-Idylls zu verhageln trachten. Mit einem Erste-Klasse-Ticket für einen wunderschön bösen Horrortrip.

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