Der taz auf die Füße treten

TAZ-EIGENTÜMER kritisieren den Abdruck des Trittin-Artikels zur Pädophilie eine Woche vor der Bundestagswahl. Die Redaktion verteidigt sich: Die Nachricht sei von großer Relevanz gewesen

VON SEBASTIAN HEISER

„Dazu muss man sich als Zeitung nicht hergeben, etwas zu veröffentlichen, was dann im Wahlkampf so missbraucht wird“, sagt ein verärgerter taz-Genosse. Die taz hatte Ende November ihre Eigentümer eingeladen, um über den meistkritisierten Artikel der letzten Jahre zu diskutieren: Mehr als 1.000 Briefe gab es von unseren Lesern, Dutzende Kündigungen von taz-Genossenschaftsmitgliedern.

Sechs Tage vor der Bundestagswahl hatte die taz einen Text der Politikwissenschaftler Franz Walter und Stephan Klecha gedruckt. Darin schrieben die beiden unter anderem, dass Jürgen Trittin 1981 als Student in Göttingen in einer Wahlbroschüre der örtlichen Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste als presserechtlich Verantwortlicher aufgeführt war und dass in dieser Publikation auch ein Text der Homosexuellen Aktion Göttingen (HAG) abgedruckt war, die darin unter bestimmten Voraussetzungen die Straflosigkeit von sexuellen Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen forderte.

In den folgenden Tagen griffen alle Medien diese Geschichte auf. Die Grünen gerieten deshalb in der Schlussphase des Bundestagswahlkampfs mit der Pädo-Diskussion zusätzlich unter Druck. Und plötzlich war dabei auch ihr Spitzenkandidat Jürgen Trittin im Visier.

Die rund 20 Genossen, die der Einladung der taz gefolgt waren, kritisierten die Redaktion mehrheitlich. Einer sagte: „Ab einem Monat vor der Wahl muss die Redaktion sich fragen, wer mit welchen Interessen etwas skandalisiert. Man muss auch einbeziehen, dass Franz Walter Mitglied der SPD ist – und vielleicht hatte er noch eine Rechnung offen?“ Eine Genossin forderte, die taz müsse den Kampagnen der rechten Presse Eigenes entgegensetzen. Ein anderer meinte: „Ich habe mich damals gefragt: Das ist doch Schnee von gestern, warum wird das heute gedruckt?“

Kritik gab es auch daran, dass die taz das Thema auf die Seite 1 hob und es dort in einer Randspalte anriss: „Ich finde, ihr habt euch korrumpieren lassen! Wäre das über dpa gelaufen, hättet ihr es nicht so groß gebracht!“ Von einer Handvoll Genossen gab es aber ausdrücklich Unterstützung für die Redaktion. Einer sagte: „Wäre die Entscheidung anders ausgefallen, dann wäre ich hier, um der Redaktion so was von auf die Füße zu treten!“

Chefredakteurin Ines Pohl verteidigte den Text. „Es war eine Nachricht von großer Relevanz, dass die offiziell von den Grünen beauftragten Forscher zu diesem Ergebnis kamen.“ Die taz entscheide allein nach journalistischen Kriterien über den Abdruck von Artikeln – und nicht danach, wen man im Wahlkampf unterstützen wolle. „Wir sind ja gerade nicht die Welt, wir sind ja gerade nicht der Focus, wir machen ja gerade keine solchen Kampagnen im Wahlkampf!“

Ein kurzfristiges Angebot

Die Autoren hatten den Text der taz kurzfristig am Wochenende vor der Wahl angeboten. Die Süddeutsche Zeitung hatte den Abdruck zuvor abgelehnt. Eine Stellungnahme zu den Gründen wollte die Süddeutsche nicht abgeben. Die Autoren gaben der taz einen Tag Zeit, um über den Abdruck zu entscheiden, danach hätten sie den Text einem anderen Medium angeboten.

Am Sonntag fragte die Redaktion zunächst Jürgen Trittin nach einer Stellungnahme. Die kam innerhalb einer Stunde: „Franz Walter beschreibt die Sachlage zutreffend.“ Es sei damals das Selbstverständnis der Göttinger Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste gewesen, die Forderungen einzelner Initiativen – in diesem Fall der HAG – eins zu eins zu übernehmen. Trittin: „Diesem falschen Politikverständnis und diesen falschen Forderungen haben wir uns nicht entgegengestellt. So sind viele falsche Forderungen in das grüne Wahlprogramm dieser Zeit gekommen, auch in das Kommunalwahlprogramm in Göttingen. Dies ist auch meine Verantwortung. Und dies sind auch meine Fehler, die ich sehr bedauere.“

taz-Redakteur Gereon Asmuth: „Das ist eine Nachricht, damit muss ich raus! Egal, welcher Partei das schadet!“

taz-Redakteur Lukas Wallraff führte aus, dass der Nachrichtenwert des zugrunde liegenden Vorgangs noch nicht so gravierend war. Sondern: „Die Person des von den Grünen offiziell beauftragten Wissenschaftlers hat es für mich zur Nachricht gemacht.“ Er verglich das mit Mitteilungen, die nicht von einer Privatperson, sondern von einer Regierungskommission wie zum Beispiel der Süssmuth-Kommission beim Zuwanderungsrecht kommen. Und es waren die Grünen selbst, die Walter schließlich auch erlaubt hatten, jederzeit Zwischenergebnisse zu veröffentlichen. Lukas Wallraff: „Wir wären dann ja grüner als die Grünen selbst gewesen, wenn wir das aus politischer Rücksichtnahme abgelehnt hätten.“ Außerdem wäre der Text dann eben anderswo abgedruckt worden – und zusätzlich wäre auch veröffentlicht worden, dass die taz den Abdruck abgelehnt hat. Und das nur wenige Wochen, nachdem der taz in einem anderen Fall vorgeworfen worden war, sie sei wie eine Parteizeitung der Grünen und kritische Berichterstattung über diese Partei sei bei uns im Wahlkampf nicht möglich.

Interna öffentlich machen

Die Genossen regten einhellig an, dass die taz in Zukunft bei potenziell strittigen Artikeln von sich aus die Argumente für einen Abdruck und die Umstände transparent macht – dann wäre das in diesem Fall für viele Genossen besser nachvollziehbar gewesen. „Ich bekomme etwas angeboten und erfahre die Hintergründe nicht“, kritisierte einer. Die taz-Redakteure nahmen die Anregung auf. In Zukunft könnte es in ähnlichen Fällen entweder einen Kommentar geben, der einen Artikel und die Entstehung einordnet. Oder einen Extratext, in dem wir über den redaktionsinternen Diskussionsprozess schreiben. „Das ist etwas, das wir wirklich mitnehmen“, sagte Ines Pohl.

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