„Ich wollte ihm posthum seine erste Hauptrolle geben“

DOKUMENTARFILM Die kleinen Leute sind beim Film die Statisten. Eva Knopf macht einen groß: Majub, schwarzer Lieblingskomparse der Nazis. Mit „Majubs Reise“ tritt sie am Montag beim Nachwuchsfilmpreis First Steps an

■ geboren in Oldenburg, studierte Ethnologie in Göttingen, Rhetoric/Film Theory in Berkeley und Dokfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seit 2012 beim DFG-Forschungsprojekt „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland“.

INTERVIEW DAVID DENK

sonntaz: Frau Knopf, in Ihrem Dokumentarfilm „Majubs Reise“ bezeichnen Sie Statisten in Abgrenzung zu den Stars als den „dunklen Nachthimmel“ des Kinos. Wie sind Sie unter all den Unsichtbaren und Namenlosen ausgerechnet auf Majub gestoßen – der ja auch schon seit fast 70 Jahren tot ist, gestorben 1944 im KZ Sachsenhausen?

Eva Knopf: Über einen wissenschaftlichen Artikel einer Kölner Afrikanistin, die über Majub geforscht hatte. Und dann habe ich angefangen, mir tagelang Nazischinken anzugucken, mit weit geöffneten Augen, damit ich ihn auch bloß nicht verpasse.

Was fasziniert Sie an Statisten, dass Sie ihnen Ihren Abschlussfilm an der Filmakademie in Ludwigsburg gewidmet haben?

Es ist ein häufiger Dokumentarfilmerimpuls, Filme über die kleinen Leute zu machen, und ich habe mich gefragt, wer das im Film ist, und bin so auf die Statisten gekommen.

„Halb Mensch, halb Kulisse“, heißt es im Film.

Genau, sie sind ständig da, aber man nimmt sie nicht wahr. Mit „Majubs Reise“ habe ich versucht, einen von ihnen sichtbar zu machen.

1904 geboren und aufgewachsen in Daressalam, Deutsch-Ostafrika, kam Majub bin Adam Mohamed 1929 nach Berlin, wo er vergeblich seinen Sold aus dem Ersten Weltkrieg einforderte. Mit seinem Vater hatte er an der Seite der Deutschen gegen die Briten gekämpft. Er blieb, benannte sich in Mohamed Husen um und begann eine Karriere als Schausteller und Schauspieler, wobei er von der neokolonialen Bewegung im Deutschen Reich profitierte. Ein mutiger Mann, oder?

Die Chuzpe, auf eigene Faust nach Berlin zu reisen und beim Auswärtigen Amt vorstellig zu werden, hat auch mich beeindruckt. Diese Episode war für mich die Initialzündung, den Film machen zu wollen. Ich begann, mich für diesen Menschen zu interessieren, wollte ihm nahekommen. Im Laufe der Recherche entstand das Bild eines Mannes, der zwar die Dienerrollen annahm, die in nationalsozialistischen Filmen an der Seite von Zarah Leander, Hans Albers und Heinz Rühmann für ihn vorgesehen waren, zugleich aber immer nach Höherem strebte, sich nie mit dem Status quo zufriedengab. Deswegen gelang es ihm ja etwa auch, immer größere kleine Rollen zu ergattern.

Schon merkwürdig, so viel zu reden, so viel zu wissen über jemanden, den man nie kennengelernt hat?

Ja, schon. Ich habe mich wirklich sehr intensiv mit ihm auseinandergesetzt, habe die wenigen Spuren, die Majub hinterlassen hat, immer wieder gedreht und gewendet, um mir einen Reim auf sein Leben mit all seinen Brüchen und Widersprüchen zu machen. Ich wollte ihm posthum seine erste Hauptrolle geben.

Sehen Sie sich als eine Art Nachlassverwalterin?

Nein, ich habe nicht den Anspruch, ihn ultimativ für die Nachwelt zu repräsentieren. Der Film ist eher eine Begegnung zwischen ihm und mir, mein liebevoller Blick auf diesen Menschen: Was reizt mich, was spricht mich an an ihm, der sonst vergessen wäre?

Warum haben Sie den Offkommentar dann nicht selbst gesprochen, um den persönlichen, beinahe intimen Charakter des Films zu unterstreichen?

Es gibt auch eine Version des Films, die ich selber gesprochen habe, die hat die eigentlich tolle Redaktion beim SWR aber nicht akzeptiert, weil sie ihr zu wenig fernsehhaft klang. Daraufhin habe ich nach einer Sprecherin gesucht, die keine typische Fernsehdokustimme hat, sondern Brüche in der Tonalität, auch mal quietscht und schnarrt, und habe mich dann aus dem Bauch heraus für Jule Böwe als mein Alter Ego entschieden.

Von Majub ist fast nur das wenige Bildmaterial aus seinen Filmen geblieben. Eine ziemliche Hypothek für eine Filmemacherin.

Aber auch ein starker Reiz, eine große Herausforderung. Das Problem war aber auch, dass es bis auf einen unbeschriebenen Briefbogen keine persönlichen Hinterlassenschaften gibt, die wenigen Spuren Majubs hauptsächlich aus nationalsozialistischen Quellen stammen, aus seinen Spielfilmen oder aus Akten des Auswärtigen Amtes. Wenn man diese Spuren aber einfach zeigt, wiederholt man damit die Sichtweisen, die in sie eingeschrieben sind, die der Nazis auf Majub.

Als Reaktion darauf zeigen Sie nicht nur die Originalfilmbilder, sondern verlangsamen sie oder zoomen hinein, um Porträts von Majub zu zeigen.

Genau, ich benutze die Archivmaterialien anders, als sie intendiert waren, richte so den Blick des Zuschauers auf diesen Statisten im Hintergrund. Nur diese Bilder zu zeigen wäre aber Geschichtsfälschung gewesen, weil Majub nie im Mittelpunkt stand. Durch die Technik, Bilder wiederholt auf verschiedene Arten zu zeigen und damit Subtext an die Oberfläche zu heben, kann man trotz der einseitigen Quellenlage den Menschen Majub spüren.

Das müssen Sie erläutern.

■ Profil: 1999 als Initiative von den Produzenten Bernd Eichinger und Nico Hofmann gegründet, gilt er als wichtigster Preis für Abschlussfilme deutschsprachiger Filmhochschulen, mit 195 Einreichungen 2013

■ Preise: Kurz-, Spiel- (bis 60 Minuten, abendfüllend), Dok- sowie Werbefilm, No Fear Award für Nachwuchsproduzenten. Insgesamt dotiert mit 82.000 Euro

■ Promis: In der Jury: Franz Dinda, Sherry Hormann, Gerd Ruge

■ Projektion: Am Mittwoch, 20 Uhr, wird eine Auswahl im Berliner Filmtheater am Friedrichshain gezeigt. Infos: firststeps.de (denk)

Meine Arbeitsweise war es, in Detektivarbeit die Spuren dieses Lebens wie ein Puzzle zusammenzusetzen. Am nächsten bin ich ihm gekommen, wenn ich Brüche im Archiv gefunden habe und Widersprüche. Wie bei der Episode mit der Frontkämpfermedaille, die Majub beantragt hatte, die ihm aber verwehrt wurde. Auf Fotos sehe ich dann, dass er sie trotzdem trägt. Darin ist Majub als Charakter für mich sichtbar geworden, als jemand, der die ihm von den Nationalsozialisten zugedachte Rolle als treu ergebener Söldner, der die deutschen Soldaten durch seine bedingungslose Unterwerfung noch heldenhafter strahlen lässt, gesprengt hat. Mit dieser Anspruchshaltung eckte er natürlich an, weil er die Nationalsozialisten völlig überforderte.

„Majubs Reise“ reflektiert auch Filmgeschichte. Ein besonderes Interessengebiet von Ihnen?

Ja, bei Filmen interessiert mich schon immer nicht nur die Handlungsebene, sondern auch das Drumherum: Wer bekommt Geld dafür, welche Filme zu machen? Das erzählt ganz viel über die jeweilige Zeit. In meinem Vorgängerprojekt ging es um die Horrorvideoszene in Ghana, die Geschichten, Produktionsbedingungen und den gesellschaftlichen Bezugsrahmen. Ich glaube, dass ein großer Bedarf besteht, mediale Bilder aufzuarbeiten, und der Dokumentarfilm ist dafür so gut geeignet, weil er Komplexitäten darstellen, Nuancen und Graubereiche sichtbar machen kann.

Solche Essayfilme gelten als schwere Kost und haben im Fernsehen keinen leichten Stand. Wie fühlt es sich an, mit so einer Bürde ins Berufsleben zu starten?

(lacht) Na ja, bisher hat es doch ganz gut geklappt. Ich habe einen Redakteur gefunden, der sich auf meinen Film eingelassen hat, und die Nominierung bei First Steps ist zwar noch kein Jobangebot, aber eine Wahrnehmung und Ermunterung. Ich denke, dass es auch eine Chance sein kann, seinen Interessen nachzugehen und eigenwillige Filme zu machen. Nur einen Markt zu bedienen, von dem man sich dann ausdenkt, was er haben können wollte, ist doch keine Alternative. Und ich glaube übrigens auch nicht, dass „Majubs Reise“ schwere Kost ist. Ich habe mich bemüht, dass der Film auf mehreren Ebenen lesbar ist und ihn damit für jeden verständlich zu machen. Gleichzeitig bietet er hoffentlich auch denjenigen genug Anreize, die Freude daran haben, weiterzudenken. Ich habe versucht, „Majubs Reise“ einfach und komplex zugleich zu gestalten.

Es ist auch ein Film über Vergänglichkeit: Wir sind alle ein bisschen Majub, oder?

Ja. Die meisten von uns werden von den über sie angelegten staatlichen Unterlagen am längsten überdauert werden, etwa von einem Hartz-IV-Antrag. Archive sichern deren Bestand, alles Private bleibt nur in Zufallsfunden erhalten. Das war auch ein Gedanke, der mir beim Sichten von Majubs Filmen kam: Vielleicht ist nicht jeder Statist so ein vielschichtiger Charakter wie Majub, aber man könnte bei jedem das Bild anhalten und fragen: Was ist das für ein Leben?