Zwischen Resignation und Widerstand

POLITDRAMA Der Dreiteiler „Burning Bush – Die Helden von Prag“ (Arte, 27.–28. 3., ab 20.15 Uhr) der Filmemacherin Agnieszka Holland erzählt von der Selbstverbrennung Jan Palachs während des Prager Frühlings – und von dessen Nachspiel

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Prag, 16. Januar 1969: Aus Protest gegen die Invasion der Sowjettruppen verbrennt sich der 20-jährige Student Jan Palach auf dem Wenzelsplatz selbst. Das ist nun 45 Jahre her. Doch für die polnische Filmregisseurin Agnieszka Holland ist es wie gestern. Sie war damals, während des „Prager Frühlings“, Studentin an der tschechischen Filmakademie Famu, sie war gleich alt wie Palach und sehr engagiert in der Studentenbewegung. Zufällig hielt sie sich sogar nur ein paar Schritte entfernt vom Wenzelsplatz auf, wo Palach sich mit Benzin übergoss und anzündete.

Bei einer Begegnung in einem Hotel in Paris bestätigt Holland, dass der Dreiteiler „Burning Bush – Die Helden von Prag“ über diese dramatischen Tage aus diesem Grund ihr persönlichster historischer Film ist. Zum Titel erklärt sie, er sei eine symbolische Anspielung auf das Alte Testament, dem zufolge Gott Moses als Busch erscheint, „der brannte, ohne zu verbrennen“.

Persönlich betroffen

Hollands Antworten in einem Englisch mit leicht mitteleuropäischem Akzent kommen sehr schnell. Nicht nur weil sie diese Fragen aus früheren Interviews zur Genüge kennt, sondern weil sie sich selber von dieser Geschichte immer noch betroffen fühlt. Sie wurde damals auch festgenommen, wochenlang inhaftiert und schließlich zu einer auf Bewährung ausgesetzten Gefängnisstrafe verurteilt. Sie erinnert sich auch an den Tag, als sie das Drehbuch erhielt, und wie erstaunt und berührt sie war, als sie erfuhr, dass der Verfasser des Filmskripts, Stepan Hulik, erst 24 Jahre alt war. Dass sich diese Generation mit dem Thema beschäftigt, hat sie überrascht. „Denn in einer ersten Phase wurde Palach beschämt verdrängt und später vergessen“, sagt Holland. Vielleicht habe es aber den zeitlichen Abstand gebraucht, um dieses schwierige Thema aufzugreifen, gibt sie zu bedenken. Palach ist heute ein Nationalheld, der sein eigenes Denkmal hat. Seine Tat bleibt dennoch erschreckend unergründlich und irrational, heute wie damals. Ebenso wenig wie der junge Drehbuchautor hat Holland versucht, sich in die Person von Jan Palach zu versetzen. Dessen Motiv erfahren wir aus dem Brief, den er als Manifest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings und gegen die Unterdrückung, mit „Fackel Nummer eins“ unterschrieben, hinterlassen hat.

Die Selbstverbrennung stellt im Fernsehfilm nur ein fast schüchtern erwähnter Prolog dar. „Ich wollte keine psychologische Fiktion. Palach war ein Einzelgänger, aber kein fanatischer Nationalist. Unter ganz gewöhnlichen Menschen gibt es solche, die zu so etwas fähig sind. Warum? Das ist ein Mysterium. Denn die meisten Leute sind nicht sehr mutig“, so Holland.

Das eigentliche Thema des Films ist nicht Palach, sondern die Zeit danach, die sogenannte Normalisierung und das Dilemma der zwischen Resignation und passivem Widerstand schwankenden Bürger in der besetzten Tschechoslowakei. Eine interessante Figur ist dabei der von dem Schauspieler Ivan Trojan verkörperte Geheimpolizeikommandant Jires, dem bei den Ermittlungen so starke Zweifel und Gewissensbisse kommen, dass er sich zuletzt über die Grenze nach Österreich absetzt.

Die wirkliche Hauptperson des Films ist die junge Anwältin Dagmar Buresova (gespielt von Tatiana Pauhofova), die im Auftrag von Palachs Mutter und Bruder, unterstützt von einem jungen Assistenten, mit einer aussichtslosen Verleumdungsklage gegen den kommunistischen Funktionär und Kollaborateur Vilem Novy kämpft, der Palach in der Öffentlichkeit als manipulierten Geistesgestörten diskreditierte. Dieser geschichtlich dokumentierte Kampf der Rechtsanwältin gegen die Zensur des totalitären Systems erlaubt es der Regisseurin, eine spannende Geschichte mit authentischen Persönlichkeiten der Epoche zu erzählen und zugleich die historische Tragweite von Palachs Tat begreiflich zu machen. Die Wahrheit triumphierte erst viel später, als 1989 zum zwanzigsten Jahrestag von Palachs Freitod Tausende von Menschen in Prag demonstrierten und Buresova die erste Justizministerin der Tschechischen Republik wurde.

Emotionaler Schock

Heute lebt und arbeitet Agnieszka Holland abwechselnd in Kalifornien und in Europa. Zurzeit dreht sie in Paris für einen amerikanischen TV-Sender ihre neue Miniserie „Rosemary’s Baby“ nach dem bereits 1968 von Polanski verfilmten Roman von Ira Levin. Sie profitiert von einer Drehpause, um auf ihren Palach-Film von 2013 zurückzukommen, für den sie im letzten Jahr bei der Verleihung der tschechischen Filmpreise elf „Löwen“ abgeräumt hat. Der immense Erfolg des dreiteiligen Fernsehfilms beim tschechischen und slowakischen Publikum beweist, welchen längst fälligen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung dieser leisten konnte. Für viele Zeitgenossen sei der Film sogar ein „emotionaler Schock“ gewesen, sagt sie.

Auf die Frage, wie aktuell die Dokufiktion im Zusammenhang mit der Krimbesetzung durch Russland sei, antwortet Holland: „Jede Epoche hat andere Helden. Aber vielleicht kommt wieder eine Zeit, wo es wieder andere ‚Palachs‘ oder ‚Buresovas‘ braucht. Es gibt Momente, wo der Widerstand gegen das Böse und die Niederlage die Kraft des Einzelnen benötigt.“