„Wir wollen keine Ausgewogenheit“

SHOW Früher moderierte Rudi Brückner „Doppelpass“ bei Sport1. Nun startet sein neuer Fußballtalk „Ultra“ auf Tele 5 (21.15 Uhr)

Wir sind immer an den Punkt gekommen, wo die Senderverantwortlichen es dann gerne ein bisschen netter und seichter haben wollten

INTERVIEW JÜRN KRUSE

taz: Herr Brückner, es herrscht wahrlich kein Mangel an Fernsehsendungen, in denen über Fußball geredet wird. Warum jetzt auch noch Ihre Show?

Rudi Brückner: Es fehlt die kritische Auseinandersetzung mit Themen, die vielleicht nicht direkt auf der Hand liegen. Wenn in Diskussionen nur über Taktik gesprochen wird oder darüber, wie sich ein Spieler, der nur den Pfosten getroffen hat, gefühlt haben mag, ist mir das zu flach. Es gibt Themen genug, die man ernsthaft besprechen kann, außerhalb von Kicherrunden, wo mal ein Herrenwitz gemacht wird und dann wieder alles gut ist.

Welche Themen?

Ein Beispiel: Uli Borowka, der ja ein Buch über seine Alkoholabhängigkeit geschrieben hat, hat mit seiner Frau eine Stiftung gegründet, um anderen Spielern zu helfen, die in der gleichen Situation sind wie er früher. Doch der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußballliga unterstützen sie nicht. Für die ist das kein Thema. Dabei sind Alkoholismus und Sucht im Allgemeinen unter Fußballprofis weit verbreitet. Laut Umfrage der internationalen Spielergewerkschaft sollen in Deutschland 19 Prozent der Fußballprofis suchtkrank sein. Im Vergleich: In der gesamten Gesellschaft sind es nur 4 Prozent. Das heißt: Da gibt es eine Gefahr, aber sie wird ignoriert. So was lässt sich halt schlecht vermarkten. Und deswegen ist es ein Thema für unsere Sendung.

Haben Journalisten Angst, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen und dem Hochglanzprodukt zu schaden?Klar. Denn es besteht ja immer das Risiko, Übertragungsrechte zu verlieren.

Aber in den Zeitungen liest man doch einen kritischen Fußballjournalismus.

Ja, die haben es aber auch etwas leichter, weil sie eben nicht so auf Bilder, auf O-Töne angewiesen sind wie die Kollegen vom Fernsehen. Die Süddeutsche oder die taz haben halt keine Übertragungsrechte. Aber es stimmt: Wir müssen wieder dahin kommen, dass auch die, die Rechte besitzen, kritisch mit dem Sport umgehen.

Ist die Idee zu „ultra“, also aus der Wut geboren?

Jörg Krause, der die Redaktion leitet, und ich arbeiten schon seit 25 Jahren zusammen. Wir haben dem „Doppelpass“ das Leben eingehaucht, wir waren bei Servus TV und haben „Sport und Talk aus dem Hangar 7“, wo es nicht nur um Fußball, sondern auch um Skifahren und Formel 1 ging, ins Leben gerufen. Aber bei all diesen Formaten sind wir immer an den Punkt gekommen, wo die Senderverantwortlichen es dann gerne ein bisschen netter und seichter haben wollten.

Aber wenn Sie beim Red-Bull-Sender Servus TV anheuern, darf es Sie doch nicht wundern, wenn Sie nett über die Formel 1 berichten müssen.

Ja, das stimmt.

Also ist Ihre jetzige Show tatsächlich aus Wut entstanden?

Unmut, würde ich sagen. Unmut darüber, dass kaum noch hinterfragt wird, was im Profisport passiert. In unserer ersten Sendung geht es um Trainer. Aber nicht so sehr um die Methoden, sondern um grundsätzliche Fragen: Warum gibt es beispielsweise so viele Mentaltrainer? Sind die tatsächlich wichtig oder nur eine Modeerscheinung? Gibt es vielleicht so viele davon in der Bundesliga, weil die gemerkt haben, dass man da besser Geld verdienen kann als beim Tischtennis? Alles kann sein. Aber es wird halt selten hinterfragt.

Was wollen Sie denn anders machen?

Die Show wird so aussehen: 60 Minuten, live, zwei Gäste, ich und André Schubert, der Stimmen aus den Social Networks einbringt, aber eben nicht so, wie wir es aus den Polittalks gewohnt sind, wo dann bei „Plasberg“ eine Frau zwei Minuten referiert, welche Menschen was gesagt haben – natürlich immer ausgewogen. Wir wollen keine Ausgewogenheit. Wir wollen Erkenntnisse. Wir wollen Bekenntnisse. Wir haben bewusst auf Publikum verzichtet: auf Klatschvieh, das nicht zu Wort kommt, sondern nur nett lächeln darf. Was soll das? Über André Schubert sollen die Zuschauer direkt eingebunden werden. Und zwar nicht alle halbe Stunde mal, sondern immer, wenn er der Meinung ist, dass er eine Stimme hat, die das Gespräch bereichert.

Sind aktive Sportler für Ihr Format ungeeignet?

Ja. Nehmen Sie beispielsweise Franziska van Almsick, die war eine Zeit lang in jeder Show. Ich habe mich immer gefragt: Was soll ein 16-jähriges Mädchen erzählen? Die hat nichts erlebt. Vielleicht den ersten Kuss, den ersten Sex. Von beidem wird sie nicht berichten. Das heißt, sie kann erzählen, wie toll sie trainiert und wie lieb sie ihre Eltern hat. Das war’s. Mehr kann ich auch gar nicht verlangen. Ich kann doch nicht erwarten, dass sich eine 16-Jährige gesellschaftskritisch mit ihrem Sport, mit ihrer Rolle auseinandersetzt. Damals war sie also kein geeigneter Gesprächsgast. Heute wäre sie das aber sehr wohl, wenn sie die richtigen Fragen gestellt bekommt. Bei den gerade aktiven Fußballern ist das genauso. Für eine Sendung wie unsere brauchst du Leute, die selbstkritisch sind.

Wie sieht das mit Funktionären aus?

Auch die sind nur spannend, wenn sie selbstkritisch sind. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach wäre ein langweiliger Gast, es sei denn, er hätte überraschend doch Lust auf Selbstkritik.

Andersherum: Brauchen aktive Spieler überhaupt Sendungen wie Ihre? Die Profis suggerieren durch Facebook- und Twitterprofile doch, so nah dran zu sein an den Fans wie nie.

Die wenigsten Spieler schreiben das ja selbst. Das machen Mitarbeiter aus deren Beratungsfirma. Das ist eine Scheinwelt. Und auch die ist heuchlerisch. Aber es passt ins Vermarktungskonzept. Genauso wie der überflüssige Film „Die Mannschaft“.