Er hat’s nicht so mit den Digitalen

PAPIER Heute erscheint die erste Ausgabe der „Leipziger Zeitung“ – eine lokale, gedruckte Wochenzeitung als Alternative zu dem sonst so tristen Angebot in der Stadt. Noch ist sie ein Experiment von Idealisten

VON JENS TWIEHAUS

Moritz Arand kommt häufig auf Nietzsche zu sprechen. Er liebt die Lehren des großen Philosophen und findet, dass seine 150 Jahre alte Erkenntnis heute noch gilt: Nietzsche kritisierte die Oberflächlichkeit der Presse und ihr „Zeitungsdeutsch“, das einem „Schweinedeutsch“ gleiche. Arand ist studierter Philosoph, aber er ist auch Journalist. Er schwärmt nicht nur, er packt auch an. Mit zwei Dutzend Kollegen startet der 31-Jährige heute die Leipziger Zeitung.

Während Zeitungsmacher im ganzen Land Leser verlieren, glaubt Arand an das gedruckte Wort. 5.000 Leipziger sollen bis Ende April ein Abonnement der Wochenzeitung abgeschlossen haben, 69 Euro soll es für ein Jahr kosten. Ist die Schwelle übersprungen, wollen Arand und seine Mitgründer, Robert Dobschütz und Cesare Stercken, Redakteure und Mitarbeiter fest anstellen und jeden Freitag eine lokale Wochenzeitung rausbringen – mit bis zu 30.000 Exemplaren. Arand zelebriert das Unzeitgemäße, sagt über sich selbst, er habe es nicht so mit diesen digitalen Medien, während vor ihm ein Macbook steht. Der Vollbartträger, der an diesem Vormittag in einem gerümpeligen Büro sitzt, ist voller Widersprüche, aber eines ist er sicher nicht: ein Träumer. Die Zeitungsgründer glauben daran, dass sich ihre Zeitung wirtschaftlich tragen wird. „Wer auf einem Markt nicht gewinnbringend arbeitet, der hat verloren“, sagt er.

Die Leipziger Zeitung kommt genau zur rechten Zeit. Die Süddeutsche Zeitung hat im vergangenen Herbst ihre Samstagsausgaben im Stile einer Wochenzeitung aufgemotzt und damit Leser gewonnen. Spiegel und Focus zogen ihren Erscheinungstag auf Samstag vor. Das Wochenende ist Lesezeit. Die kurzen Nachrichten lesen immer weniger Leute unter der Woche auf Papier.

In Leipzig gibt es zudem eine Besonderheit: Die Universitätsstadt ist zwar eines der Zentren im Osten der Republik, verfügt aber über nur eine Regionalzeitung, die Leipziger Volkszeitung (LVZ). Sie ist dummerweise eine der schlechteren Regionalzeitungen, gedruckt sieht sie ebenso ernüchternd aus wie online. Viele Artikel bezieht die Redaktion inzwischen aus der Hannoveraner Zentrale des Zeitungskonzerns Madsack. Im vergangenen Jahr verkaufte die LVZ rund 8.000 Exemplare weniger als ein Jahr zuvor. Zur gleichen Zeit wuchs Leipzig um 13.000 Bewohner.

Höchste Zeit also für ein neues Printprodukt. Die Leipziger Zeitung soll eine Lokalzeitung sein. Sie ist aufgeteilt in die klassischen Ressorts. Weltpolitik findet dann statt, wenn sie einen Bezug zu Leipzig hat. Der Krieg in Syrien zum Beispiel könnte über syrische Studenten in Leipzig erzählt werden. In der ersten Ausgabe, die sie die Nummer null nennen, geht es gleich auf mehreren Seiten um den Druck auf den Leipziger Immobilienmarkt und die finanziellen Spekulationen mit Wohnraum.

Arand und sein Team glauben, dass sie ihre Kosten durch Abos und Anzeigen lokaler Unternehmen decken können, um unabhängigen Journalismus zu betreiben. Sie mögen den Platzhirschen LVZ nicht öffentlich ächten. Arand macht aber keinen Hehl daraus, dass ihn die Alternativlosigkeit nervt.

Arand will mehr Meinungsvielfalt. Eine „kritisch reflektierte, aufklärerische Funktion“ soll ihr Blatt haben: Keine Meinungen vorgeben, sondern Hilfestellung leisten, damit sich jeder seine Meinung bilden kann.

In den kommenden Wochen wird es mehrere Leserkonferenzen geben, auf denen das Zeitungs-Start-up um Kunden werben will. Die ersten Ausgaben bezahlen Arand und seine Kollegen selbst und aus Projekten, die sie nebenbei betreiben. Weitere Zeitungen werden erst produziert, wenn die 5.000 Abos geschafft sind. Solange träumt auch Arand weiter von Nietzsche und einer Zeitung, die alles besser macht. Die Möglichkeit ist da. In der Zwischenzeit wird Arand das Geld für sich und seine zwei Kinder auf ehrliche Weise verdienen: als Barkeeper und Küchenhilfe.