Aufmüpfig? Kündigung!

MEXIKO Eine regierungskritische Moderatorin wird entlassen, der Grund wirkt vorgeschoben. Steckt der Präsident dahinter?

Präsident Peña Nieto steht unter Druck. Noch mehr Kritik kann er nicht gebrauchen

VON WOLF-DIETER VOGEL

Hat Carmen Aristegui ihre Kompetenzen überschritten oder sollte die mexikanische Journalistin schlicht kaltgestellt werden? Seit das Medienunternehmen MVS seine Radiomoderatorin Mitte März entlassen hat, ist in Mexiko eine Debatte über die Grenzen der Pressefreiheit entflammt. Wieder einmal liegt der Verdacht nahe, dass ein Präsident Einfluss auf die Berichterstattung eines Senders genommen hat. Und wieder traf es die 50-jährige Reporterin, die wie keine andere für kritischen Journalismus steht und schon viele Skandale mexikanischer Politiker aufdeckte. Mit ihrer Morgensendung „Noticias MVS“ sorgte sie regelmäßig für Aufsehen.

Schenkt man MVS Glauben, steht am Anfang der Geschichte die Internetplattform „Méxicoleaks“. Dort bieten seit Kurzem Medienschaffende und zivilgesellschaftliche Organisationen einen Raum, gegen korrupte Politiker, kriminelle Unternehmer oder die Mafia vorzugehen. Wer Informationen hat, kann sie über Méxicoleaks anonym an die Presse weitergeben. Auch Aristegui und ihr Recherche-Team beteiligten sich an dem Projekt – jedoch ohne Absprache mit MVS, meint die Firma. Und setzte kurzerhand zwei Mitarbeiter der Journalistin auf die Straße. Weil sie sich weigerte, die Kündigung anzuerkennen, wurde auch Aristegui gefeuert. „Wir lassen uns keine Bedingungen und Ultimaten von unseren Mitarbeitern aufzwingen“, ließ MVS wissen.

Aristegui spricht dagegen von einem „künstlichen Konflikt“ und einem seit Langem geplanten Angriff auf die Pressefreiheit. Sie vermutet, dass Präsident Enrique Peña Nieto hinter der Kündigung steckt. Schließlich hatte sie den Regierungschef in den letzten Monaten heftig angegriffen. Im November veröffentlichte sie, dass dessen Gattin Angélica Rivera unter dubiosen Umständen eine Luxusvilla von einer Immobilienfirma erwarb, die bereits einige Staatsgeschäfte in Milliardenhöhe mit Peña Nieto abgewickelt hatte.

An der Recherche waren die mittlerweile entlassenen Mitarbeiter maßgeblich beteiligt. Aber nicht nur deshalb vermuten Aristegui, viele ihrer Kollegen sowie 170.000 Unterzeichner einer Solidaritätspetition Zensurmaßnahmen von höchster Stelle. Peña Nieto steht unter Druck, sein Stuhl wackelt wie selten der eines mexikanischen Präsidenten zuvor. Als im letzten September 43 Studenten nach einem Angriff von Polizisten und Kriminellen entführt wurden, glänzte der Regierungschef durch Nichtstun. Kurz darauf veröffentlichte Aristegui, dass Soldaten bei einem Einsatz gegen die Mafia 22 wehrlose Menschen hingerichtet hatten. Es folgte der Skandal um das schmucke Anwesen in der Hauptstadt. Noch mehr Kritik kann Peña Nieto nicht gebrauchen.

Dass die aufmüpfige Moderatorin nur geschasst wurde, weil sie sich ohne Absprache bei Méxicoleaks beteiligt hat, will kaum jemand glauben. Einige der angesehensten Publizisten wie Denise Dresser, Lorenzo Meyer und Sergio Aguyao kündigten ihre Zusammenarbeit mit MVS auf. Selbst der für seine kritische Haltung zur Linken bekannte Intellektuelle Enrique Krauze erklärte, Aristegui sei eine „unverzichtbare Stimme in unserem öffentlichen Leben“. Versucht der Präsident also wirklich, wie der Historiker Lorenzo Meyer befürchtet, „so weit wie möglich die Daumenschrauben nach Art des alten autoritären politischen Apparats des vergangenen Jahrhunderts anzuziehen“?

Tatsächlich agiert Peña Nieto wie schon seine Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die 71 Jahre lang das Land als Staatspartei regierte. Seit der PRI-Mann 2012 sein Amt übernommen habe, hätten die Angriffe auf Journalisten signifikant zugenommen, erklärt die für Pressefreiheit aktive NGO Artículo 19. Obwohl er mit einer Reform des Telekommunikationswesens den Markt geöffnet hat, nutzt er die Massenmedien in alter Tradition für sich. Der TV-Konzern Televisa, in dem seine Frau als Telenovela-Star „La Gaviota“ – die Möve – Karriere machte, kassierte über Jahre hinweg viel Geld von Peña Nieto nahe stehenden Unternehmern, um ihn für die Präsidentschaftswahl 2012 in Szene zu setzen.

Der Medienwissenschaftler Raúl Trejo bezeichnete den Politiker deshalb als den „Berlusconi Mexikos“. Der Privatsender Televisa kontrolliert 80 Prozent des mexikanischen TV-Markts, zusammen mit dem Pendant „TV Azteca“ teilt er sich 94 Prozent der Konzessionen. Peña Nieto hat alles dafür getan, dass das auch so bleibt. Mit juristischen Barrieren verhinderte er, dass der Konkurrent Carlos Slim einen digitalen TV-Sender bekommt. Warum sollte er nicht auch fähig sein, das im Vergleich zu Televisa kleine Unternehmen MVS in die Schranken zu weisen?

MVS-Chef Joaquín Vargas Gómez habe sich von Anfang an dagegen ausgesprochen, dass sie die Geschichte über die Luxusvilla der „Möve“ veröffentliche, verriet Carmen Aristegui diese Woche dem Magazin Proceso. Von einem Problem mit Méxicoleaks sei nie die Rede gewesen. Klar ist: Ökonomisch macht die Entlassung keinen Sinn. Die kritische und selbstbewusste Art, mit der die Reporterin jeden Tag vier Stunden lang ihre Interviewpartner in die Mangel nahm, sicherte dem Sender hohe Einschaltquoten. Zugleich wusste Aristegui immer um ihr Risiko. Bereits 2011 war sie von MVS vorübergehend entlassen worden, nachdem sie in ihrer Sendung über die angebliche Alkoholsucht des damaligen Präsidenten Felipe Calderón gesprochen hatte. Drei Jahre vorher kündigte ihr das W-Radio, ein Sender der Televisa-Kette. Der Grund: Aristeguis kritische Haltung zur Regierung.

Im Januar widmete das Lifestyle-Magazin Gatopardo Aristegui eine Titelstory. Ob die großen Medien in Mexiko zensieren, wollte das Blatt wissen. Die Journalistin nutzte die Gelegenheit, um auf die schwierige Lage ihrer Kollegen hinzuweisen. Denn während sie außerdem eine Talkshow bei CNN moderiert, werden Pressearbeiter in anderen Regionen des Landes auf brutale Weise mundtot gemacht. „Es gibt Orte, wo du dein Leben verlieren kannst, wenn du etwas veröffentlichst, was die Mächtigen ärgert“, sagt sie und verweist auf den Reporter Moises Sánchez aus dem Bundesstaat Veracruz, der zu Beginn des Jahres ermordet wurde. Nach staatlichen Angaben starben in Mexiko seit 2000 mindestens 102 Journalisten – viele von ihnen, weil sie die Geschäfte korrupter Politiker mit Unternehmern und Kriminellen aufgedeckt hatten. Deshalb wurde Méxicoleaks gegründet.