HARALD KELLER DER WOCHENENDKRIMI
: Ein böses, kleines Ding

Der Vorspann schon schürt auf chabroleske Art das Unbehagen des Zuschauers. Zarte Mädchenfinger bedienen eifrig die Tasten eines Klaviers. Hochkultur also. Zwischendurch blendet Regisseur Denis Dercourt an den Arbeitsplatz eines Schlachters, und das ist in diesem Fall nicht Synonym für einen blutrünstigen Mörder, sondern zeigt das ehrbare Handwerk des Fleischhauers. Schwarzhumorige Vertreter des gallisch-galligen Kinos mögen solche Kontraste.

Die junge Pianistin Mélanie bereitet sich auf ein wichtiges Vorspielen vor. Talent und Fleiß sind vorhanden, allein im entscheidenden Moment wird sie von einer der Prüferinnen abgelenkt und begeht einen kleinen Fehler. Fatal, in einem Milieu, wo sich schon die Schüler mit der Forderung nach totaler Perfektion konfrontiert sehen. Tränen fließen, Mélanie gibt das Musizieren auf. Einige Jahre später treffen wir sie als Praktikantin (Déborah François) einer Anwaltskanzlei. Ihr Arbeitgeber ist der Ehemann jener unsensiblen Prüferin, der ehemals gefeierten, nun mit einer Krise kämpfenden Klaviervirtuosin Ariane Fouchécourt (Catherine Frot). Kein Zufall.

Mélanie, artig, bescheiden und scheu, in einfachen Verhältnissen lebend, arbeitet sich still, aber hartnäckig vor bis ins Heim der Fouchécourts, wird das Kindermädchen des Sohnes Tristan und Vertraute Arianes, bei deren Konzerten sie die Noten umblättern darf. Mélanie verfolgt einen Plan, wir wissen es. Manchmal, von anderen unbemerkt, blitzen kalte Blicke aus ihrem engelhaften Antlitz. Dann wieder geht sie so liebevoll mit ihrem Schützling Tristan um, zeigt Ariane gegenüber zärtliche Anwandlungen. Als Zuschauer versucht man, in ihrem Gesicht zu lesen: Wird sie ihre Rache angesichts der freundlichen Aufnahme durch die Familie aufgeben? Oder doppelt perfide weiterverfolgen? Sehr spannend, diese Geschichte.

„Das Mädchen, das die Seiten umblättert“; So., 20.15 Uhr, Servus TV