Helfersyndromhilfe

OPER „Materialisierte afrikanische Operndorf-Utopie“: Schlingensiefs „Via Intolleranza II“

Vollkommen ernst gemeint und ganz und gar keine humanistische Schützenhilfe in Sachen Oper ist das von Christoph Schlingensief initiierte Operndorf-Projekt Remdoogo in der Nähe der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou: Schulen für Künstler, Proberäume, eine Krankenstation und in der Mitte ein Festspielhaus, entworfen vom in Berlin lebenden burkinischen Architekten Francis Keré.

Seit Anfang des Jahres wird das „Opernhaus Afrika“ gebaut, nun präsentiert Schlingensief auf Kampnagel das „erste Stück materialisierte afrikanische Operndorf-Utopie“. Unverbindlicher Ausgangspunkt für das Projekt „Via Intolleranza II“ ist die szenische Aktions-Oper „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono. Für das für die Biennale in Venedig entstandene Stück über das Schicksal eines migrantischen Bergarbeiters, der vor den Lebensbedingungen in seinem Dorf flieht, in der Stadt aber inhaftiert, gefoltert und ins KZ gesteckt wird und schließlich beschließt, sich dem Aufbau einer besseren Welt zu widmen – ein flammender Protest gegen Rassismus, Intoleranz und staatliche Gewalt –, musste sich der italienische Komponist Anfang der 60er noch den Vorwurf gefallen lassen, die italienische Musik zu vergiften.

Bei Schlingensief wird aus der kämpferischen Vorlage ein buntes Patchwork von Szenen über das Verhältnis von Kunst und Leben, Avantgarde und Proletariat, deutsche Helfersyndrome, Krebserkrankungen, Völkermissverständigungen und die Kraft Afrikas. Ausdrücklich nicht als Produktion des Operndorfes, sondern als begleitende Forschungsarbeit angelegt, fragt das Schlingensief-Ensemble, untermalt von philosophischen Texten, Richard Wagner oder traditioneller burkinischer Musik, Schritt für Schritt, warum Europäer nicht aufhören können, dem afrikanischen Kontinent helfen zu wollen – obwohl sie sich schon lange nicht mehr selbst helfen können. Was passiert, wenn man das aufgeklärte Stück europäischer Kulturgeschichte nach Afrika verfrachtet? Wird es am Ende etwa nur zum Steckenpferd, um von der eigenen Intoleranz abzulenken? MATT

■ So, 23. 5. bis Mi, 26. 5., je 20 Uhr, Kampnagel (k6), Jarrestraße 20