Hoher Grat und tiefer Sturz

SZENISCHE LESUNG In der Reihe „Die Untüchtigen“ erzählen Pheline Roggan, Denis Moschito, Fabian Hinrichs und Ferris MC vom „Künstlerpech“ und Scheitern auf hohem Niveau

Das Publikum applaudiert – erschüttert schließen sich die Künstler in der Garderobe ein

VON ROBERT MATTHIES

Einst, als die Filme noch ohne Ton waren, war F. Scott Fitzgeralds Pat Hobby noch der Mann für Drehbücher mit Struktur. Aber nichts verliert die Kunst schneller als die Gunst. Chronisch abgebrannt und notorisch betrunken lungert der Schreiberling nun vor dem Studio herum, immer auf der Suche nach ein paar Dollar und ein wenig Filmglanz.

Als er sich von einem Schauspieler Geld leihen will, stolpert Fitzgeralds Kurzgeschichten-Antiheld eines Tages vor die Kamera – und versaut die Szene. Das Glück des Untüchtigen: Am nächsten Tag bekommt er die lang ersehnte Rolle, die sein Auftreten am Vortag erklären muss – im metallenen Schutzanzug soll er vom Auto überfahren werden. Doch kurz vor dem schicksalhaften Moment verliert er sein Bewusstsein und erwacht erst wieder in der Nacht – allein, immer noch im Metallanzug, vergessen im Chaos, nachdem der autofahrende Schauspieler einen Unfall hatte. Und doch ist Pat Hobby erfüllt von wildem Stolz: endlich war er wieder jemand, mit dem man rechnen muss.

Ganz anders, aber nicht besser ergeht es dem avantgardistischen Lyriker in Michail Sostschenkos Satire „Ein Vorfall in der Provinz“: Als er auf die Bühne treten soll, wehrt er sich mit Händen und Füßen, lehnt fast ohnmächtig und ohne ein Wort zu sagen minutenlang am Flügel, bevor er schließlich „mehr tot als lebendig“ zurück hinter die Kulissen taumelt. Das Publikum applaudiert enthusiastisch – erschüttert schließen sich die Künstler in der Garderobe ein.

Und auch Thomas Bernhard hat seinen großen Auftritt bei der Verleihung des ungeliebten Österreichischen Staatspreises ganz unverhofft. Noch bevor er seine Rede zu Ende gebracht hat, stürzt mit hochroten Kopf der wutentbrannte Minister aus dem Saal, hinter ihm her die Bernhard beschimpfende und bedrohende Meute aus dem Audienzsaal. Nur zwei Kellner stehen schließlich noch starr am unberührten Buffet.

Wie sehr das Leben des Künstlers das Wagnis der beständigen Gratwanderung zwischen Scheitern und „großem Werk“ bedeutet, wird schließlich auch in Albert Camus’ Novelle „Jonas oder der Künstler bei der Arbeit“ deutlich: Von seiner Berühmtheit wird der Maler immer weiter ins künstlerische und gesellschaftliche Exil getrieben. Das letzte Werk des völlig ausgezehrten Jonas: eine weiße Leinwand, auf der undeutlich nur ein Wort steht: „solitaire“: einsam – oder doch „solidaire“: gemeinsam?

Vom „Künstlerpech“, den Höhepunkten und tiefen Stürzen, die die Hingabe an die Schönheit, das Gute und das Wahre nach sich ziehen, erzählt am Mittwoch die dritte Ausgabe der Reihe „Die Untüchtigen“ – und von den dabei erlangten Erkenntnissen. Aus Fitzgeralds, Sostschenkos, Bernhards und Camus’ Texten lesen hochkarätige SchauspielerInnen wie Pheline Roggan, Denis Moschito und der kürzlich in der Kritikerumfrage der Theater heute zum „Schauspieler des Jahres“ gewählte Fabian Hinrichs sowie der Rapper Ferris MC. Den musikalischen Abgesang gestalten „1000 Robota“.

■ Mi, 22. 9., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66