Mittdreißigerlebenskrise

POPLITERATUR Orientierungslosigkeit: Wohin es geht, wissen in Sarah Kuttners zweitem Roman „Wachstumsschmerz“ weder Protagonistin noch Autorin oder Leserschaft

Viel Neues hat Sarah Kuttner in „Wachstumsschmerz“ nicht zu berichten

VON BIRK GRÜLING

Was für die Eltern der Beatclub war, ist für sie das MTV und Viva der Jahrtausendwende. In Erinnerungen versonnen schieben sich die urbanen Mittdreißiger ihre großen Hipster-Brillen zurecht und erzählen von selbst aufgenommen Mixtapes und persönlichen Erinnerungen an Musikvideos im Fernsehen. Für diese orientierungslose Mischung aus Nostalgie und Adoleszensverweigerung gibt es längst einen wissenschaftlichen Fachbegriff: Quarterlife Crisis.

Auf der Schwelle zur 30 beginnt man sich beständig zu fragen: Wann fängt eigentlich der Ernst des Lebens an? Darf ich noch Sneakers tragen? An wie vielen kreativen Projekten kann ich gleichzeitig arbeiten? Oder müsste ich nicht schon am Finanzplan für die eigene Rente basteln? Allein ist man mit all diesen bohrenden Fragen zum Glück nicht. Magazine wie Neon oder Sarah Kuttners zweiter Roman „Wachstumsschmerz“ helfen zwar nicht wirklich weiter, geben aber zumindest ein wohliges Gefühl von Verständnis und Akzeptanz.

Luise, die Heldin von „Wachstumsschmerz“, ist gerade 32 Jahre alt geworden und steht wie viele ihrer Generation vor einem Haufen mehr oder weniger wichtiger, oft ziemlich belangsloser Probleme. Ihre Arbeit als Anzugsschneiderin für reife Herren füllt sie kaum aus, zum wirklichen Umbruch kann sie sich aber auch nicht durchringen. Aus Langeweile und leidenschaftslos geht sie zu Filmcastings und träumt insgeheim von einer eigenen Modelinie. Auch privat ist das Bild, das die ehemalige MTV-Moderatorin zeichnet, eher unbefriedigend. Luises Freund Flo ist zwar nett, aber die Frage, ob er der Richtige ist, kann sie trotzdem nicht eindeutig beantworten. Dazu kommt, dass das Zusammenziehen in die hippe Großstadt-Wohnung die „Nur-Ich-Momente“ auf ein Minimum reduziert hat. So lasten alle Sorgen der magischen 30 – die Frage nach dem eigentlichem Karriereziel, der immer noch unerfüllte Kinderwunsch und die mühsame Suche nach dem ultimativen Partner – auf ihren Schultern: 280 Seiten lang dümpeln Frau Kuttner, Luise und die Leserschaft gleichermaßen orientierungslos umher.

Same old story, möchte man sagen. Wie so viele andere Bücher vom Erwachsenwerden und all die Zeitschriften vor ihr hat auch Sarah Kuttner nicht viel Neues zu berichten und den popkulturellen Horizont durchbricht sie schon gar nicht. Aber was dem Buch zur ernst zu nehmenden Literatur fehlt und an Potenzial zur Gesellschaftsstudie abhanden kommt, macht seine Autorin mit flapsig-gefälligem Generationsgefühl wieder wett.

Und so gerät wohl auch die Lesung am Freitagabend im Uebel & Gefährlich zum Selbsthilfeabend für die Generation Neon. Statt mit trockenem Rotwein und schwarzem Rollkragenpullover im Literaturhaus versammeln sich die Mittdreißigerlebenskrisler zur Lesung im Club und stellen sich bei Trendbrause kollektiv die Frage: „Wann ist denn nur alles so kompliziert geworden?“

■ Fr, 18. 5., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66