„Auschwitz hat einen anderen Fokus“

Krystyna Oleksy, die stellvertretende Direktorin des Museums Auschwitz-Birkenau und Leiterin der dortigen pädagogischen Abteilung, erklärt, warum ein Minimalismus wie in Bergen-Belsen, in der polnischen Gedenkstätte nicht in Frage kommt

KRYSTYNA OLEKSY, Co-Direktorin der Gedenkstätte Auschwitz, gehört der Kommission zur Neugestaltung Bergen-Belsens an.

taz: Frau Oleksy, ist das minimalistische Konzept der Gedenkstätte Bergen-Belsen nicht dezenter – und zeitgemäßer – als die schockierende Präsentation von Haar- und Schuhbergen in Auschwitz?

Krystyna Oleksy: Es kann in meinen Augen grundsätzlich nicht darum gehen, etwas schockierender oder weniger schockierend darzustellen. Der Holocaust und die Realität der Lager waren schockierend, daran gibt es nichts zu deuten. Abgesehen davon unterscheidet sich Auschwitz von Bergen-Belsen in einem sehr wesentlichen Punkt: Während Bergen-Belsen keine originalen Gebäude hat und das neue Dokumentationszentrum ja auch nicht auf dem Lagergelände steht, sind in Auschwitz etliche Gebäude erhalten. Deshalb ist in Auschwitz nicht die Ausstellung zentral, sondern das originale Gelände sowie die Baracken und riesigen Mengen an Gegenständen der Gefangenen, die dort gefunden wurden. In Auschwitz wurde übrigens bereits 1947 – und damit war es die weltweit erste Ausstellung zu dem Thema – eine erste Präsentation gestaltet – noch bevor die Gedenkstätte 1955 offiziell eröffnet wurde.

Anhand welcher Kriterien wurde diese erste Ausstellung konzipiert?

Sie wurde von Überlebenden des Lagers konzipiert, die vor allem über das informieren wollten, was dort passiert war. Sie haben diese Ausstellung für Menschen gemacht, die den Krieg oder das KZ aus eigener Erfahrung kannten – aber auch für Menschen der nachfolgenden Generationen. Denn dadurch, dass so viele KZ in Polen lagen, wurde bei uns sehr bald nach Kriegsende über diese Dinge diskutiert. Einen internationalen Dialog darüber gab es aber aufgrund des Kalten Krieges jahrzehntelang nicht. Und in Deutschland hat die Diskussion über den Holocaust ja erst in den Sechzigern eingesetzt.

Sie würden die Ausstellung von Auschwitz also nicht als überladen bezeichnen?

Nein. Ich glaube, diese intensive und auch anschauliche Information ist notwendig – und wird es immer stärker sein. Denn die jungen Leute, die inzwischen zu uns kommen, entstammen ja schon der dritten Generation und sind manchmal sehr unzureichend über die Geschichte informiert.

Haben Sie angesichts der Tatsache, dass die Zeitzeugen langsam aussterben und immer weniger Informierte kommen, Ihr Ausstellungskonzept verändert?

Wir sind gerade im Begriff, ein solches umzusetzen. Wir planen – zur bereits existenten Dauerausstellung hinzu – eine zusätzliche Präsentation über die historischen Hintergründe: über die Entwicklung des Nationalsozialismus, die Praktiken der Nazis und so weiter. Basisinformationen sozusagen. Aber auch hierfür bauen wir kein neues Gebäude wie in Bergen-Belsen, sondern werden bewusst die originalen Häftlingsbaracken von Auschwitz eins nutzen. Denn wir sind davon überzeugt, dass das Neue das Alte niemals überwuchern darf. Die alten Orte müssen benutzt werden, damit die Erinnerung lebendig bleibt.

Finden Sie das neue Dokumentationszentrum von Bergen-Belsen also zu karg und didaktisch unzureichend?

Nein, es gefällt mir gut. Besonders eindrucksvoll finde ich die Glaswand, auf die man zuläuft und von der aus man das ehemalige Lagergelände sehen kann. Es ist sehr gut, dass man hier explizit einen Bezug zum Ort des Geschehens herstellt, auf den die Ausstellung im Inneren des Gebäudes vorbereitet.

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN