Gemieden wie ein Aussätziger

Der Dalai Lama wird während seines zwölftägigen Frankreich-Aufenthalts von den Spitzenpolitikern gemieden. Beim einzigen Treffen mit PolitikerInnen verweist er darauf, dass es in Tibet derzeit „keinen olympischen Frieden“ gibt

PARIS taz ■ Das „Mutterland der Menschenrechte“, wie Frankreich sich selbst versteht, beherrscht die Kunst des ganz großen Empfangs. Für genehme Gäste öffnen sich alle Tore zu den Palästen der Republik. So geschah es zuletzt für die Exgeisel der kolumbianischen Farc-Guerilla, Ingrid Betancourt. Vor ein paar Monaten kam auch der libysche Diktator Ghaddafi in den Genuss überschwänglicher Pariser Gastfreundschaft.

Für den Dalai Lama hingegen gilt diese Regel nicht. Der spirituelle und weltliche Chef der Exiltibeter, der zurzeit zu Vorträgen und Segnungen von Tempeln und Pagoden der mehr als eine halbe Million Seelen starken buddhistischen Gemeinde in Frankreich weilt, wird gemieden, wie ein Aussätziger. Während der Olympischen Spiele in Peking will ihn kein französischer Spitzenpolitiker empfangen: Weder Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der scheinheilig begründet, der Besucher wünsche keine Audienz. Noch die MinisterInnen der Regierung – inklusive Staatssekretärin für Menschenrechte. Noch die Präsidenten der beiden Kammern des Parlamentes.

Am Mittwoch fand der einzige politische Termin während des zwölftägigen Frankreichaufenthalts des Dalai Lama statt. Dazu hatten die beiden franko-tibetischen Freundschaftskreise des Parlaments geladen. Die Einladung war eine Geste des zivilen Widerstandes. Denn der Hausherr, Senatspräsident Christian Poncelet, der als Emissär in China war, hatte verhindert, dass das Treffen in einem öffentlichen und großen Saal stattfand. Die 30 französischen VolksvertreterInnen mussten den Dalai Lama in ein viel zu kleines Büro bitten. Auf eine Frage des sozialistischen Exjustizministers Robert Badinter nach dem „olympischen Frieden“ sagte der Gast klipp und klar: „Während der Olympischen Spiele gehen Repression und Verhaftungen in Tibet weiter.“ Wenige Stunden zuvor, bei einer Pressekonferenz in einem Pariser Luxushotel, hatte sich der Dalai Lama konzilianter gezeigt. Er wiederholte seine „volle Sympathie für die Olympischen Spiele in Peking“ und forderte die internationale Gemeinschaft auf, „China nicht zu isolieren“.

Die Tibet-FreundInnen des Parlaments empörten sich öffentlich gegen den Umgang mit dem Dalai Lama. „Er ist kein Bandit, sondern ein Friedensnobelpreisträger“, sagte der Präsident der Tibet-Gruppe im Senat, der Abgeordnete Louis de Broissia aus Sarkozys rechter Partei UMP. Der PS-Abgeordnete Jean-Louis Bianco schimpfte, „Frankreich benehme sich Peking gegenüber wie ein Bettvorleger“. Doch die Proteste brachten die politische Spitze in Paris nicht zum Einlenken. Am Mittwoch, kurz vor Beginn des Parlamentariertreffens mit dem Dalai Lama, teilte ein Vertrauter des französischen Präsidenten mit, Sarkozy werde den Dalai Lama am 10. Dezember empfangen. An dem Tag feiert Frankreich den 60. Jahrestag der Menschenrechtserklärung im Palais Chaillot in Paris. Bei der Gelegenheit kommen zahlreiche Staats- und Regierungschefs, FriedensnobelpreisträgerInnen und andere Stars. Da passt der Dala Lama wieder ins Konzept.

DOROTHEA HAHN