„Die Spiele haben die Stadt sterilisiert“

Chinas Politiker setzen auf die ikonografische Kraft moderner Architektur, sagt Architekturdozent Eduard Kögel. Die wird schließlich auch international verstanden

EDUARD KÖGEL, 48, ist Architekturdozent an der TU Berlin und im Vorstand des „Vereins Stadtkultur International“, der zu Stadtentwicklung in China arbeitet.

taz: Herr Kögel, wie haben sich die Olympischen Spiele auf Pekings Stadtentwicklung ausgewirkt?

Eduard Kögel: Der totale Umbau hat als positiven Effekt den Ausbau des Nahverkehrssystems. Die Spiele waren ein Anstoß, die Infrastruktur zu erneuern, was sowieso anstand. Sie haben aber auch dazu geführt, dass man die Stadt sterilisiert, also versucht, all das, was man als rückständig betrachtet, zu beseitigen. Nicht zu sanieren, sondern schlicht verschwinden zu lassen.

Laut Regierung wurden wegen der Pekinger Spiele nur 6.000 Familien umgesiedelt und angemessen entschädigt.

Die Zahl 6.000 ist Unsinn. Es sind auf jeden Fall viel mehr betroffen. Die Frage in China ist, ob die Menschen eine Wohnberechtigung hatten, wo sie gelebt haben, oder Wanderarbeiter waren, die in alten Quartieren lebten und entschädigungslos vertrieben werden konnten. Der Anteil derjenigen, denen offiziell nichts zustand, war riesengroß. Sie wurden einfach verdrängt. In China sind die Rechte des Einzelnen schwach ausgeprägt im Vergleich zu anderen Ländern. Auch in westlichen Demokratien gibt es Vertreibungen im Rahmen von Großprojekten wie Olympia, aber sie sind viel schwieriger durchzusetzen.

Was symbolisieren die neuen Vorzeigebauten renommierter westlicher Architekten wie das Vogelnest und der CCTV-Tower?

Sie stehen dafür, dass China in der globalen Liga angekommen ist. Chinas Politiker spüren instinktiv, dass traditionelle chinesische Dekorationsmodelle nicht mehr zeitgemäß sind, wenn man sich global präsentieren will. Die Politiker verstehen wohl nicht, was über diese Bauten ausgedrückt wird, aber dass sie, wenn sie auf internationalem Niveau sein wollen, dann auch international verständliche Zeichen setzen müssen. Das erfüllen diese Bauten. Sie prägen international das Stadt- wie das Chinabild neu, und man merkt jetzt schon, dass es hervorragend funktioniert. Die Gebäude lassen sich als Abziehbilder benutzen und alle sind begeistert. Diese ikonografische Kraft hat aber nichts mit Chinas traditioneller Kultur zu tun, sondern zeigt, dass so etwas auch in China möglich ist – vielleicht sogar nur dort.

Unter Architekten wird debattiert, ob es moralisch vertretbar ist, solche Renommierprojekte in einem autoritären Staat wie China zu realisieren.

Zum Teil wirkt das wie eine Scheindebatte. Architekten können das politische System nicht ändern. Aber sie können, wie das „Vogelnest“ zeigt, den Blick auf ein Land von außen verändern und damit auch die Eigenwahrnehmung der Bevölkerung. Man bemerkt in China ein wachsendes Selbstbewusstsein der Bevölkerung, das politisch nicht so einfach zu kontrollieren ist. Das wiederum wird mittel- bis langfristig zu Veränderungen führen, egal wie die Politik sich verhält. Die Politik in China ist in der Regel sowieso sehr pragmatisch und versucht zu integrieren, was sie nicht mehr steuern kann. Insofern können solche Bauten ein klein wenig dazu beitragen, dass solche Veränderungen tatsächlich stattfinden können. Aber Bauwerke sind statische Dinge, die an und für sich nur etwas darstellen und nichts verändern können. Es bedarf immer der Leute, die das vermitteln und nutzen.

Brauchen Architekten sich nicht darum zu kümmern, ob und wie für ihre Gebäude Menschen umgesiedelt werden?

Natürlich muss man das abwägen, was die meisten auch machen. Man muss aber auch sehen, dass in China diese Großbauten alle in internationalen Wettbewerben entschieden wurden, was in einer Demokratie wie Japan nicht vorkommen würde. Architekten sollten für die Einhaltung bestimmter Prinzipien kämpfen, sie sind aber nur ein kleines Rädchen.

Welche Möglichkeiten haben sie denn in China?

Relativ geringe. Die Bauleitung ist den Architekten weggenommen, sie können da gar nicht eingreifen. Sie werden eher als Dienstleister gesehen, die eine Blaupause abliefern und damit ihre Schuldigkeit getan haben. Bei einigen Stadien hört man nie die Namen der Architekten, weil sie politisch nicht verwertbar sind. Das ist doch bezeichnend.

INTERVIEW: SVEN HANSEN