Wir kennen keine Angst, sagen die Ängstlichen

GERMAN ANGST Wie die Furcht vor dem Versagen das deutsche Kombinationsspiel gegen Ghana lähmte, erklärt die Psychologie

Die Abwehrmanöver eine Spur zu schwach, die Pässe einen Tick zu kurz, die Spurts einen Hauch zu kurzatmig

Angst lähmt, sagt man. Und genauso ist es. Wer die deutschen Kicker im Spiel gegen Ghana beobachtete, konnte die Angst buchstäblich sehen: Sie klebte an den Füßen und zerrte heftiger am Trikot als der terrierhafteste Verteidiger. Was sie schlimmer als noch den ekelhaftesten Gegenspieler macht: Sie ist mit keiner Roten Karte zu stoppen. Denn sie kommt von innen. Und wirkt von dort desto stärker, je mehr man versucht sie wegzureden. „Je hartnäckiger Angst verleugnet wird, umso eher bahnt sie sich mit Hilfe undurchschauter Mechanismen schädliche Wege“, sagt der Doyen der deutschen Psychoanalyse, Horst Eberhard Richter.

Überraschenderweise war es der DFB-Präsident, der das am klarsten zu begreifen schien und es nach dem Spiel ansprach: Vielleicht seien die jungen Spieler doch nicht so gefestigt und souverän wie dauernd behauptet. Vor dem Spiel wäre es noch nützlicher gewesen. Denn die öffentlichen Stellungnahmen aus dem Team waren allesamt genau durch jene Verleugnungsstrategie geprägt, die gezielt aufs psychische Eigentor hinausläuft.

„Angst ist nicht da“, so der DFB-Teampsychologe Hans-Dieter Hermann vor dem Spiel. „Wir denken, dass die Mannschaft in die ersten Aktionen anders reingehen wird.“ So lernt man es in den allerbilligsten Motivationskursen fürs mittlere Management: Wenn man es nur tapfer genug behauptet, sei die Angst weg. Das sind Beschwörungsformeln, die an den Gesetzen der Psyche vollständig vorbeigehen. Nehmen wir die Versagensangst. Man muss wahrlich kein Psychologe sein, um sich auszumalen, was in 20-jährigen Spielern vor sich geht, die unter dem Druck stehen, sie könnten die Verantwortlichen dafür sein, dass Deutschland erstmalig in einer WM-Vorrunde ausscheidet. Und dies angesichts einer Situation, in der vom Hartz-IV-Empfänger bis zur Kanzlerin jeder eine Portion psychische Entlastung und kollektive emotionale Aufwertung durch „unseren“ Erfolg in Südafrika herbeisehnt. Solcher Erwartungsdruck schüchtert ein. Vor allem wenn man ihn nicht wahrhaben will. Ergo ging die Mannschaft eben nicht „anders“ – was ja wohl heißen sollte: entschiedener – in die ersten Aktionen rein, sondern gehemmt. War es nicht so, dass immer ein Quäntchen Energie zu fehlen schien? Dass die Abwehrmanöver eine Spur zu schwach, die Pässe einen Tick zu kurz, die Spurts zu kurzatmig und viele Zweikämpfe wie mit angezogener Handbremse wirkten? Das war Folge der „lähmenden“ Versagensangst. Ihre physischen Korrelate reichen von der Einschränkung der Atmung bis hin zur vermehrten Schweißproduktion – was bekanntlich Tiere Angst riechen lässt.

Die entscheidende Wirkung uneingestandener Angst aber ist die Hemmung, die körperliche Aktionsblockade: das Nicht-wirklich-durchziehen-Können. Geht erst ein paarmal schief, was man sich doch so fest vorgenommen hat, kann das eine negative Erlebniskaskade auslösen: Panik kommt auf und wird verstärkt durch Schuld- und Schamgefühle. Darüber, wie man damit umgeht, entscheidet die individuelle Psyche. Schön zu sehen, dass ein Lahm eben nicht gelähmt, ein Friedrich nicht eingeschüchtert und ein Schweinsteiger nicht gehemmt war. Beim Rest der Mannschaft konnte man den Eindruck haben, dass man sie durch das pseudosouveräne kraftstrotzende „Wir-kennen-keine-Angst“-Gerede fabelhaft in ein psychisches Loch manövriert und dort alleingelassen hatte. Der wirkliche Angstgegner ist die Angst selbst. Und die muss man, wie jeden Gegner, ernst nehmen, um ihn besiegen zu können. CHRISTIAN SCHNEIDER

■ Der Autor ist Kulturwissenschaftler und Begründer der psychoanalytischen Generationengeschichte