Vorarbeiter des guten Gewissens

GABE Bono und Sting sind superreiche Weltstars, die viel Gutes tun. Den einen unterstützen die mächtigsten Staatschefs. Dem anderen bringt sein Einsatz nur Ärger. Zwei Begegnungen

■  Paul Hewson: Der Junge, den Freunde „Bono Vox“ nennen sollten, kam 1960 in Dublin zur Welt. 1977 wurde er Sänger von U2, die 1981 beim legendären „Live Aid“-Konzert in London mitspielte. 2010 waren U2 laut „Forbes“ die finanziell erfolgreichste Rockband.

■  Gordon Sumner: 1951 im britischen Newcastle geboren, hatte der Mann mit dem Spitznamen „Stachel“ mit The Police 1983 schon mehr als 40 Millionen Platten verkauft. 2007 trat die Band Jahre nach ihrer Auflösung beim Live-Earth-Konzert in New York auf.

VON ARNO FRANK

Keine gute Tat bleibt ungestraft. Wie man’s macht, ist es falsch. Gibt ein Reicher nichts ab, gilt er als Egoist. Zeigt er sich freigiebig oder gar engagiert, weckt das eher Misstrauen als Bewunderung. Hält der sich für einen besseren Menschen? Oder ist sein Handeln schlicht menschlich? Und wenn es menschlich ist, liegt nicht auch darin eine Aufforderung an mich, an uns, an alle, es ähnlich zu halten? Ist das nicht zudringlich? Was glaubt der eigentlich, wer er ist?

„I’m Bono, I’m a rock star“, sagt Bono, der Rockstar, dem viele einen Friedensnobelpreis verleihen würden, vorm Interview.

„Ich bin ein Musiker“, sagt Sting. „Und ein Bürger.“

Vor allem sind sie öffentliche Wohltäter. Für sie scheinen andere Maßstäbe zu gelten als für gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger, die in der gnadenbringenden Weihnachtszeit eine der zahllosen Spendenorganisationen finanziell bedenken – oder eben auch nicht. Bono und Sting gehören zu den wenigen Idolen, die versuchen, den charismatischen Mehrwert ihrer Existenz als Künstler dauerhaft in eine aktive Arbeit für das sogenannte Gute umzumünzen. Mit Bob Geldof bilden sie so etwas wie das Triumvirat des Guten Willens: Sie waren die Avantgarde einer Generation, deren Wahrnehmung von ihrem sozialen und humanitären Engagement geprägt ist. Geldof hat mit gigantischen Charity-Konzerten, mit „Live Aid“ und „Live 8“, das Star-Hilfswesen mitgegründet. Seine Karriere als Musiker ist lange zu Ende. Bono und Sting dagegen machen sowohl humanitär als auch musikalisch immer weiter.

Bono kämpft für beziehungsweise gegen Hunger, Durst, Armut, Aids, die Kinder von Tschernobyl, fairen Handel, ökologisch produzierte Textilien, Schuldenerlass für Entwicklungsländer, Mikrokredite, Entwicklungshilfe, Musiker in Not, irische Obdachlose, Unicef, traumatisierte Kinder in Kriegsgebieten, technische Ausrüstung für Menschenrechtsaktivisten, Menschenaffen, Großkatzen, Elefanten und Blauwale.

Sting kämpft für den Regenwald.

Die jüngste Tournee von Bonos U2 war eine der erfolgreichsten aller Zeiten.

Stings aktuellstes Soloalbum ist schon vor Jahren verklungen. Derzeit tingelt er mit käsigen Sinfonieversionen seiner alten Hits durch die Welt.

Sting redet nur widerwillig

An Sting lassen sich gut die eigentümlichen Verheerungen studieren, die ein ungebrochenes Engagement für eine bessere Welt so mit sich bringen kann. Bonos Beispiel zeigt, wie das Wirken für diese Weltverbesserung und für das eigene musikalische Werk einen Glanz entfalten können, der sich mit sich selbst zu multiplizieren scheint.

Sind diese unterschiedlichen Folgen der Wohltätigkeiten das Ergebnis grundverschiedener Einstellungen? Man kann sie das fragen. Sie reden ja darüber.

1989 gründete Sting die Rainforest Foundation. Seitdem ging es mit seinem Image wie mit seiner Kunst bergab. In den frühen Achtzigerjahren war der 59-Jährige noch ein Sexsymbol, das umso begehrenswerter erschien, weil es auf der richtigen Seite stand. So stellte er etwa in „Russians“ menschliche Wärme dem Kalten Krieg gegenüber.

Die Rainforest Foundation war dann eine der ersten NGOs, die je ein Popstar gegründet hat. Sie kämpft für ein Reservat für die Kayapo-Indianer im Amazonas, für Menschenrechte und gegen den Klimawandel. Unterstützt wird die Stiftung von Elton John, Brian Wilson, Tiger Woods, Bruce Springsteen oder Billy Joel.

Und doch muss im persönlichen Gespräch mit Sting im Wolfsburger Ritz-Carlton erst ein unsichtbarer Widerstand überwunden werden, bevor er sich wirklich darauf einlässt, über sein Engagement zu reden. Er verschränkt die muskulösen Arme vor seinem eng anliegenden Pullover, hinter ihm knistert der Kamin, vor ihm steht eine Tasse Tee: „Das alles war, wie sich herausstellte, kontraproduktiv für meine musikalische Arbeit. Klar kann ich dafür sorgen, dass meine Stimme gehört wird, in den Medien, im Fernsehen. Dann aber passiert etwas Seltsames: Die Leute neigen dazu, das abzuwerten. Nach dem Motto: ‚Oh, er ist ein Popstar, er hat gut reden‘ oder: ‚Er macht das nur, damit er mehr Platten verkauft.‘ Was total krank ist, weil mein Engagement den gegenteiligen Effekt hat.“

Regierungschefs kommen und gehen. Bono bleibt: Bono. Das verleiht ihm etwas Päpstliches, Überzeitliches

Tatsächlich? Ist es nicht gewinnend, wenn ein Mensch ein Gewissen zeigt? Jetzt spielen doch wirklich zwei kleine bittere Falten um seine Mundwinkel: „Dieses Gewissen wird einem bestenfalls als Anständigkeit ausgelegt. Keineswegs führt es dazu, dass nun mehr Platten dieses ‚anständigen Menschen‘ verkauft werden. Anstand ist in unserer Branche ja eher gleichbedeutend mit Langeweile.“

Wenn man ihn danach fragt, woher genau ausgerechnet jemand, der in einer so flüchtigen Branche wie dem Musikgeschäft arbeitet, den Antrieb für nachhaltiges Engagement bezieht, antwortet Sting mit einem esoterisch angehauchten Allgemeinplatz: „Das ganze Leben wirkt oberflächlich und ist es am Ende doch nicht. Alles im Leben ist von Bedeutung, alles! Wie wir atmen, wie wir sprechen, sehen, gehen, wie wir mit anderen Menschen umgehen: Wir schöpfen das Universum. Wenn du trivial lebst, ist das Universum trivial. Wenn du aber jeder Kleinigkeit eine Bedeutung gibst, dann wird es wirklich, wirklich interessant.“

Daraus resultiert also sein Engagement. Wieso aber für den Regenwald? „Warum genau, das weiß ich bis heute nicht. Vor 21 Jahren besuchte ich den brasilianischen Regenwald und wurde von einem Stamm dort gebeten, ihm zu helfen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen könnte. Also gründete ich diese Stiftung, die nun auch schon seit 21 Jahren besteht. Wir waren im Kleinen erfolgreich und konnten dieses Kleine dann anderswo als Modell für ähnliche Projekte hernehmen. Inzwischen sind wir in 21 Ländern vertreten. Aber das ist keine große Sache, das sind ganz bescheidene Dinge.“

Sting will – oder kann – nicht mit Detailkenntnis protzen. Er äußert sich sachlich wie ein Geschäftsmann über sein Verhältnis zum Finanzamt. Sein Selbstverständnis ist das eines geldadligen Großbürgers. Der Mann ist alles andere als ein Althippie, der nun die Blütenträume vergangener Epochen verwirklichen wollte: „Ich bin ein Musiker. Und ich bin ein Bürger. Als Bürger habe ich die Pflicht, etwas zu tun, wenn ich das kann. Macht das aus mir einen besseren Musiker? Ich glaube nicht.“

Einen besseren Menschen? Für eine Sekunde verengen sich seine Augen zu taxierenden Schlitzen, dann öffnet er sie wieder weit, als würde er – leicht gereizt – mitspielen und die Herausforderung annehmen: „Wenn Sie darauf anspielen, ob mich das stolz macht, dann lautet die Antwort: Nein! Ich bin, wie gesagt, eher zufällig da hineingeraten und definiere mich nicht über meine Arbeit auf diesem Gebiet. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Es wäre idiotisch, daraus Stolz abzuleiten. Wir stecken alle mit drin. Wir haben es mit fürchterlichen Problemen zu tun, und die sind mir eben alles andere als egal. Ich spreche nur, wenn ich gefragt werde. Ich gehe nicht hausieren. Ich leiste meinen Beitrag. Mit meiner Kunst hat das nichts zu tun.“

Jetzt beugt er sich vor, stützt lächelnd die Ellbogen auf die Knie und präsentiert sein Credo: „Der größte Beitrag zur globalen Erwärmung kommt nicht von industrieller Luftverschmutzung, kommt nicht vom Reisen, nicht vom Auto- oder Flugverkehr, sondern von der Abholzung der Regenwälder, und zwar mit Abstand. Selbst wenn wir nicht mehr Auto fahren, nicht mehr fliegen und alle Fabriken schließen, würde das nicht den leisesten Unterschied machen – solange wir nicht damit aufhören, die Wälder abzuholzen und die Pflanzen zu vernichten.“

Das klingt gut, aber auch fast so, als würde da jemand protestantisch seine persönliche Schuld abarbeiten. Jemand, der sieben Häuser in verschiedenen Erdteilen bewohnt, vom Schloss in der Toskana bis zum Eiland im Pazifik, der mit dem Privatjet reist und, wie neulich in der britischen Presse vorgerechnet wurde, etwa 300 Prozent mehr Energie verbraucht als der durchschnittliche Engländer.

Während Künstler wie Radiohead oder Neil Young mit Biosprit statt Diesel oder LED statt Lasern so klimaneutral als möglich touren, soll Stings jüngste Tournee mit The Police eine der dreckigsten aller Zeiten gewesen sein. Wie steht es um die ganz private Verantwortung dessen, der private Verantwortlichkeit predigt? „Ich habe tatsächlich einen großen ökologischen Fußabdruck“, räumt er ein: „Andererseits habe ich aber ziemlich viel unternommen, das wieder zu neutralisieren. Ich kann meine Arbeit nicht machen, wenn ich nicht reise. Aus diesem Dilemma gibt es keinen Ausweg. Es sei denn, ich suchte mir einen anderen Beruf. Ja, wir haben mit Police verdammt viel verbraucht. Wir haben aber auch verdammt viel getan, diesen Verbrauch so niedrig wie möglich zu halten, mit umweltfreundlichen Trucks und so weiter. Natürlich verbrauchen auch die Leute, die zu unseren Shows kommen, enorm viel Ressourcen. Was sollen sie tun? Daheim bleiben?“

Vielleicht zeugt es ja wirklich von ökojakobinischem Furor, ausgerechnet dem Popstar vorzuhalten, er versuche im falschen das richtige Leben zu leben. Eine soziologisch geschulte Musikkritik lebt davon, jedem halbnackten nordschwedischen Popsternchen eine gesamtgesellschaftliche Relevanz anzudichten. Wenn ein echter Popstar tatsächlich gesellschaftlich aktiv wird, macht er sich dagegen zur Zielscheibe von Hohn und Spott.

Frustriert es ihn eigentlich, ständig so hart kritisiert zu werden? Langweilt es? „Nichts von beidem. Wir sind alle in der Verantwortung. Ich persönlich versuche alles, was ich verbrauche, wieder einzubringen. Dass ich dafür verfolgt und verurteilt werde, ist ein Teil meines Lebens. Ich habe sieben Wohnungen, weil ich in ihnen lebe. Ich arbeite in England, in Kalifornien, ich habe eine große Familie, ich mache manchmal Urlaub und, ja, ich reise viel. Es gibt Leute, die neiden mir das. Das ist alles. Es berührt mich nicht weiter.“

Mag sein, dass Sting hier und da den Raureif des Sarkasmus angesetzt hat. Ansonsten wirkt er wie einer, der viel in sich hineingelauscht hat, der mit sich selbst im Reinen ist. Einer, der lieber leiser tritt.

Ein Mittagessen mit Bono ist da nicht nur eine andere Hausnummer. Es ist eine andere Stadt, auf einem anderen Planeten. Der Mann, der einmal Paul David Hewson hieß, er betritt einen Raum nicht, er rauscht hinein und nimmt ihn in Besitz: „Hello! I’m Bono … and I’m a rock star!“

■  Die Anfänge: Ein Urbild der Charity-Bestrebungen von Popstars ist das „Concert for Bangladesh“, das George Harrison und Ravi Shankar 1971 organisierten. Wichtiger für die neue Generation von „Rockstars mit Gewissen“ war der „Secret Policeman’s Ball“, bei dem 1976 erstmals Musiker und Komiker aus Großbritannien ohne Gage zugunsten von Amnesty International auftraten. Das Event wurde zur Blaupause nicht nur für das Afrika-Hilfskonzert „Live Aid“, sondern der Anstoß für Musiker wie Bob Geldof, Sting oder Bono, sich ab den Achtzigerjahren als Wohltäter einzusetzen.

■  Die Umsätze: Längst gehört das Spenden und die Teilnahme an Charity-Aktionen generell zum Starsein – nicht nur in der Weihnachtszeit. Das US-Magazin Forbes führt eine Liste namens „Generous Celebs“, „spendable Stars“. Darauf stehen neben Bono die Schauspielerin Sandra Bullock, die nach dem 11. September 2001 eine Million Dollar für das Rote Kreuz gab. Oder die Sängerin Céline Dion, die Schirmherrin einer kanadischen Mukoviszidose-Stiftung ist. Der Windows-Milliardär Bill Gates finanziert ganze Malaria-Forschungszweige. Die Organisation Red, für die Bono sich engagiert, hat in den vergangenen vier Jahren 150 Millionen Dollar für den Globalen Fonds gegen Aids gesammelt. Mehr zu Bonos und Stings Hilfen: one.org, joinred.com und rainforestfoundationuk.org

„Ich bin ein Rockstar.“ Dieser entwaffnende Satz, gleich zur Begrüßung in die Runde gesprochen, ist auch schon das ganze Betriebsgeheimnis dieses seltsamen Heiligen. Er ist Bono, 50, und er ist ein Rockstar, einer der letzten Überlebensgroßen, sozusagen ein Gott im Olymp seines Fachs. Er setzt diese Größe gezielt ein, um mit anderen Göttern konferieren zu können, mit solchen der Finanz- und Geschäftswelt wie Warren Buffett und Bill Gates. Oder mit denen der Politik, mit Obama, mit Merkel, Cameron oder Sarkozy. Er hatte auch schon mit Bush, Schröder, Blair und Chirac zu tun, und mit deren Vorgängern. Das verleiht ihm zusätzlich etwas Päpstliches, Überzeitliches.

Regierungschefs kommen und gehen. Bono bleibt: Bono.

Wer sich mit ihm beim Händeschütteln fotografieren lassen will, und sei’s George W. Bush, der muss dafür zahlen.

Am liebsten setzt sich Bono für Organisationen wie Red oder One ein, Armutsbekämpfung und Schuldenerlass: „Die diplomatischen Sherpas, die die großen internationalen Konferenzen vorbereiten, lassen sich nicht gerne in die Karten schauen. Die Engländer wissen nicht, was die Franzosen vorhaben, die Franzosen nicht, was die Deutschen wollen. Aber wir wissen es, weil wir sie alle, alle kennen, weil wir wie die Bienen von einem Land zum anderen fliegen. Da spielen wir eine wertvolle Rolle bei der Verwirklichung von Ideen.“ Bono im Charity-Modus, das ist wie ein U2-Konzert, nur ohne all die Laser, die Bässe. Und U2.

Live wirkt Bono kleiner

Er hat auch hier Hits, Stanzen, die er immer wieder erzählt, wie die vom US-Viersternegeneral, der ihn sonntags zu Hause angerufen habe, um ihm zu sagen, warum der Einfluss der USA im Nahen Osten trotz ihrer militärischen Macht schwindet: „Weil Hisbollah die Schulen baut!“

Wir treffen ihn in der Bibliothek des Berliner Adlon-Hotels. Durch das Fenster kann man den Reichstag sehen. Bono hat einen kräftigen Händedruck, ist leicht unrasiert und verbirgt seine empfindlichen Augen hinter den orange eingetönten Gläsern einer Bulgari. Er wirkt massiger, als man ihn sich vorgestellt hätte. Aber auch kleiner.

Bonos Vermögen fließt ihm unter anderem aus Plattenverträgen, Plattenverkäufen, Urheberrechten, Lizenzeinnahmen, Tourneen, Merchandising und Immobilien zu, belaufen soll es sich auf etwa 160 Millionen Euro. Zuletzt zog das Unternehmen U2 aus Irland ins steuergünstigere Amsterdam – während Bono die Staaten zugleich instruiert, wofür sie ihre Steuereinnahmen ausgeben sollten. Er sagt: „Ich habe den tollsten Job der Welt, und dafür werde ich total überbezahlt.“ Er sagt auch: „Ein Armer kann den Armen nicht helfen.“

Bono kann sehr lustig sein, wenn er Sarkozy, Blair oder Clinton nachäfft: „Ich habe von Bill Clinton viel gelernt, der die Sache mit der Armut sehr robust angegangen ist: ‚Mann‘, sagte er mir, ,wir Amerikaner sind nur vier Prozent der Weltbevölkerung! Wir brauchen mehr Kun- den!‘ “, um dann wieder ernst zu werden: „Ein Begriff wie ‚Kunde‘ mag da krass klingen, ergibt aber Sinn. Was Bedürftige am wenigsten brauchen, ist Mitleid. Es ist seltsam: Afrikaner brauchen Hilfe, aber sie mögen keine Hilfe.“

1989 gründete Sting die Rainforest Foundation. Seitdem ging es mit seinem Image und der Kunst bergab

Nein, die Afrikaner wollen fairen Handel zu fairen Bedingungen, und hier komme er, Bono, ins Spiel, dessen Regeln schnell erklärt sind: „Intern manövrieren, extern mobilisieren“. Weil er das Spiel beherrscht, verwandelt er manchmal auch sichere Niederlagen in Siege: „Ich bin ins Büro des damaligen US-Finanzministers, Paul O’Neill, und der hat mich gleich wieder rausgeworfen. Er sagte“, und jetzt imitiert Bono einen Südstaatendialekt: „ ‚Haben Sie jemals in Afrika gearbeitet? Ich schon! Dort ist jeder Dollar verschwendet, so korrupt und verrottet sind dort die Regierungen, die Machthaber mit ihren privaten Lear-Jets und Palästen‘, und während ich noch aus der Tür geschoben wurde, sagte ich“, und jetzt klingt seine Stimme wieder sanft und vernünftig: „ ‚Aber was ist mit den guten Regierungen, Mr O’Neill? Die neue Generation an Politikern, die etwas bewegen will?‘ Und so kam es, dass wir zusammen nach Afrika reisten.“ Ergebnis der Charmeoffensive: „George W. Bush hat die Hilfe für Afrika verdreifacht. Verdreifacht! Dabei war er vorher überhaupt nicht an Hilfe interessiert! Bis er gemerkt hat: Hilfe ist ein Geschäft.“

Pop als Heilsversprechen

Wo die öffentlichen Angelegenheiten längst zur ritualisierten Show geworden sind, kann ein intelligenter Performer mühelos die Seiten wechseln und den Politiker spielen, der ja seinerseits immer häufiger den Popstar mimt. Bono will nicht nur Hände schütteln, er will mitspielen in den Hinterzimmern, in denen die eigentliche Politik gemacht wird. Er will Zusagen, Unterschriften und Ergebnisse. Deshalb klingt er nicht nur wie ein Politiker, er ist einer: „Eine Bewegung? Man muss den Leuten das Gefühl geben, es gäbe eine Bewegung. Der Rest ergibt sich dann von allein.“ Und um den Leuten „ein Gefühl“ zu geben, das weiß der Popstar in Bono, muss man klotzen, nicht nur kleckern wie ein Sting: „Sogar Bob Geldof arbeitet mit uns zusammen, obwohl der eigentlich nie mit jemandem zusammenarbeitet. Er ist ein totaler Eigenbrötler, ein kommunikatives, strategisches Genie, aber ein Eigenbrötler. Er sagte immer …“, Bono schaltet Geldofs irischen Dialekt ein: „ ‚Ich brauche keine beschissene Firma, um meine beschissene Arbeit zu machen!‘ “, er schaltet Geldof wieder aus: „Jetzt hat er eingesehen, dass wir klotzen müssen, um etwas zu erreichen.“

Bono wie Sting vereinen ökonomische mit charismatischer Macht. Während Sting in aller Stille sein eigenes Gärtchen des Guten bestellt, gibt Bono den singenden Vorarbeiter im Weinberg der Globalisierung. Beide sind habituelle Linke, Vertreter einer Generation, die sich mit dem System arrangiert hat – die es nicht abschaffen, sondern verbessern will. Beiden geht dabei jede revolutionäre Romantik ab. In ihnen manifestiert sich das Heilsversprechen, das dem Pop seit je innewohnt. Das Glück, es soll über die Ufer ihrer Songs treten und in die Welt einfließen. Gerechtigkeit erscheint hier nicht als fixe Idee. Sondern als magisches Schmiermittel, das die Maschine runder laufen lässt – und dabei helfen könnte, die Verhältnisse sich mit sich selbst zu versöhnen. Man müsse nur, sagt Bono, beharrlich an den richtigen Schrauben drehen.

Bono und Sting würden wohl ähnlich handeln, säßen sie an kürzeren Hebeln. Wäre Paul Hewson Brillenhändler in Dublin, wäre Gordon Sumner heute Gitarrenlehrer in Manchester – beide würden ihren Kunden und Schüler mit Petitionen und Predigten in den Ohren liegen.

Die Leute? Sollen reden, spötteln, lästern. Wie sagten doch Bono und Sting wortgleich? „No kindness goes unpunished“. Keine gute Tat bleibt ungestraft.

Arno Frank, 39, ist taz-Redakteur und wird in der Hölle schmoren