Die Enthüllung

FACEBOOK Mit der Handykamera jeden identifizieren: Name, Beruf, Vorlieben. Die Techniker wären so weit, die Datensammler auch. Doch zwischen Kalifornien und Hamburg wird noch gekämpft. Um unsere Anonymität

Das Geschäft: Seit Mark Zuckerberg Facebook 2004 gegründet hat, ist die Mitgliederzahl auf mehr als 800 Millionen weltweit gewachsen. Fast die Hälfte der Mitglieder rufen ihre Facebook-Seiten von Smartphones, iPads oder anderen mobilen Onlinegeräten ab. 130 „Freunde“ hat eine Nutzerin im Schnitt laut Facebook. Geld verdient der Internetkonzern vor allem, indem er die Vorlieben der Facebooker in Form von Daten an die Werbeindustrie verkauft; so können Firmen Anzeigen einblenden, die zu den Vorlieben der Nutzer passen. Der Umsatz könnte sich Marktforschern zufolge in diesem Jahr im Vergleich zu 2010 verdoppeln – von 2 Milliarden auf 4 Milliarden Dollar.

Das Gesicht: Seit Dezember 2010 setzt Facebook die Gesichtserkennung in den USA ein. Lädt man das Foto eines „Freundes“ hoch, schlägt die Software dessen Namen vor. Wie das technisch funktioniert, sagt Facebook nicht. Vermutlich vergleicht die Software biometrische Merkmale der neuen Fotos mit schon existierenden Bildern. Seit Juni geht das auch in Deutschland – wie in den USA werden nur Vorschläge für „Freunde“ gemacht. Theoretisch könnte man aber mit der Facebook-Datenbank Bilder von Unbekannten einspeisen und so deren Namen ermitteln. Die Technik, das auch per Smartphone zu tun, gibt es bereits. Facebook bestreitet, dass es so etwas jemals anbieten will.

VON JOHANNES GERNERT

Die Welt, die Johannes Caspar fürchtet, ist eine, in der nur noch ein Skalpell verhindern kann, dass man immer und überall von jedem erkannt wird. Egal ob jemand gerade in einem Café eine Zeitung liest oder auf einer Demonstration ins Megafon brüllt. Es müsste nur einer mit einem Handy auf das Gesicht zielen, dann würde auf dem Display ein digitales Etikett neben dem Kopf schweben: Johannes Caspar, 49, Jurist, Vater eines Sohns, Datenschutzbeauftragter der Stadt Hamburg. Caspar müsste seine Nase schmaler schneiden lassen, sein Kinn verlängern, um den Algorithmus der Kameras zu täuschen. Vielleicht würde nicht einmal das helfen.

Und auch wenn er denkt, dass die Technik, die Facebook gerade eingeführt hat, so eine Welt unangenehm nahe bringt: Vorerst schickt Caspar nur Briefe nach Kalifornien. Telefoniert. Setzt auf eine Verhandlungslösung.

Er hofft, dass er die Dinge noch aufhalten kann.

Obwohl er es mit einer neuen Staatsform zu tun hat, mit einer Art Parallelstaat, der ihn gar nicht unbedingt als Verhandlungspartner anerkennt.

Es ist Anfang Juni, der Datenschutzbeauftragte will bald in den Urlaub, als er aus den Nachrichten erfährt, dass Facebook die Gesichtserkennung in Deutschland freigeschaltet hat. Caspar ist sauer. Er hatte die Facebook-Leute extra gebeten, ihm Bescheid zu sagen.

In einem Hamburger Behördenhochhaus, einen Stock über dem Fachamt für Bauprüfung, setzt er einen Brief auf. Er hält das, was Facebook da macht, für rechtswidrig. Den Brief lässt er übersetzen und schickt ihn nach Palo Alto, in die Zentrale des Online-Konzerns – per Post und per Mail. Dann wartet er in seinem Büro mit den niedrigen Decken auf eine Antwort aus dem sonnigen Kalifornien.

Johannes Caspar ist ein höflicher Mensch mit einem runden Gesicht. An diesem Morgen trägt er ein freundlich blaues Hemd. Ein bisschen sieht er eigentlich aus wie einer, der Briefe mit Füller am Mahagonisekretär verfasst. Aber hinter ihm reiht sich gedrucktes Internetrecht in ein Pressholzregal. Vor ihm glänzt eine rote Thermoskanne. Filterkaffee. „Es lösen sich gerade Grenzen auf“, sagt er.

Facebook erkennt Gesichter. Es ist ein weiterer Schritt in eine Gesellschaft, in der es schwerfällt, anonym zu bleiben, die allgegenwärtige Enthüllung: Man müsste nur ein Bild von jemandem machen und über die biometrischen Gesichtsdaten nach dem Namen dazu suchen. Facebook beginnt gerade, von Milliarden Fotos in seiner Datenbank biometrische Informationen zu errechnen und zu speichern. Seit einigen Wochen kann es passieren, dass man Bilder von Freunden in das Netzwerk lädt und es einem Namen zu den Gesichtern vorschlägt. Man muss nur bestätigen, dass es die richtigen sind, dann kleben die Namensschilder auf den Fotos. Facebook spricht von „Markierungsvorschlägen“. Johannes Caspar von einem „Riesenrisikopotenzial“.

Es könnte der Anfang vom Ende der Anonymität sein.

Caspar hat kurz Germanistik studiert, bevor er mit Jura anfing. Wenn man ihn nach Menschen fragt, die ihn inspirieren, nennt er Kant, Einstein und Ghandi. Sich in der Öffentlichkeit anonym zu bewegen, betrachtet er als Errungenschaft der Zivilisation. Er sieht sie bedroht.

Nach drei Wochen, am 18. Juli, antwortet Facebook: Die Markierungsvorschläge seien ein Service für die Nutzer. Damit sie Bilder leichter ordnen können.

Die Konzerne rechnen sich in den Alltag hinein

Es geht nicht nur um Facebook. Auch die Fotoprogramme von Apple bitten darum, Gesichter zu markieren. Google hat schon 2006 die Firma des Deutschen Hartmut Neven gekauft, die auf Gesichtserkennung spezialisiert war. Nur hat Google es nicht gewagt, das Know-how im großen Stil einzusetzen. Facebook hat jetzt damit angefangen.

Angst ist eines der wenigen deutschen Wörter, die auch Amerikaner und Engländer verwenden. German Angst. Vielleicht ist die Angst in Deutschland vor dieser Technik besonders groß, weil die Menschen im Land von Erich Honecker und Erich Mielke nicht vergessen haben, wie Informationen Leben zerstören können.

Die Angst schlägt immer dann in eine Art öffentliche Panik um, wenn die Internetkonzerne ihre Algorithmen in den Alltag hineinrechnen lassen. Wenn Google mit Street View echte Straßenbilder auf virtuelle Karten legt. Und jetzt: Wenn Facebooks Gleichungen Gesichter identifizieren. Das Unbehagen ist so groß, weil die Virtualität auf die Realität zugreift. Weil deutlich wird, wie wenig das, was man zu Hause an seinem Rechner tut, in einem geschützten Raum stattfindet.

Johannes Caspar schätzt die Adrenalinschübe, die die Anrufe der Journalisten bringen. Wenn sich im Netz etwas tut, klingelt bei ihm das Telefon. Nach zwei Jahren im Amt ist er zum Internetexperten geworden. Google und Facebook haben ihre deutschen Zentralen in Hamburg. Deshalb sieht sich der Hamburger Datenschutzbeauftragte als deutscher Facebook-Aufseher. Das Netz schießt voran, die Datenschützer hasten mit ihren buchschweren Regeln hinterher. „Nachsteuerungsdilemma“, nennt Caspar das.

Seine erste große Auseinandersetzung mit dem Konzern ging um den Friendfinder. Facebook sammelte E-Mail-Adressen von Menschen, die gar nicht bei Facebook angemeldet waren. Caspar hat es geschafft, dass es heute eine Funktion gibt, mit der jeder verhindern kann, dass das mit der eigenen Adresse geschieht. Er hat verhandelt.

Anfang August schickt Caspar einen zweiten Brief und ein Rechtsgutachten nach Palo Alto. Er fordert Facebook auf, die automatische Gesichtserkennung nicht als Standard für alle Nutzer festzulegen. Die Bewohner des Onlinestaats Facebook sollten wenigstens ordnungsgemäß über die neue Technik informiert werden. Außerdem redet Caspar mit Journalisten. Er erhöht den Druck.

Wenig später stehen seine Sorgen in der New York Times: „Germany Investigating Facebook Tagging Feature“.

Wenn Johannes Caspar Druck macht, geht es auch um die Zukunft von Menschen wie Katharina Weiß.

Weiß ist 17 Jahre alt, sie wird im Frühjahr Abitur machen, in Bad Wörishofen in Bayern. Sie hat die letzten Sommerferien in ihrer Nikon aufbewahrt. Fische erledigen im Survival Camp, Partys in Berlin, in Hamburg. Aus jedem Schuljahr macht sie ein Fotoalbum, ein gedrucktes. Sie stellt auch Fotos auf Facebook: „Wenn ich mir denk, boah, das ist ein heftig geiles Bild, das muss ich dem, der drauf ist, posten, auf seine Pinnwand. Oder wenn wir eine heftig geile Party hatten. Dann kann man noch davon zehren.“ Sie ist eine typische Bewohnerin von Facebook. Facebook hat mehr als zwanzig Millionen Mitglieder in Deutschland, die meisten sind zwischen 18 und 34. Viele erzählen dort, was sie ärgert oder freut. Seit es den Ortungsdienst Facebook Places gibt auch: Wo sie gerade sind.

Manche beginnen den Tag auf der Seite und beenden ihn dort. Über die Technik hinter dem Like-Daumen wissen sie wenig. Neben Unbehagen ist da auch eine seltsame Ahnungslosigkeit.

Der Fotograf Wolfram Hahn hat für ein Fotoprojekt junge Leute über ihre Onlineprofile befragt. Manche fanden ihn unverschämt, als er sie auf ihre Bilder ansprach. Als würde er in ihre Privatsphäre eindringen. Dabei stand alles im Netz.

Auch Weiß verbringt einen Teil ihres Lebens bei Facebook, um den anderen Teil in den Fotogalerien, auf Pinnwänden, in Mails zu spiegeln. Es lässt sich schwer sagen, was davon virtuell ist und was real. Sie bewegt sich in einem virtuellen Universum aus Gefällt-mir-Daumen, witzigen Sätzen, blöden Kommentaren. Aber es gibt eine klar Verbindung zu ihrem Leben vor dem Computer. Die Gesichtserkennung macht diese Verbindung noch deutlicher.

Gerade erst hat ein Wissenschaftler an der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh gezeigt, wie leicht sich mit den Algorithmen des israelischen Start-ups Faces.com, die auch Facebook verwendet, anonyme Bilder aus dem Netz mit den zugehörigen echten Identitäten verknüpfen lassen. Der Superstecher17 von der Dating-Plattform stünde plötzlich mit Klarnamen da.

In letzter Zeit hat sich Katharina Weiß manchmal mit Freunden darüber unterhalten, wie diese Bildkultur von Facebook das Leben verändert. „Manche haben eine feste Vorstellung von einem im Kopf allein wegen der Facebook-Bilder. Leute, die schöne Facebook-Fotos haben, findet man attraktiver. Wenn zwei gleich hübsch sind, findet man den mit dem guten Bild schöner als den mit dem unterbelichteten.“ Obwohl man weiß, wie er in Wirklichkeit aussieht.

Vielleicht ist die deutsche Angst diesmal eine Chance

Wie wäre das bloß, wenn man auf Partys erst das Facebook-Profil checken könnte von dem Typen in der Ecke?

Nachdem die New York Times berichtet hat, teilt Facebook Caspar am 15. August mit, dass der Begriff „Face Recognition“ nicht zutreffe. Es handle sich um „Photo Comparison“. Kein Erkennen, nur ein Vergleichen von Gesichtern. Man wolle grundsätzlich kooperieren. Wie denn? Fragt Caspar in einem neuen Brief.

„Wenn jemand sagt, ich habe keine Angst davor, dass man mein Gesicht künftig tracken kann, ist das zu respektieren“, sagt er. „Aber das setzt eine gut informierte Entscheidung eines einwilligungsfähigen Subjekts voraus.“ Gar nicht so selten geht es um Minderjährige.

Und auch daher kommt dieses Unbehagen: Die Leute ahnen, dass sie den virtuellen Teil ihres realen Lebens nicht nur selbst kontrollieren. Facebook verstärkt das Unbehagen, indem es seine Regeln ständig ändert. Wer die Gesichtserkennung ausschalten will, muss sich durch komplizierte Einstellungsmenüs klicken. Ein Gestrüpp, sagt Caspar.

Vielleicht ist die deutsche Angst diesmal eine Chance. Wenn sie hilft, zu schützen.

Mitte August startet Thilo Weichert von Kiel aus einen Angriff.

Weichert ist Caspars Kollege in Schleswig-Holstein. Er kündigt an, dass er gegen Facebooks-Like-Button vorgehen will. Egal ob man gerade Rezepte sucht, Nachrichten liest oder Pornos guckt – fast überall erscheint der weiße Facebook-Daumen. Man soll ihn anklicken, „liken“ also, sagen, welches Rezept, welche Schuhmarke man mag. Je genauer Facebook so die Onlinewege, die Vorlieben, seiner Mitglieder ausforscht, desto besser kann es Geld verdienen – indem es ihre Profildaten zu Werbezwecken verkauft. Von „Like-Economy“ sprechen zwei Wissenschaftlerinnen aus London und Amsterdam. Facebook tauscht Personendaten mit tausenden anderen Seiten aus. Darunter könnten auch Gesichtsschnipsel sein.

Der Konzern, beklagt Weichert, lege mit dem Button umfassende Nutzerprofile an. Er droht Seitenbetreibern, die den Daumen einbauen, mit Bußgeld – bis zu 50.000 Euro.

In Hamburg erhält Johannes Caspar am 16. September eine Antwort der Justizabteilung aus Palo Alto. Sie machen Änderungsvorschläge. Aber wie genau sollen die Mitglieder informiert werden? Caspar antwortet mit einem Brief voller Fragen.

Die Lösung, die er vorschlägt, ist einfach. Facebook müsste die Markierungsvorschläge auf „aus“ stellen, standardmäßig. Damit jede Nutzerin sie bewusst „an“ klicken kann. Warum tut Facebook das nicht einfach?

Seit dem Frühjahr hat Facebook in Deutschland ein Gesicht: Tina Kulow, Pressesprecherin. Ein gutes Dutzend Leute arbeiten für Facebook in Deutschland, in zwei PR-Agenturen, eine in Hamburg, eine in Berlin. Die eine ist für das Produkt zuständig, die andere für die Politik. Gesichtserkennung ist Politik.

Deshalb findet das Treffen mit Kulow in einem Bürogebäude in der Berliner Friedrichstraße statt, helles Holz, ein milchglasmatter Tisch. Kulow trägt praktische Wildlederschuhe, eine unauffällige Plastikbrille und immer den Anflug eines Zwinkerns in den Augenwinkeln. Sie kommt gerade aus dem Zug, etwas zu spät, sorry, sorry, stellt ihr Macbook Pro auf den Tisch und legt das iPhone daneben.

Warum schaltet Facebook, das, was es Markierungsvorschläge nennt, nicht erst mal aus – so dass man sie selbst einschalten kann? „Ein wichtiger Punkt ist tatsächlich, dass die Leute das gerne machen“, sagt Tina Kulow.

Warum muss man die, die es nicht nutzen wollen, dazu zwingen, es erst einmal zu tun?

„Wir stellen neue Services zur Verfügung, die Leuten probieren das einfach aus und entscheiden dann selbst, wie sie es nutzen.“

Bevor Mark Zuckerberg Facebook 2004 gründete, schuf er eine Seite namens Facemash. Als Student in Harvard hackte er sich in das geschützte Universitätsnetzwerk ein, um Bilder von seinen Kommilitonen zu klauen. Auf Facemash konnten die Leute die gestohlenen Gesichter bewerten: Hot or not? Die Seite existierte nur wenige Stunden. Aber er hatte einen Treibstoff von Facebook entdeckt: Voyeurismus. Und er hat damals schon ein Geschäftsprinzip von Facebook etabliert: Frechheit.

2010 hatten die Entwickler von Facebook nach einer Möglichkeit gesucht, die Fotoverwaltung zu vereinfachen. Sie führten die Gesichtserkennung ein. Wer sollte etwas dagegen haben?

Als der Service im Juni 2011 nach Deutschland kam, merkten viele gar nicht, dass sie da gerade etwas ausprobieren, weil Facebook die Profileinstellungen einfach mal verändert hatte. Die typische Facebook-Frechheit.

Man kann sie den Programmierern aus Palo Alto ansehen, wenn man sich durch ihre Fotoalben klickt, wo sie feiern, mit Strohhalmen aus Eimern saufen, mit bunten Hüten auf dem Kopf, Freundinnen im Arm – und dem weißen Markierungskästchen am Gesicht, mit ihrem Namen darauf, ein wenig wie eine eckige Sprechblase. Sam Odio, der frühere Chef der Fotoentwicklung, hat seine Familie markiert. Weihnachten 2010. Papa, William A. Odio, ein karierter Schal um den Hals, bekommt iLife von Apple, die Mama, Carolyn Odio, schaut in ein Macbook. Der Baum, das Kaminfeuer. Die Katze.

Es muss einem Menschen wie Sam Odio absurd vorkommen, was irgendein deutscher Datenschützer befürchtet. Privatsphäre? What the fuck?! Weihnachten war doch schön.

Es sind technikbegeisterte Jungs wie Zuckerberg und Odio, die mit ihren Programmiercodes die Anonymität aushöhlen. Aus Spaß.

Zuckerberg hat sich diesen Spaß nie nehmen lassen, so viele Neubürger auch in den digitalen Facebook-Staat einzogen. Er hat nur angefangen, Leute einzustellen, die dafür sorgen, dass er für seinen Spaß nicht zu viel Ärger bekommt. Jetzt, wo sein Start-up zu einem Konzern geworden ist, der bald an die Börse gehen könnte. Der bis zu 100 Milliarden Dollar wert ist, wie optimistische Analysten schätzen.

Tina Kulow lacht häufig, manchmal ein wenig abwehrend. Die Gesichtserkennung greife nur bei Freunden. Wer Bilder von Fremden hochlädt, erfährt nichts über sie. Kulow zeigt ein Foto ihrer Kolleginnen, junge lächelnde Frauen, alle mit Markierungssprechblasen versehen.

Facebook wiegelt ab. Aber wer vertraut dem Konzern?

Sie verstehe, „dass Leute Bedenken haben, was Technologie machbar machen kann.“ Deshalb habe man die Funktionen vorher in einem Blog angekündigt, bei der Einführung mit Hilfeseiten darauf hingewiesen und später Anzeigen geschaltet, um alles noch genauer zu erklären.

Und: „Wir legen keine Datenbank an, in die man irgendein Foto reingibt und eine Information rausbekommt“, sagt Kulow. „Diese Vorstellung: Jemand kommt mit einem Foto und sagt: ‚Guck mal, wer das ist.‘ Das funktioniert nicht. Das ist nicht der Punkt.“ Das mag sogar stimmen. Aber es fällt schwer, einem Spaß-Konzern-Staat zu vertrauen, dass das so bleibt, wenn an dessen Spitze ein paar Jungs sitzen, die die Hebel in den Profileinstellungen so umlegen, wie sie Lust haben.

Es passt zu ihrer Frechheit, dass der Konzern in offiziellen Statements nahelegt, der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar sei gar nicht richtig zuständig. Facebook Europa sitze in Irland. Man müsse sich also in erster Linie vor dem irischen Beauftragten verantworten, nicht vor dem Hamburger. Es ist eine dieser Internetfragen, die bisher kein Gericht entschieden hat.

Caspar könnte die Entscheidung vorantreiben – indem er einen Bußgeldbescheid erlässt, eine Unterlassungsverfügung. Aber erst mal wartet er ab. Er glaubt an das Verhandeln, an die Vernunft. Vielleicht fürchtet er auch, dass ein Gericht entscheidet, er sei gar nicht zuständig.

Die Technik schleicht heran, sagt Caspar. Das ist das Gefährliche.

Ende August telefoniert er mit Leuten von Facebook. Sie versprechen, ihm etwas vorzuschlagen, bis zum 16. September. Manchmal ist Facebook wie ein alter, schwerhöriger Opa. Erst wenn tausende Netzbürger laut genug schreien, bewegt es sich.

Johannes Caspar wird die Dinge trotzdem nur schwer aufhalten können. Er hat nicht einmal genug Leute, um immer mitzubekommen, wo Facebook, Google oder Apple mal wieder eine neue Grenze überschreiten.

Im Fraunhofer Institut für technische Datenverarbeitung in Darmstadt lässt sich die Entwicklung der vergangenen Jahre beobachten. Die Gesichtserkennung war eine Technik der Passkontrollen, der Videoüberwachung.

Im Obergeschoss des Instituts steht eine ältere Kamera, die lange braucht, um ein Gesicht überhaupt zu finden. Der brummende Computer schlägt auch mal einen Frauennamen vor, wenn ein Mann mit langen Haaren davorsteht. Ein paar Schritte und einige Entwicklungsjahre weiter passiert das an einem anderen Gerät viel seltener.

Aus der Sicherheitstechnik wird Haushaltskomfort

„Zwischen 2004 und 2007 hat sich die Leistungsfähigkeit verdreifacht“, sagt Alexander Nouak, der am Fraunhofer Institut biometrische Techniken erforscht. Die schnelleren Chips, die größeren Speicher haben Visionen verwirklicht. Die Gesichtserkennung identifiziert einen Laptopbesitzer, damit er nicht extra ein Passwort eingeben muss. Oder eine Autofahrerin setzt sich ans Steuer und der Rückspiegel stellt sich automatisch auf sie ein. Es geht nicht nur um Kontrolle, sondern um Komfort. Die Technik ist von den Sicherheitsfirmen zu den Start-ups gewandert. Die wurden von Google oder Facebook gekauft. Es gibt wenige, die weiter unabhängig sind.

Eine ist Viewdle, Firmensitz in Palo Alto, Kalifornien, 55 Entwickler programmieren in der Ukraine und in Uruguay. Der Chef ist Franzose, Laurent Gil. Er hat einmal für eine Bank gearbeitet, aber es fasziniert ihn mehr, Probleme mit Codezeilen zu lösen. Er ging ins Silicon Valley.

Es gibt eine Anwendung von Viewdle, mit der man ein Bild von einem Freund machen kann und das Smartphone erkennt ihn. Auch die neueste iPhone-Software kann seit einer guten Woche Gesichter erkennen.

Was Johannes Caspar fürchtet, ist damit längst möglich. Es geht nur noch darum, mit welchen der Unmengen von Personendaten sich ein Foto verbinden lässt.

Viewdle hat seinen Dienst so abgeriegelt, dass er nur Freunde erkennen kann, Leute, mit denen man etwa auf Facebook verbunden ist. Keine Fremden. „Wir haben als Unternehmen beschlossen, dass das die rote Linie ist, die wir nicht überschreiten“, sagt Gil.

Wahrscheinlich ist die Frage, wer es dann tut. Wann.

Laurent Gil will Smartphones jetzt beibringen, wie sie Objekte registrieren. „Eine Kamera könnte nicht nur erkennen, dass da ein Freund vor Ihnen steht, sondern auch, dass er eine Cola trinkt. Das könnte man dann auf Facebook anzeigen.“ Man müsste gar nicht mehr auf einen Like-Button klicken, um zu zeigen, dass einem die Cola gefällt. Facebook wüsste das auch so.

Es würde ein anderes Problem lösen, dass Zuckerberg hat. Irgendwer muss den Spaß bezahlen. Warum nicht Coca-Cola? Wenn es dafür so viel erfährt.

Es sind Typen wie Gil, wie Zuckerberg, die sich mit roten Wangen über ethische Grenzen hinwegtippen. Aus Spaß.

Johannes Caspar ist der Grenzkontrolleur. Der Spielverderber. Das ist sein Job: Spiele zu verbieten, wenn sie gefährlich werden.

Anfang Oktober liegt ihm ein neues Angebot aus Palo Alto vor. Facebook könnte den Begriff „Gesichtserkennung“ auf seiner Seite nennen. Ein Fortschritt. Aber Caspar will, dass man sich bewusst dafür entscheiden muss. Während er verhandelt, ermöglichen es Facebooks Entwickler, dass man immer, wenn man etwas schreibt, eingibt, wo man gerade ist. Und mit wem.

Um zu beweisen, dass nicht die Technik schuld ist, arbeiten Gils Leute jetzt an einem Gegenmittel. Eine Applikation, die alle Fotos einer Person findet, die im Netz unterwegs sind – und sie löscht. Wenn man möchte.

Es wäre ein Werkzeug für mündige Nutzer. „Wir befinden uns gerade in einem Wandel, in einem Paradigmenwechsel vom Big-Brother-Staat in eine Überwachungsgesellschaft“, sagt Caspar. Seine Augen sehen hinter der schwarzen Designerbrille ein wenig erschöpft aus, aber wach. Der Staat pflanzt nicht nur Bundestrojaner auf Computer, seine Ermittler melden sich bei Facebook an, sie bitten Facebook um Daten. Der FBI-Chef war schon in der Facebook-Zentrale zu Gast.

Auf Partys fotografiert jeder alle. Wie abturnend

„Heute haben über 80 Prozent der Leute, die sich an uns wenden, Probleme mit nichtstaatlichen Stellen.“ In den Neunzigern war es eher umgekehrt. Vor zehn Jahren verzeichnete seine Behörde 500 schriftliche Beschwerden pro Jahr, heute 1.700. Noch stärker als ein sicherheitsfixierter Staat könnte der Exhibitionismus der Menschen die Entwicklung antreiben. „Wir leben in einer Gesellschaft, die den Exhibitionismus fördert“, sagt Caspar.

Die Abiturientin und Facebook-Bürgerin Katharina Weiß veröffentlicht gerade ihr drittes Buch. Ihr erstes, ein Bestseller, hieß „Generation geil“, das zweite „Schön!?“ Weiß schreibt viel und überlegt. Sie fotografiert und veröffentlicht bewusst. Über die Gesichtserkennung hatte sie bisher kaum nachgedacht.

Als Katharina Weiß fünfzehn war, haben ihre Freundinnen sich auf Partys ständig fotografiert. Heute ist sie die Einzige. Sie spürt die Schattenseite: „Es ist so abturnend, wenn du dich immer beobachtet fühlst. Es passiert nichts mehr, wenn man nur noch denkt: Da kommen Fotos auf Facebook.“

Was wäre erst, wenn jedes Foto gleich Informationen über die Leute darauf mitliefern würde, mitverbreiten?

„Ich fände das so bedrückend“, sagt Weiß. „Dann könnte man nicht mehr im Ansatz Unheil stiften. Man kann überhaupt nichts Unnormales mehr tun.“ Geheimnisse, sagt sie, erhalten doch Freundschaften. Trotzdem versieht sie ihre Freunde auf den Fotos mit Namensmarkierungen. Und hilft der Facebook-Datenbank so, zu lernen.

Johannes Caspar schreibt Briefe, Mails, er diskutiert in Telefonkonferenzen, in Sitzungssälen. In dieser Woche hatte er wieder ein Treffen mit Facebook-Vertretern. Er hat eine letzte Frist gesetzt, seine Forderungen umzusetzen: 7. November.

Gerade hat Mark Zuckerberg den neuen Service Timeline vorgestellt. Facebook will die Leben seiner Bürger in seinen Serverfarmen konservieren. Fotos, Pinnwandeinträge, Mails. Alles.

Johannes Caspar ist nur ein deutscher Datenschutzbeauftragter. Ganz wird der Konzern seine Forderungen wohl nie erfüllen. Facebook müsste dafür seine Frechheit aufgeben.

Vielleicht sollte Caspar mit einem Bußgeld drohen. Vielleicht wird es langsam Zeit, dass er frech wird.

Johannes Gernert, 31, ist Facebook-Bürger und sonntaz-Redakteur. Likes: Freiheit, Wirtschaftsreportagen, Adidas Top Ten