JEAN PETERS POLITIK VON UNTEN
: Der Fetisch vom Alleinsein

Unsere Ökonomie führt direkt zu Isolation. Dabei gibt es noch einen Ausweg: teilen und vertrauen

Vor zwei Wochen trafen sich etwa dreißig Leute, die die gemeinsame Angewohnheit haben, ihr Eigentum zu kollektivieren. Manche nur das Essen innerhalb ihrer WG, die meisten aber ihr gesamtes Monatseinkommen, sogar inklusive Vermögen und kommenden Erbschaften. Manche wohnen zusammen, manche sind in ganz Europa verteilt. Aber wirtschaften, das tun sie gemeinsam. Das Prinzip dabei: Ich gebe, was ich kann, und nehme, was ich brauche. Die Grundlage ist Vertrauen – in sich selbst und die anderen.

Es gibt nur wenige Tätigkeiten, bei denen ich fast immer alleine bin. Ich schreibe alleine Tagebuch. Ich masturbiere alleine. Und, ja, ich schaue alleine auf mein Online-Bankkonto. Vor allem dieses geheimnisvoll-intime Verhältnis zu meiner Bank finde ich etwas schräg.

Wenn die Kultur ein haariges Tierchen wäre und der Umgang mit Geld ihr dicker rechter Zeh, dann ist dieser Zeh blauschwarz und dick angeschwollen. Unser Verhältnis zum Geld ist krank. Eigentum und Individualismus haben sich stark fetischisiert. Und es ist absehbar, dass individuelles Eigentum zum sadomasochistischen Charakter der Ewiggestrigen wird.

Zum einen werden die Arbeitsverhältnisse immer prekärer. Alle müssen einzeln schauen, dass sie eifrig ihr Bestes tun, um am Konsum teilhaben zu dürfen. Doch diesen Kampf kann man alleine immer schwieriger gewinnen. Sich in Kleinfamilien zu organisieren, wird bald nicht mehr reichen, es sei denn, wir schicken auch die Kinder noch zum Arbeiten. Die Alternative ist, Banden zu bilden, in denen wir uns gegenseitig auffangen und unterstützen.

Die völlige Fixierung auf individuelle Freiheit führt inzwischen immer stärker zu psychotischer Isolation. Der Ausweg aus dieser notorischen Einsamkeit führt ins Kollektiv, in die Gemeinschaft. Um die richtige Mischung aus individueller und kollektiver Handlung zu finden, müssen wir kollektives Handeln im Alltag üben. Dazu braucht es grundsätzliches Vertrauen – genau das, was der globalen Finanzwelt gerade fehlt.

Wir müssen uns wieder mehr über Vertrauen im Kleinen organisieren. Unser Bewusstsein für die Komplexität und Unvorhersehbarkeit der Verhältnisse, für große gesellschaftliche Umbrüche und Krisen, schafft ein generelles Gefühl der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit. Das vermisste Vertrauen findet man, indem man sich auf Menschen einlässt. In kollektiven Strukturen können wir eine Verbundenheit schaffen, die vor dem Wahnsinn der Ökonomisierung des Lebens schützt.

Es bilden sich immer mehr Gruppen, die ihr Hab und Gut zusammenlegen. Ein kleiner erster Schritt kann auch sein, jeden Monat die Hälfte seines Einkommens in einer Gruppe von FreundInnen zu teilen, um sich gegenseitig eine Lebensgrundlage zu garantieren. Ich will das bald mal versuchen. Und mein Fetisch, immer nur alleine auf mein Online-Banking zuzugreifen, kann so ein wenig aufgeweicht werden.

Der Autor ist Clown und politischer Aktivist Foto: S. Noire