Zurück in die Zukunft

ENERGIEWENDE Stefan Mappus hat sein Land an die Atomkraft gekettet. Jetzt will er da raus. Eine Rekonstruktion

Der Konzern: Die EnBW hat je zwei Reaktoren in Philippsburg und Neckarwestheim. Sie bringen laut einer Studie des Wirtschaftsprofessors Uwe Leprich über die Hälfte des Gewinns – mehr als etwa Kohlekraft. Er betrug 2010 1,9 Milliarden Euro (Ebit). Umsatz: 17,5 Milliarden.

Die Probleme: Brennelementesteuer, schlechte Strompreise – im Februar jammerte EnBW-Chef Hans-Peter Villis: „Ich muss mich nach der Decke strecken.“ Nun musste er Philippsburg I vorläufig und Neckarwestheim I endgültig abschalten. Das Öko-Institut schätzt, dass dies EnBW pro Tag über 1,5 Millionen Euro kostet.

VON JOHANNES GERNERT, GEORG LÖWISCH
UND PETER UNFRIED

In den Stunden, in denen Japan erschüttert wird, steckt Stefan Mappus auf der anderen Seite der Welt im Wahlkampf. Die Fernsehbilder beginnen auf ihn zu wirken. Am Morgen danach telefoniert der Regierungschef des Landes Baden-Württemberg mit der Bundeskanzlerin. Er weiß, dass dieses Ereignis Konsequenzen für ihn hat.

In den Stunden, als die Flutwellen über Japan rollen, feiert Julian Osswald den Geburtstag seines jüngsten Sohnes. Er ist CDU-Oberbürgermeister von Freudenstadt am Rande des Nordschwarzwalds. Und weil er Diplom-Geograf ist, schießen ihm Begriffe wie Feuergürtel und Plattentektonik durch den Kopf. An die Folgen für die Stromversorgung seiner Heimat denkt er erst später.

In den Stunden, als in Japan die Reaktorkatastrophe ihren Lauf nimmt, bereitet der Grüne Franz Untersteller in Nürtingen einen Truthahn zu. Er hat sich auf den Abend mit der Familie gefreut, aber als er die Nachrichten sieht, kann er sich kaum auf das Essen konzentrieren. Der Kampf gegen die Atomkraft ist sein Lebensthema. Er ahnt, dass dieses Ereignis viel ändern wird.

Montag, Schriesheim nördlich von Heidelberg. Auf dem Mathaisemarkt riecht es ein bisschen nach Frühling und stark nach gebratenen Hühnern. Im Bierzelt tröstet sich Stefan Mappus erst mal mit einem Guttenberg-Witz. Er listet die Reihe jener auf, die vor ihm Hauptredner im Göckelesmaier-Zelt waren: Dr. Kohl, Dr. Strauß, Dr. Stoiber, Dr. Merkel. „Meine Damen und Herren“, sagt er dann, „ich arbeite noch an meiner Dissertation.“ Dädäää. Während das Zelt noch wackelt, dimmt er seine Stimme runter.

Dann kommt er auf Japan zu sprechen.

Warum hat Mappus diesen Deal eingefädelt?

Der Ausstieg aus der Atomkraft hat für Stefan Mappus am Morgen begonnen. Der Ministerpräsident telefoniert wieder mit Angela Merkel, sie beratschlagen, wie sie verhindern können, dass aus der Katastrophe in Japan eine Katastrophe der CDU wird. Nun, im Wahlkampfbus, im Zelt, in der Mehrzweckhalle, beginnen seine Sätze stets mit den Worten „Gerade ich“. Gerade er stehe doch angesichts des Unglücks von Fukushima „besonders in der Pflicht“, weil er die Verlängerung der Laufzeiten deutscher AKWs befürwortet habe.

Bis zum Montagabend wird er erklärt haben, dass das Kraftwerk Neckarwestheim I vorerst abgeschaltet werde. Am Dienstagvormittag sitzt er neben der Bundeskanzlerin in Berlin und pflichtet ihr bei, dass insgesamt sieben Kraftwerke in Deutschland vorläufig vom Netz müssen. Am Dienstagnachmittag erklärt er, dass Neckarwestheim I endgültig stillgelegt wird. Und zwar in vier bis fünf Tagen schon – das sagt er am Dienstagabend.

Neckarwestheim I hätte ohnehin teuer nachgerüstet werden müssen und bei den anderen Reaktoren ist bisher nichts endgültig. Aber gemessen an Mappus’ Politik ist die Kehrtwende radikal. Er hat sein Land an die Atomkraft gekettet. So entschlossen, dass selbst CDU-Oberbürgermeister murrten, Julian Osswald aus Freudenstadt etwa. So eng, dass es selbst für Franz Untersteller, den grünen Anti-Atom-Fachmann aus Nürtingen, nach einem Regierungswechsel schwierig würde, den Ausstieg zu schaffen. Die Politik des Stefan Mappus wird für das Land obszön teuer, weil er sich gerade erst in einen Atomkonzern eingekauft hat. Warum hat er das getan?

Als Stefan Mappus, 44 Jahre alt, am Dienstag in Berlin mit Merkel und den anderen CDU-Fürsten vor den Journalisten sitzt, merkt man ihm an, wie schwer ihm das fällt. Er hat einen Frosch im Hals. „Ich mach’ keine Kehrtwende. Aber ich glaub’, das, was wir tun, ergibt sich doch, wie es die Bundeskanzlerin auch dargelegt hat, aus sich selbst heraus.“

Es wirkt, als würde er der Zeit hinterhereilen, um noch rechtzeitig anzukommen im Jahr 2011. Am 27. März. Am Wahltag. Stefan Mappus eilt zurück Richtung Zukunft.

Bisher folgte sein Handeln einer anderen Logik: Er bewegte sich in die Vergangenheit. Mit 39 Jahren ist er Chef der CDU-Fraktion in Baden-Württembergs Landtag. Viel verändert sich da gerade in seiner Partei. Günther Oettinger jongliert gedanklich Schwarz-Grün, Ursula von der Leyen führt das Elterngeld ein, Angela Merkel spricht viel von Mitte. Mappus ist ehrgeizig. Er strebt in die entgegengesetzte Richtung. Finger weg von Schwarz-Grün, zurück zur Wertschätzung der Hausfrau, zurück zu den konservativen Wurzeln der Partei. Das wird sein Alleinstellungsmerkmal.

Fünf Jahre später ist er Ministerpräsident und ein paar Journalisten schreiben, dass da vielleicht ein neuer Franz Josef Strauß heranwächst. Markig, schlau, unerschrocken. Wie einst der Bayer hat Mappus sogar einen Pilotenschein.

Wie Strauß ist er für die Atomkraft. Als es um die Laufzeiten der AKWs geht und Umweltminister Norbert Röttgen Bedenken hat, legt er dem Parteifreund den Rücktritt nahe. Viele in seiner Partei wundern sich über den Stil des neuen Ministerpräsidenten. „Die Schlachten um Wackersdorf und die Pershing-Raketen sind geschlagen“, sagt ein CDU-Mann, der nah dran ist. „Aber Mappus steht immer noch auf dem Schlachtfeld wie ein Retro-Ninja.“

Ende 2010 führt Mappus noch so einen Kampf. Stuttgart 21, der Konflikt um einen Hauptbahnhof und die Entwicklung einer Stadt, eine niedergeknüppelte Kundgebung im Schlossgarten. Er hat die Achtziger erreicht in seiner Zeitreise, aber gut läuft es nicht für ihn. Er redet von Bürgerbeteiligung, holt den großen alten Heiner Geißler nach Stuttgart.

Und beschließt, ein eigenes Thema zu setzen. Einen Milliarden-Deal.

Es geht um die Energie Baden-Württemberg, Deutschlands drittgrößten Stromerzeuger. Die EnBW hat je zwei Reaktoren in Neckarwestheim und Philippsburg, kein anderer deutscher Konzern bezieht einen so hohen Energieanteil aus Atomkraft.

Als Nachwuchspolitiker hat Mappus erlebt, wie der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel den Anteil des Landes verkaufte. 45 Prozent gehören seitdem der Électricité de France, EDF. Weitere 45 Prozent der Aktien halten neun Landkreise, zusammengeschlossen in den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken. 5,8 Prozent gehören Stadtwerken, ein bisschen was ist an der Börse.

Ein Millionengeschäft mit dem alten Buddy

Den Rückkauf der EnBW baldowert Mappus mit seinem Freund Dirk Notheis aus, dem Deutschlandchef der Investmentbank Morgan Stanley. Mappus kennt den zwei Jahre Jüngeren aus der Partei, seine ersten Wahlplakate hat Notheis für Strauß geklebt, später die Junge Union im Südwesten geführt und sich fortan ein Geflecht aus Politik und Wirtschaft gewoben. Im CDU-Landesvorstand sitzt er noch. Für Mappus soll die Transaktion ein Offensivthema werden, für Notheis ein Millionengeschäft, das seine Stellung bei Morgan Stanley stärkt.

Die Verhandlungen laufen vertraulich, glücklicherweise sind der Vorstandsvorsitzende von EDF und der Frankreich-Chef von Morgan Stanley Zwillingsbrüder. Mit den Franzosen wird ein Preis von 4,7 Milliarden vereinbart, für die das Land eine Staatsanleihe aufnimmt.

All das verkündet Mappus am 6. Dezember 2010, als das Geschäft schon durchgezogen ist.

Überall wird von Bürgerbeteiligung gesprochen, aber das Milliardengeschäft machen vor allem zwei alte Buddys. Das Parlament erfährt nichts. Das Kabinett und sogar der Finanzminister sollen erst im letzten Moment informiert worden sein. Mappus bestreitet das. Kein Wunder, denn er wollte den Deal durch einen Notstands-Artikel der Landesverfassung legal machen. Und dort steht: Der Finanzminister muss mitentscheiden.

Tatsächlich entscheidet der Ministerpräsident – wie ein Alleinherrscher.

Geheim habe alles sein müssen. Sonst hätten Spekulanten die EnBW-Aktie und damit den Kaufpreis hochgetrieben, sagt Mappus. Der Kauf sei richtig: Die EDF hätte laut Verträgen ihre Anteile Ende 2011 verkaufen können – ans Ausland, schlimmstenfalls an Moskau. „Wir haben gehandelt, bevor zum Beispiel in- oder ausländische Finanzmarktakteure nach den Schalthebeln unserer Energieversorgung hätten greifen können.“

War es wirklich so dringlich, fremde Investoren herauszuhalten? Musste er sich bei seinem Freund Notheis für irgendetwas revanchieren? Oder war es das Hauptmotiv, endlich in die Offensive zu kommen?

Schon im Dezember hat Mappus verkündet, dass das Land nicht alle Anteile behalten soll, sondern welche verkaufen: an der Börse und an Stadtwerke im Land.

Julian Osswald war ein potenzieller Käufer. Er ist Oberbürgermeister von Freudenstadt, 23.000 Einwohner, ein Kurort am Rande des Nordschwarzwalds, voller Fachwerk und Springbrunnen. Osswald, 45, ist von wuchtiger Statur. Sein Schwäbisch hat kräftige Noten, „Inweschtor“. Er ist in der CDU, er sagt, dass er den EnBW-Deal erst mal gut finde. Aber für seine Stadtwerke möchte er keine Atomanteile kaufen. Auch seinen Kollegen im Verband Kommunaler Unternehmen, in dessen Vorstand er sitzt, empfiehlt er das nicht. „Es passt von der Denke und der Ausrichtung her nicht zusammen.“

Seine Stadtwerke setzen, wie viele andere in Baden-Württemberg, auf erneuerbare Energien, die sie vor allem vor Ort produzieren wollen. Das neueste Freudenstädter Projekt: eine Biomüllvergärungsanlage. 14.000 Tonnen Biomüll pro Jahr, bisher ist er einfach verbrannt worden. Nun soll daraus erst Gas und dann Strom werden, die Wärme fließt in ein Krankenhaus, in ein Hotel und andere Gebäude. Die Stadtwerke, berichtet der Oberbürgermeister, genießen hohes Ansehen: „Die liegen ja noch vor dem ADAC!“ Die Freudenstädter Stadtwerke kaufen Strom aus Windkraft und Wasserkraft ein.

„Wir wollen grüner werden“, sagt Osswald, „und ökologischer.“ Er sitzt in seinem holzvertäfelten Büro, Nadelstreifen, die Schuhe schimmern schwarz. Durch die weißen Vorhänge fällt die Frühlingssonne.

Direkt mit Mappus verglichen ist Osswald eine kleine Nummer. Aber er ist dort, wo in der CDU viele angekommen sind. Im Gegensatz zu Mappus orientiert er sich zur politischen Mitte hin.

Vielleicht fällt es ihm leicht, weil sein Vater für die SPD im Bundestag saß, aber vielleicht entspricht das auch einfach der Lebenswirklichkeit im Baden-Württemberg des Jahres 2011.

Der Oberbürgermeister steht nicht allein da mit seinem Desinteresse an Atomanteilen, jetzt schon gar nicht. Ein Einstieg bei EnBW wäre für die kommunalen Energieunternehmen ein Schritt in die Vergangenheit gewesen. Osswald will nicht zurück in der Zeit, er will ihr voraus sein.

Es hätte Mappus eigentlich klar sein müssen, wie waghalsig der Einstieg ist. Dass für die Atomkraft die neue Brennelementesteuer und für die Kohlekraft bald CO2-Zertifikate zu Buche schlagen. Am Dienstag hat das ZDF-Magazin „Frontal 21“ über eine Bankanalyse berichtet, die vor Investitionen in deutsche Energiekonzerne warnt. Sie stammt ausgerechnet von Morgan Stanley, der Bank von Dirk Notheis. Das Papier vom September 2010 befasst sich mit Eon und RWE und die sind sogar besser aufgestellt als EnBW. Die Banker dröseln auf, wie schwach das Geschäft auf dem deutschen Markt laufe und wie wacklig der politische Rahmen für Atomkraft sei.

Am Mittwoch hat Greenpeace eine Studie des Wirtschaftsprofessors Uwe Leprich zu EnBW obendrauf gelegt. Ergebnis: abhängig von der Kernenergie. Radikaler Kurswechsel nötig, aber das wird teuer fürs Land.

In Julian Osswalds Freudenstadt ist die Beliebtheit von Atomkraft eh gesunken, jetzt werden noch mehr Menschen Ökostrom kaufen. Egal, wer die Wahl gewinnt, sagt Osswald: „Jede mögliche Regierung wird die EnBW grüner machen.“

Mappus ist ja schon unterwegs in die Zukunft. Weil er muss. Schnell. Er schickt Beamte zur Inspektion nach Philippsburg. Ruft, er sei kein Atom-Ideologe. Sorgt dann dafür, dass EnBW in der Nacht zum Donnerstag Neckarwestheim I und Philippsburg I herunter fährt.

Stuttgart-Feuerbach. Die Grünen treffen sich am Abend im Freien Musikzentrum, ein Backsteinbau neben dem Baumarkt. Nur fünfzehn Leute sind da, vielleicht sind welche zu Hause geblieben, vor dem Fernseher, um zu erfahren, was in Japan passiert. Dafür ist das Fernsehen im Musikzentrum, ein Kamerateam von RTL. Der Scheinwerfer wird gleich über Franz Untersteller kreisen, dem Anti-Atom-Fachmann. Er ist jetzt interessant.

Franz Untersteller hüpft auf das Podium. Schummriges Licht im Saal, die Zuhörer sitzen auf schwarzen Klappsesseln. Untersteller, 53, Fraktionsvize im Landtag, ordnet seine Papiere. „Energie mit Zukunft – statt AKW- und EnBW-Deal“ steht auf den Einladungsplakaten.

Seit dem 11. März, seit Fukushima, klingt die Zeile nicht mehr nur wie ein Wahlkampfslogan. Seit diesem Tag ist Untersteller Kandidat einer Partei, die vor all dem gewarnt hat. Mappus hat die Grünen die „Dagegen-Partei“ genannt. Auch deshalb steht Untersteller hier als einer von denen, die recht hatten. Die Mappus ablösen können. „Wenn wir drankommen“, sagt er oft.

Es geht jetzt um die Frage, was Fukushima langfristig für die deutsche Atompolitik bedeutet.

Franz Untersteller hing in den ersten Tagen der Katastrophe oft am Fernseher. Er zappte sich durch die Sender. Er sah die Bilder von der Explosionswolke, die Männer in den Schutzanzügen. Das alles erinnerte ihn an Tschernobyl. Daran, wie sie 1986 ein Infotelefon eingerichtet haben im Landtag, um über Becquerel-Werte aufzuklären. Seine Frau war schwanger, er arbeitete für die Grünen-Fraktion.

Am Sonntag hat er sich zu Hause an den Rechner gesetzt und angefangen ein Papier aufzusetzen. Er hat sich mit Fachleuten vom Öko-Institut abgesprochen. Seine Diplomarbeit in Landschaftsökologie hat er über die möglichen Auswirkungen eines Atomkraftwerks Wyhl auf die Rheinauen geschrieben. Er hat sich durch Akten gewühlt, während andere demonstrierten. Er fand heraus, dass das Kraftwerk Obrigheim gar keine Dauergenehmigung hatte. Als der Atommeiler dann vom Netz genommen wurde, stand in der Zeitung, dass das sein Erfolg sei. Den Aufbau eines Siedewasserreaktors zeichnet er fast blind.

Egal ob Schwarz-Gelb oder Rot-Grün: „Jede mögliche Regierung wird die EnBW grüner machen“, sagt der CDU-Oberbürgermeister aus dem Nordschwarzwald

Fukushima hat die Atomkraft für den Moment zum wichtigsten Thema gemacht. Es ist immer das Thema der Grünen gewesen und bei den Grünen in Baden-Württemberg ist es Unterstellers Thema.

Warum kauft Mappus EnBW, fragt er jetzt in den Saal in Stuttgart-Feuerbach hinein, mit Krediten finanziert? „So haben Heuschrecken vor der Krise agiert!“ Und das alles in einer Zeit, in der der Strompreis sinkt. „Es wundert mich“, sagt Untersteller.

„Mich interessiert nicht Guttenbergs Ghostwriter“, er spricht jetzt ein bisschen lauter, „mich interessiert, wie der Mappus an sein Mathe-Abitur kam.“ Kurz kommt im Saal so etwas wie Stimmung auf, einige lachen.

Könnten die Grünen an der Regierung den EnBW-Kauf wieder rückgängig machen?, fragt jemand aus der ersten Reihe. Das Geschäft sei zwar rechtswidrig, sagt Untersteller. Aber der Vertrag gelte trotzdem. „Unterschriebe isch unterschriebe“, murmelt der Zuhörer.

Die Atomkrise könnte Grünen und SPD die entscheidenden Stimmen für eine Mehrheit im Landtag sichern. „Dann hätten wir das Ding auf dem Hof stehen“, sagt Franz Untersteller.

Er sitzt jetzt in der Vorhalle, zwischen runden Tischen und hat sich ein Glas Wasser gegen die Heiserkeit geholt. Was machen die Grünen mit EnBW? Die anderen Reaktoren stilllegen lassen? Das würde das Geschäft fürs Land noch teurer machen.

Laufen die AKWs nicht, macht EnBW weniger Gewinne. Das Öko-Institut hat für die sonntaz berechnet, wie viel Geld der Konzern wohl verliert, weil er Neckarwestheim I stilllegen musste: In diesem Jahr sind es täglich mindestens 700.000 Euro an Erlösen vor Steuern. Macht 200 Millionen fürs Jahr 2011. Und solange das vorläufig abgeschaltete Philippsburg I keinen Strom liefert, fehlen der Firma Tag für Tag 800.000 Euro.

So dürfte die Dividende der EnBW schrumpfen, mit der das Land die Zinsen für die Staatsanleihe finanzieren wollte. Schon vor der Katastrophe in Japan, hat das Unternehmen angekündigt, dass es sparen muss.

„Sie müssen den Konzern umbauen, dafür brauchen Sie Investitionssummen“, sagt Untersteller. Aber Investoren gewinnt man jetzt nur für die Netze und die anderen Energiequellen des Unternehmens. Eine Atomlast von gestern will niemand kaufen. Untersteller fürchtet, dass am Steuerzahler „eine erkleckliche Summe hängen bleibt“.

Es könnte sein, dass er sich mit diesen Fragen befassen muss, als Staatssekretär oder gar als Umweltminister. Erst müsse der Bär erlegt werden, sagt er. Aber er ist der Energieexperte, oder? Untersteller schweigt.

Nach dem Vortrag fährt er durch Stuttgart. Neckarwestheim I werde abgeschaltet, sagt der Sprecher im Autoradio. Der EnBW-Chef allerdings wolle das noch nicht bestätigen. Untersteller lacht ein zynisches Lachen in die Nacht hinein.

„Angenommen wir kommen dran: Dann werden wir andere Leute für den Aufsichtsrat benennen. Zunächst gehört uns das Ding ja dann!“, sagt er.

Aber noch kämpft Mappus.

Franz Josef Strauß hat 1986 die bayerische Landtagswahl gewonnen. Im Jahr von Tschernobyl. Nur lagen zwischen dem Unglück und der Wahl fast sechs Monate, nicht zwei Wochen.

Und 1986 ist nicht 2011.

Johannes Gernert, 30, sonntaz-Redakteur. Groß geworden in Ochsenfurt, 65 Kilometer vom AKW Grafenrheinfeld entfernt

Georg Löwisch, 36, leitet die sonntaz-Redaktion. Aufgewachsen in Freiburg, 23 Kilometer vom AKW Fessenheim in Frankreich entfernt

Peter Unfried, 47, taz-Chefreporter. Kommt aus dem schwäbischen Stimpfach. Entfernung zum AKW Gundremmingen: 90 Kilometer