„Auf dem gehässigen Blog stand sein Geburtstag“

SPIEGEL Das Experiment umgedreht: Jetzt recherchiert der Ingenieur Johannes Gernert dem sonntaz-Autor hinterher

„Mir war nicht klar war, wie viel man über jemanden herausfinden kann, wenn man über Dritte geht“

INTERVIEW GEORG LÖWISCH

sonntaz: Herr Gernert, wie haben Sie zum ersten Mal von Ihrem Namensvetter erfahren?

Johannes Gernert: Mit zwölf, dreizehn Jahren hat mir mein Vater mal einen Zeitungsausschnitt mitgebracht, und ich wusste: Es gibt noch einen. Später, als ich mich gegoogelt habe, sah ich, dass ein Journalist so heißt wie ich. Später hat ihn meine Schwester Solveig sogar mal angemailt, als sie im Netz auf ihn gestoßen ist.

Vor einigen Wochen rief er Sie dann an und fragte, ob Sie nicht mal versuchen wollen, was man über einen anderen im Netz herausfinden kann.

Ja. Ich fand das Experiment spannend.

Welche Basisdaten haben Sie über ihn recherchiert?

Er hat ja diese Homepage www.jagern.de. Da findet man seine Adresse in Berlin, die Telefonnummer und das Geburtsjahr 1980. Seine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München, vorher ein Studium in Publizistik und Englisch in Berlin und dann auch ein Semester in Nordirland. Dass er bei der FAZ, der taz, der Berliner Zeitung und beim Rundfunk hospitiert hat. 2009 hat ihn ein Medium Magazin zu einem der vielversprechendsten Nachwuchsjournalisten gewählt.

Woher stammt der Mann?

In einem merkwürdigen Blog habe ich den ersten Hinweis auf seinen Geburtstag gefunden: 11. Mai 1980 in Würzburg. Und einen Hinweis, dass er in Ochsenfurt aufgewachsen ist, das liegt in Franken.

Was für ein Blog?

Der hieß gawker.blogsport.de. Da gab es einen gehässigen Blogeintrag über ihn, er wurde da Schmierfink genannt. Und der Blogger hatte die Geburtsdaten und das mit Ochsenfurt herausgefunden. Vielleicht von der Seite wortgestoeber.de – da gab es von Gernerts Namen früher einen Link hin, der funktioniert aber heute nicht mehr.

Was haben Sie sonst über Herkunft und Familie ermittelt?

Ich habe dann versucht, möglichst viel über den Namen im weiteren Umkreis von Würzburg zu suchen. Im Rhein-Main-Gebiet gibt es auf Telefonbuchseiten relativ viele. Und direkt in Ochsenfurt findet man einen Gerhard Gernert. Ob das der Vater ist, konnte ich nicht verifizieren. Ich hab auch nicht herausgefunden, ob er Geschwister hat, ob er verheiratet ist.

Was ist der Redakteur Johannes Gernert für ein Mensch?

Ich muss sagen: Ich habe eher einen Eindruck von dem Journalisten und weniger von der privaten Persönlichkeit. Zum Redakteur: ein junger, erfolgreicher Redakteur. Er sieht seine Schwerpunkte weniger in den politischen Tagesthemen, als vielmehr in Hintergründen über soziale, gesellschaftliche Themen. Schwerpunkte: Jugendkultur, neue Medien, Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen.

Wie hat sich sein thematischer Blick entwickelt?

Was ich gefunden habe, datiert bis 2008 zurück. Jugendliche aus sozial benachteiligtem Umfeld. Wie alte Menschen leben. Jugendkultur, HipHopper. 2009 kam das Thema 20 Jahre Mauerfall dazu – das war dann halt dran. 2010 hat er sein Buch über Pornografie in der Jugendkultur veröffentlicht. In den Artikeln wurde das dann auch aufgegriffen, die Zusammenhänge zwischen Pornografie, Jugendkultur und Internet. 2011 hatte er den großen Schwerpunkt Facebook und Datenschutz im Internet.

Ist er in seiner Themenwahl erwachsener geworden?

Kann man so sehen. Aber es hat sich einfach entwickelt, die Sachen passen ja zusammen und entwickeln sich auseinander heraus.

Wie schreibt er?

Lesbar, handwerklich gut, aber auch nicht so groß anders als andere Journalisten. Er führt in Themen gern ein, indem er sich auf die persönliche Geschichte eines Menschen konzentriert und dann die allgemeine Problematik untersucht.

Während Sie sich ein Bild über ihn machten, hat er seinerseits das Internet durchpflügt.

Eines Tages hat mir meine Frau gezeigt, dass er eine Freundschaftsanfrage gestellt hat. Sie hat akzeptiert. Da konnte ich dann über den Account meiner Frau zurückschauen, was so bei ihm steht.

Und offenbart Facebook mehr als Google?

Erst einmal gab es dort die Bestätigung, dass der 11. Mai sein Geburtstag ist. Aber obwohl er auf der Facebook-Seite sehr aktiv ist, gibt er wenig Persönliches preis.

Welche Fotos haben Sie gefunden?

Auf Facebook und über die Google-Bildersuche gab es eine ganze Menge. Längere Haare, markantes Gesicht.

Was steht in dem Gesicht?

Er legt auf sein Äußeres Wert. Intelligent. Zielgerichtet.

Wie viele journalistische Beiträge stehen von ihm im Netz?

Auf der Homepage hat er eine Artikelauswahl mit Links, so fünf, sechs Stück. Dann habe ich eine simple Google-Recherche gemacht und kam auf taz.de. Da findet man über 100 Artikel. Da habe ich mir Überschriften und Kurzbeschreibungen angesehen. Alles konnte ich nicht lesen.

In einem Artikel vom Februar 2011 steht, dass er Vegetarier war, dies aber aus Liebe aufgegeben hat: wegen seiner Freundin aus Niederbayern, die so gern Schweinebraten isst. Essgewohnheiten, Partnerschaft, ziemlich persönlich.

Ja, wirklich, das habe ich übersehen. So ist das wohl, wenn man nicht auf solche Recherche spezialisiert ist. Es kommt natürlich darauf an, wie viel Zeit der Suchende investiert. Aber es zeigt vielleicht auch, dass sich Persönliches unter einem Berg anderer Informationen verbergen lässt.

Ist der Johannes Gernert eitel?

Ein bisschen bestimmt. Jedenfalls in dem Sinne, dass er darauf schaut, wie er wahrgenommen wird.

Waraus schließen Sie das?

Durch seine Homepage, die ja bei Google ganz oben steht, bestimmt er den ersten Eindruck selbst. Und auf Facebook kommentiert er gern Zitate über sich.

Was hat Sie am anderen Johannes Gernert irritiert?

Mich hat gewundert, dass er Facebook so deutlich wegen des Umgangs mit persönlichen Daten kritisiert, aber das Netzwerk so ausgiebig nutzt, er postet zu Sachthemen und kommentiert viel. Das Persönliche behält er allerdings unter Kontrolle.

Wird dieses Experiment Ihr Verhalten im Internet verändern?

Ich war schon vorher relativ vorsichtig. Aber mir war nicht so klar war, wie viel man über jemanden herausfinden kann, wenn man über Dritte geht. Auch wenn ich selber nicht bei Facebook bin, ist über meine Frau eine ganze Menge Persönliches über mich herauszufinden.