Alles dobrze in Slubfurt

GRENZGEBIET Frankfurt an der Oder und Slubice sind nur durch die Oder getrennt. In einer Minute gelangt man über eine Brücke auf die andere Seite. Sind sich die BewohnerInnen durch die Grenzöffnung nähergekommen?

Zwischen Frankfurt und Slubice schlängelt sich die Oder durch das breite Flussbett mit seinen naturbelassenen Ufern. Sie trennt zwei Länder, die genauso gut eines sein könnten. Das behauptet zumindest der Künstler Michael Kurzwelly: „Polen und Deutschland gibt es nur, weil das mal jemand gesagt hat.“

Kurzwelly ist freischaffender Künstler und Bewohner von Slubfurt – der einzigen Stadt, die sich sowohl in Deutschland als auch in Polen befindet. Im Jahr 1999 gründete er die Initiative „Slubfurt“, um die Grenze zwischen den beiden Städten aufzuheben. „Die Frage der Identität wird von der Politik immer mit einem Staat verknüpft. Ich denke aber, dass Identität etwas Individuelles ist und sich ständig weiterentwickelt“, erklärt der 52-Jährige. Die eigentliche Grenze befinde sich im Kopf der BewohnerInnen von Slubice und Frankfurt.

Er ist der Ansicht, dass jeder sich seine eigene Realität konstruiert. Deutschland, Polen, Frankfurt, Slubice: alles nur Konstrukte. Nun gibt es ein weiteres: Slubfurt.

Die Stadt hat ein Parlament, mehrere Parteien, Stadtplan und Reiseführer und sogar eine eigene Sprache: Slubfurtisch, ein deutsch-polnischer Sprachmix. Kurzwelly spricht es fließend. So redet er völlig selbstverständlich von der Odera statt von Odra oder Oder.

In Kurzwellys Augen verbindet die Oderbrücke die Stadtteile Slub und Furt, offiziell Slubice und Frankfurt. Die ehemalige Grenzstation ist nur noch ein Gerüst ohne ersichtliche Funktion. Kein Schlagbaum, der Autos zurückhält, kein Häuschen, in das PassantInnen ihren Pass reichen müssen. PolInnen und Deutsche überqueren hier zu Fuß, mit Fahrrädern und Autos täglich die Grenze.

Im Schnäppchenparadies

Aus der Frankfurter Perspektive sieht der Übergang aus wie eine ganz normale Brücke. An deren Ende jedoch sind die Gassen enger, auf einem kleinen Platz häufen sich Tabak-, Blumen- und Schuhgeschäfte, die deutsche und polnische Namen haben. Drei deutsche Jungs, etwa 14 Jahre alt, überqueren schlendernd den Fluss. Sie waren in Polen, weil sie sich auf der deutschen Seite langweilen: „Da kennt man ja schon alles.“ Später geben sie noch verlegen zu, dass man drüben auch billig Zigaretten kaufen kann. Ob sie sich vorstellen können, eine polnische Freundin zu haben? „Nee, auf keinen Fall“, sagt Dominik, und alle drei schütteln heftig den Kopf. „Meinem Vater wurde jetzt das dritte Auto geklaut, also irgendwann reichts mal.“

Auf beiden Seiten der Oder gibt es immer noch viele Vorurteile: „Das Hauptproblem ist die Angst vor dem Fremden“, sagt Kurzwelly. Diese Angst jedoch scheint zu schwinden, wenn die Frankfurter billige Zigaretten, Blumen, Zahnersatz, Schuhe oder einen neuen Haarschnitt haben möchten. Slubfurt – ein Paradies für deutsche SchnäppchenjägerInnen.

Doch auch in die andere Richtung ist die Brücke stark frequentiert. Ein altes Paar spaziert gemächlich Hand in Hand über die Oder und zieht dabei einen Trolley hinter sich her. Links überholt eine polnische Studentin auf einem Hollandrad, rechts eine Gruppe polnischer Jugendlicher. Berührungsängste haben sie keine, gern kauft man ein, geht ins Steakhouse oder in den Park neben der Marienkirche.

Frau Tyszer steht vor einem Geschäft 500 Meter hinter der Grenze. Sie wartet mit ihren Einkäufen auf ihren Mann. Die elegant gekleidete Frau wirkt fehl am Platz zwischen den grauen Häuserfassaden. Sie geht sehr oft auf die andere Seite. „Mir gefällt es sehr gut in Frankfurt.“ Es gebe dort die besseren Geschäfte und die Leute seien dort auch sehr freundlich. Die alte Dame spricht lediglich ein paar Worte Deutsch. „Irgendwie kann man sich aber immer verständigen“, erklärt sie. Auf die Frage nach den Unterschieden zwischen PolInnen und Deutschen überlegt sie lange: „Ich sehe keine.“

Liebe geht über die Brücke

Am Grenzübergang wird es kühler. Ein großer, ganz in Schwarz gekleideter Mann geht schnell von der deutschen Seite auf die polnische. Heute holt er sich nur schnell ein paar Zigaretten, sonst kommt er aber auch gern zum Pizzaessen nach Slubice, dort kann er auch mal allein sein und trifft nicht immer gleich jemanden, den er kennt. „Und die Pizza schmeckt auch besser“, sagt Maik. Slubfurt existiert, vor allen Dingen wegen der vielen deutsch-polnischen Liebespaare: „Die gibt es immer häufiger“, schmunzelt der 36-Jährige.

Eine polnische Frau geht über die Brücke. Neben ihr fährt ein Rollstuhlfahrer. Sie geht auf die deutsche Seite, um einzukaufen, erklärt sie auf Polnisch, während ihr Freund schon weitergerollt ist. Völlig selbstverständlich wechselt sie ins Deutsche: „Jürgen, warte mal!“, doch Jürgen fährt weiter gen Deutschland. Sie fragt: „Also, um was gehts hier?! Ich muss weiter, wir wollen nach Berlin.“ Eine echte Slubfurterin kann eben nicht verstehen, was die ganze Fragerei nach Frankfurt und Slubice soll.

T. BLOCK, J. FADRANSKI, J. WINTERBAUER