„Rechte sind eine unterschätzte Gefahr“

EU-PARLAMENT Der EU-Parlamentarier der Grünen, Jan Philipp Albrecht, über gemeinsame Strategien gegen den Einfluss rechter Abgeordneter

■ 29, ist für die Grünen im EU-Parlament, wo er sich gegen Rechtsextremismus engagiert.

taz: Herr Albrecht, europaweit machen Parteien der extremen Rechten Schlagzeilen. Auch im EU-Parlament sind diese vertreten. Mit wem haben wir es konkret zu tun?

Jan Philipp Albrecht: Es gibt die Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“, in der sich sowohl rechtspopulistische als auch rechtsextreme Mitglieder wiederfinden. Insbesondere unter den Fraktionslosen gibt es viele Rechtsextremisten. Einige Rechtspopulisten gibt es auch in der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformisten“, einer Abspaltung der Europäischen Volkspartei.

Worin unterscheiden sich die rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Kräfte?

Die rechtspopulistischen Parteien richten sich regelmäßig gegen „die da oben“, gegen die EU und gegen den angeblichen Einfall nicht christlich-abendländischer Kultur. Sie sind damit oft vergleichbar mit der Tea-Party-Bewegung in den USA. Die Rechtsextremen hingegen verbreiten ihre menschenverachtende Grundideologie eher in Form von offenem Rassismus und Fremdenhass. Die Grenzen zwischen diesen Strömungen sind aber fließend.

Wie gut sind denn die „Rechten“ im Parlament vernetzt?

Die Tendenz in der Vergangenheit war, dass die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten unorganisiert und zum Teil chaotisch sind. Es gab selten gemeinsamen Projekte und wenig Aktivität. Die Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“ ist im Grunde eine reine Zweckgemeinschaft, eine Art Sammelbeckens rechter Parteien. Da sitzen zum Teil Leute, die überhaupt nichts gemeinsam haben. Die fraktionslosen Rechtsextremisten sind deshalb gar nicht Mitglied darin geworden.

Welche Initiativen gehen von den rechten Abgeordneten aus?

Die meisten Rechtsextremen sind sehr inaktiv, viele von denen kommen noch nicht einmal zu den Sitzungen. Sie äußern sich sowohl in den Ausschusssitzungen als auch im Plenum nur sehr selten. Im Grunde genommen nutzen sie lediglich die finanziellen und parlamentarischen Ressourcen für ihre Parteien. Ernsthafte Arbeit im Parlament wird sogar abgelehnt. Nichtsdestotrotz hat es natürlich auch Situationen und Momente gegeben, wo ich schon auch einen Schrecken bekommen habe, wie offen Rechtsextreme da einfach ihre Parolen verbreiten können.

Gibt es im EU-Parlament Strategien im Umgang mit diesen Strömungen?

Noch gibt es keine gemeinsame Strategie. Im Parlament war die Aufmerksamkeit für diese Abgeordneten bisher sehr gering. Dennoch sollte man ihren zunehmenden Einfluss ernst nehmen. Deswegen treffen wir uns vermehrt fraktionsübergreifend, um uns mit dem Problem auseinanderzusetzen und ein gemeinsames Vorgehen zu entwickeln. Bis zur nächsten Europawahl muss sich noch einiges tun, damit die Rechtsextremisten gar nicht erst gewählt werden. Dafür müssen wir uns in den Nationalstaaten engagieren. Wenn Rechtsextreme, die mit Nazis rumhängen und Judenwitze machen, mit populären Anti-EU-Kampagnen ins Europaparlament gewählt werden, das ist schon hart.

Was unternehmen Sie gegen die, die nun schon gewählt sind?

Vor einem Jahr haben wir Fotos von rechtsextremen Abgeordneten mit Namen und Zitaten im Parlament aufgehängt. Ein britischer Abgeordneter hat zum Beispiel gesagt, dass man das Flüchtlingsproblem einfach lösen könne, indem man die Schiffe im Mittelmeer versenkt. Mit dieser Aktion wollten wir unsere KollegInnen aufrütteln – denn die Mehrzahl weiß zwar, dass es Rechtsextremisten im Parlament gibt, aber nicht, wer das eigentlich ist.

INTERVIEW CHRISTINE NOLTE