Wir im Pott

HEIMAT Mischa Kuball hat das Ruhrgebiet erkundet und es als Verwirklichung einer Utopie entdeckt

Für jemanden, der wie der Künstler Mischa Kuball in Düsseldorf lebt, mag das Ruhrgebiet als etwas schäbige und noch dazu lästige Nachbarschaft erscheinen: Laut, immer noch schmutzig, kaum ohne Verspätung zu durchqueren, chaotisch, weil man nie weiß, wo man gerade ist – HerneGelsenkirchenBottrop? Andererseits: die viele Kultur der Post-Kohle-Ära! Und die Leute: so nett! „Kumpelhaft“ kommt von „Kumpel“, dem geerdeten, unkomplizierten Arbeiter aus der Zeche.

Der nun ist längst verschwunden, geblieben ist die Offenheit für Lebensformen und Herkünfte, für Menschen, die zwischen Hamm und Moers heimisch wurden und von so weit her kamen, lange schon geprägt durch Erfahrungen mit Zuwanderung. Diese Toleranz – ganz sicher ist sie auch Klischee, aber wer Erfahrungen mit dem Ruhrgebiet hat, kommt meistens mit Sympathien zurück.

Kuball hat es nicht anders erlebt, als er sich aufmachte und die Nachbarschaft erkundete. „New Pott – Neue Heimat im Revier“ heißt sein Werk, das – mit Fotos von Egbert Trogemann und Faruk Cokic sowie Texten des Essener Kulturwissenschaftlers Harald Welzer – den alten Pott als die Verwirklichung dessen darstellt, was anderswo und an prominenter Stelle als gescheitert erklärt wurde: die Multikulti-Gesellschaft.

Hundert Familien aus hundert Nationen hat Kuball aufgesucht, hat sie erzählen lassen, woher sie kamen und wie sie ankamen, was sie mitbrachten und wie sie es mit dem verschmolzen, was schon da war. Türken, Kasachen, Peruaner, Marokkaner, Kongolesen, Japaner. Sie kamen, weil sie Arbeit suchten oder Bildung, aus Liebe oder weil sie Hass vertrieb – und fühlten sich im Ruhrgebiet willkommen. Kuball erzählt, dass viele seiner Gesprächspartner zunächst nach Berlin gingen und dann doch ins Ruhrgebiet zogen, weil sie gehört hatten, dass es sich dort viel besser lebe.

Kuball, studierter Sozialpädagoge, näherte sich den Menschen wie ein Sozialforscher, ohne allerdings mit einer Theorie und daraus entwickelten Fragen zu kommen. Er wollte offen sein für ihre Geschichten. Die nahm er mit – und ließ ihnen eine extra entworfene Lampe da. Als eine leuchtende Kugel verbindet sie all diese Identitäten, die – jede für sich – als Widerrede zu den kruden Thesen Thilo Sarrazins steht. FELIX ZIMMERMANN

Projekt: Mischa Kuball, New Pott, VG Bild-Kunst Bonn Fotografie, Egbert Trogemann, Düsseldorf