GOLDMÄDCHEN
: Mit Faustschlägen eine grüne Insel in Ekstase versetzt

BOXEN In der Harbour Bar von Bray gibt es gar Public Viewing, um Katie Taylor anzufeuern. Nun beschert sie Irland das erste Gold dieser Spiele

Bray, Irland, 17.02 Uhr Ortszeit: Eine riesige Kanone schießt von der Bühne aus Konfetti in die Menge. Zigtausend Menschen haben sich zum Public Viewing auf dem Parkplatz vor dem Fitnesscenter der kleinen Stadt südlich von Dublin versammelt. Es ist die Heimatstadt von Katie Taylor, und die hat soeben in London die Goldmedaille im Boxen der Frauen im Leichtgewicht gewonnen. Es ist die erste Goldmedaille für Irland bei diesen Olympischen Sommerspielen.

Die Menge wiegt sich in Ekstase, die ganze Stadt scheint versammelt. Aber auch aus anderen, weit entfernten Landesteilen sind Menschen gekommen, um mit Taylors Mitbürgern zu feiern. In der Harbour Bar um die Ecke wird Freibier ausgeschenkt. Taylor ist hier Stammgast – allerdings nicht zum Biertrinken, sondern um die Toilette zu benutzen. Denn die Bruchbude nebenan, in der sie täglich trainiert, hat keine sanitären Anlagen.

Die Harbour Bar ist berühmte Besucher gewohnt, die Namen reichen von Katherine Hepburn und Lawrence Olivier über Bono und Liam Neeson bis hin zu James Joyce, Brendan Behan, den Dubliners und Sinéad O’Connor. Die Ardmore-Filmstudios liegen ganz in der Nähe, und der Schauspieler Peter O’Toole soll in dieser Kneipe regelmäßig so viel getrunken haben, dass ihn die Angestellten zurück ins Hotel tragen mussten.

Katie Taylor wird in der Ruhmeshalle des Pubs einen Ehrenplatz bekommen, verspricht der Wirt. Viel zu lachen haben die Iren ansonsten ja nicht. Die Finanzkrise beutelt die Nation, der nächste Sparhaushalt kommt bestimmt, das Wetter ist miserabel, und der Auftritt der Fußballer bei den Europameisterschaften im Juni war ein Elend.

Eine Boxerin soll den Iren neuen Mut machen. Die 26-jährige Taylor, die tiefreligiös ist und vor ihren Kämpfen in der Bibel schmökert, wird in den kommenden Monaten vor sämtliche Mikrofone gezerrt werden, die es auf der Insel gibt. Präsident Michael D. Higgins und Premierminister Enda Kenny waren die Ersten, die Glückwunschtelegramme nach London schickten.

Bisher kamen 100, vielleicht 200 Menschen zu Taylors Kämpfen. Das wird sich jetzt ändern, falls sie nicht zurücktritt. So wünscht es sich ihr Vater und Trainer Peter Taylor. Eine Profikarriere vielleicht? „Wenn ein Angebot kommt, werde ich es prüfen“, sagt Taylor. Oder eine Karriere als Profifußballerin beim FC Arsenal? Taylor spielt nämlich auch in der irischen Fußballnationalmannschaft. „Boxen hat Vorrang“, sagt sie jedoch, dreht sich zu ihrem Vater um und entschuldigt sich: „Sorry, Daddy.“ RALF SOTSCHECK