AM GERÄT
: Der Tartan

über den Riecher eines Berufsspions

ANDREAS RÜTTENAUER

Weltrekord! Endlich! Danke, David Lekuta Rudisha! Sperling war heilfroh. Er war immer noch gut. Früher war er der Beste. Das hatten ihm die Bonzen im Politbüro höchstselbst gesagt. Er war Agent aus Leidenschaft. Ohne ihn hätte die DDR keine Mikrochips bauen können. München, Pretoria, Frankfurt an der Oder. Den Gasphasenabscheider, diesen irrwitzigen Ofen, mit dem die Silikonscheiben bearbeitet wurden, Sperling hat ihn durch die ganze Welt begleitet, bevor er in Ostdeutschland nachgebaut wurde. Als alles vorbei war, war er unten durch: Stasi.

All das weiß die Frau nicht, die er gestern mit K.-o.-Tropfen gefügig gemacht hatte, die sich gerade rekelte und die ihm bald ein wertvolles Geheimnis verraten sollte. Nach der Wende hatte sich Sperling selbständig gemacht. Den paar Freunden, die seinen echten Namen kannten – Sperling, wann hatte er sich das eigentlich ausgedacht? –, sagte er immer, dass er der wohl einzige freiberuflich arbeitende Industriespion der Republik sei.

Was er genau machte, wussten auch sie nicht. Er suchte sich konkurrierende Firmen, studierte die Wirtschaftspresse, sah sich auf Messen um. Wenn eine Firma eine Innovation vorstellte, spionierte er und bot das, was er an Material organisiert hatte, der Konkurrenz an. Pläne für halbautomatische Pkw-Getriebe, atmungsaktive Membranen für Freizeitbekeidung, Frittierölwechsler für Pommes-frites-Automaten. Er hat schon viele Ideen gestohlen.

Schon lange vor den Spielen in London hatte er begonnen, sich mit professionellen Laufbahnen zu beschäftigen. Zwei Firmen gelten da als führend. Als die ersten Rennen in London gelaufen waren, war sich Sperling sicher, dass er goldrichtig liege mit seiner Idee. Die Zeiten auf der neuen Bahn waren gut, und alle sprachen von dem schnellen Untergrund, den die Italiener gebaut hatten. Die bauen Bahnen mit einer harten Oberfläche, das abfedernde Material ist darunter. Sperling hatte sich eingelesen in die Materie. Die Deutschen machten es umgekehrt, die klassische Tartanbahn. Der 100-Meter-Weltrekord gehört seit 2009 den Deutschen. Seit Donnerstag haben die Italiener auch einen. Die Deutschen wären doch blöd, wenn sie ihm nichts abkaufen würden.

Noch war er in Italien. Er hatte die Büroleiterin der Entwicklungsabteilung angeschleppt. Sperling, du bist immer noch gut, sagte er sich. Viagra sei Dank! Er lacht, als er darüber nachdenkt. Doping. Da muss doch auch etwas zu holen sein.