Der Aufstand der Forscher

EINFLUSS Wissenschaftler schaffen Wissen. Aber es sind Fachmagazine, die entscheiden, was davon bekannt wird. Sie nutzen ihre Macht. Und verdienen gut daran. Nun versuchen Forscher wie der Neurobiologe Björn Brembs, gegen das System, in dem sie feststecken, zu rebellieren

■ Oktober 2003: Die Public Library of Science veröffentlicht unter plos.org wissenschaftliche Artikel kostenlos und unabhängig von Verlagen. Mitgründer und Nobelpreisträger Harold Varmus sagt, die größte Herausforderung sei, Forscher zu überzeugen, ein Teil der Revolutionsarmee zu werden.

■ Januar 2012: Der Mathematiker Timothy Gowers eröffnet die Seite thecostofknowledge.com. Wissenschaftler unterzeichnen dort einen Boykott gegen den Verlagsriesen Elsevier. Sie halten ihm vor, freies Publizieren verhindern zu wollen und mit hohen Preisen die Macht über Forscher auszunutzen.

■ April/Mai 2012: Die Uni Harvard ruft ihre 2.100 Forscher auf, in freien Magazinen zu publizieren. Magazine großer Verlage würden die Bibliothek jährlich 3,75 Millionen Dollar kosten. In München wollen Mathematiker der TU Elsevier-Magazine ab 2013 abbestellen.

■ Juli 2012: In Großbritannien soll sämtliche öffentlich geförderte Forschung ab 2014 kostenlos zu lesen sein, verkündet die Regierung.

VON MARIA ROSSBAUER

Kurz nach der Sache mit der Schnecke begann Björn Brembs daran zu zweifeln, ob es die richtigen Leuten sind, die über das Wissen der Welt bestimmen. Björn Brembs – Neurobiologe in Berlin, 41 Jahre alt, erste graue Haare – hatte drei Jahre im Labor gestanden und einer braungefleckten Meeresschnecke den Stoff Dopamin ins Gehirn gepustet. Die Schnecke heißt Aplysia californica, sie frisst am liebsten Algen und spritzt, wenn sie genervt ist, eine lila Tintenwolke ins Wasser. Je länger Björn Brembs sie untersuchte, desto deutlicher wurde, dass es an einer Zelle namens B51 liegt, ob Aplysia etwas kapiert oder nicht.

Dass die Versuche mit der Schnecke seiner wissenschaftlichen Karriere den entscheidenden Schub geben würden, hätte Brembs damals nie gedacht.

„Eigentlich stand in der Arbeit nichts wirklich Neues“, sagt Brembs. Er sitzt an seinem Schreibtisch in der Freien Universität Berlin. Seine Augen wirken müde, das Baby schläft schlecht zur Zeit, sagt er. In ein paar Wochen steht ein Umzug nach Regensburg an. Brembs’ erste Professur – sein Aufstieg.

Denn Brembs beschrieb damals trotz Bedenken seine Experimente mit der Meeresschnecke Aplysia in einem dreiseitigen Text – und schaffte es damit in eine Ausgabe von Science, einem der wichtigsten Wissenschaftsmagazine der Welt.

Ohne diesen Artikel, sagt Brembs, hätte er die Professur höchstwahrscheinlich nicht bekommen. Er sicherte seine Karriere, verschaffte ihm eine Beamtenstelle auf Lebenszeit, ließ ihn andere, vielleicht bessere Wissenschaftler überholen.

Was Brembs passiert ist, ist in der Welt der Wissenschaftler ganz normal. Hier dreht sich alles um diese Artikel in Fachmagazinen. Zwar gibt es verschiedene Wege, wie Forscher ihr Wissen untereinander teilen und in der Gesellschaft verbreiten. Sie schreiben Bücher oder erzählen es auf Konferenzen. Doch am häufigsten veröffentlichen sie es in Zeitschriften. Wer es schafft, in ein angesehenes Magazin zu kommen, hat gute Chancen auf Jobs und Forschungsgelder – wer es nicht schafft, ist schnell raus.

Dieses System, über Jahrhunderte gewachsen, verleiht den Wissenschaftsmagazinen eine unheimliche Macht. Ihre Besitzer, stille Konzerne, deren Namen kaum jemand kennt, entscheiden jeden Tag über Karrieren, hüten das Wissen der Welt, machen aus, auf welchen Wegen es sich verteilt, wer wie viel zahlen muss, um Zugang zu bekommen. Und welche Erkenntnisse vielleicht nie an eine größere Öffentlichkeit gelangen werden. Eine Macht, die sie nutzen.

Denn die Zeitschriftenbesitzer verdienen viel Geld mit ihrer Bedeutung. Die Gewinnmargen der Wissenschaftsverlage sind oft höher als die von Apple. Den Profit erwirtschaften sie mit Arbeit, die meist längst bezahlt ist: durch Steuergelder. Die Wissenschaftler leben von Universitätsgehältern, forschen, stecken ihr Wissen in Artikel. Verlage drucken es und verkaufen es für viel Geld an Universitätsbibliotheken zurück. Ein gutes Geschäft.

Nach seinem Erfolg, das war 2002, wird Björn Brembs langsam bewusst, dass sich dieses System ändern muss. Zwar profitiert er davon, es hat ihn ja weit gebracht. Dennoch lässt ihn das Gefühl nicht los, dass seine anderen Arbeiten bedeutender sind als dieses Ding mit der Schnecke. Was ist mit Kollegen, die gut sind, und es nicht zufällig ins Science-Magazin schaffen?

Brembs fängt an, in sozialen Netzwerken über eine Bewegung namens Open Access zu lesen. Sie will Plattformen schaffen, in denen Forscher ihre Arbeiten veröffentlichen können, ohne Aussortierung, frei zugänglich für alle Leser. Wie Plos One, ein Magazin von Forschern selbst, ohne kommerzielles Interesse. 2006 wird Brembs Editor bei Plos One. Und 2009 entwirft er seine erste Powerpoint-Präsentation, läuft damit zu Fachkonferenzen, hält Vorträge über die Machenschaften der Verlage, rechnet vor, warum das Maß für Qualität in diesem System nicht funktioniert, spricht darüber, wie kostspielig und unzugänglich es ist.

Einerseits rebelliert Brembs gegen die Verlage. Andererseits hält ihn dieses System gefangen, immer noch. Mehr noch: Er macht mit. Wie die meisten Wissenschaftler kooperiert er mit den Verlagen, gegen die er eigentlich kämpft. Er schreibt für sie, arbeitet kostenlos für sie.

Auch jetzt noch, zu einem Zeitpunkt, wo das Ringen um die Wissensmacht zum ersten Mal zur Massenbewegung wird. Die Akademiker haben sich ein erstes Ziel für ihre Revolte ausgesucht: den größten Wissenschaftsverlag der Welt – Elsevier. Rund 2.000 Fachmagazine verlegt das britisch-niederländische Unternehmen, darunter unter Forschern berühmte wie Cell, The Lancet und Current Biology. Besonders in Biologie und Medizin gilt Elsevier als führend.

Seit Anfang des Jahres unterschrieben mehr als 12.500 Wissenschaftler einen Eid mit dem Titel „The Cost of Knowledge“. Sie geloben, keine Artikel mehr bei Elsevier zu veröffentlichen oder nicht mehr am Herausgeben der Artikel mitzuarbeiten.

Die Eliteuniversität Harvard rief ihre Wissenschaftler dazu auf, nicht mehr in teuren Journalen wie denen von Elsevier zu veröffentlichen. Harvards Bibliothek könne die Gebühren für all die Hefte nicht mehr aufbringen. Im Mai verkündeten die Mathematiker der TU München „aufgrund unzumutbarer Kosten und Bezugsbedingungen“ den Beschluss, alle Elsevier-Zeitschriften ab 2013 abzubestellen.

Elseviers Deutschlandzentrale ist in einem flachen, silbernen Bürohaus in München. 120 der weltweit rund 7.000 Verlagsmitarbeiter arbeiten hier. Lichtdurchflutete Gänge, helle, saubere Teppiche. Hinter milchigen, nur scheinbar durchsichtigen Glasscheiben zeichnen sich Umrisse dunkler Anzüge ab.

Angelika Lex arbeitet seit 1987 für Elsevier. Sie sitzt in einem klimatisierten Raum, schlägt die Beine übereinander, umfasst mit den Händen das linke Knie. Die langen Haare sind in der Mitte gescheitelt und straff gebunden. Randlose Brille, lackierte Nägel, glänzender Lippenstift.

Lex ist 53 Jahre alt. Sie trug in ihrer Zeit beim Verlag schon Titel wie „Acquisition Editor“, „General Manager Journal Production“, „Integrations Manager“. Heute ist sie „Vice President of Academic and Government Relations“. Sie sei dafür da, sagt sie, Kontakt mit den Entscheidern aufzubauen. Rektoren von Universitäten, wissenschaftlichen Akademien. Lex kümmert sich um die Strippenzieher unter den Akademikern.

Mit einem ausgeklügelten System machte Elseviers Mutterkonzern im Jahr 2011 weltweit rund 970 Millionen Euro Gewinn – das einspricht einer Gewinnmarge von mehr als 30 Prozent. 970 Millionen Euro. Bei den Wissenschaftsmagazinen zum Großteil bezahlt von Bibliotheken – für die Ergebnisse einer Forschung, die Steuerzahler schon finanziert haben. Kann das fair sein?

Leonardo da Vinci verschlüsselte sein Wissen

„Ja, die berühmten über 30 Prozent“, sagt Angelika Lex. Sie lächelt, schüttelt langsam den Kopf. „Man kann sich sicherlich darüber streiten, was eine angemessene Gewinnmarge ist.“ Ein Teil der Gewinne werde investiert, ein Teil an Shareholder ausgeschüttet, so funktioniere nun mal ein Unternehmen dieser Art.

Lex wollte nach ihrer Promotion in Biologie raus aus dem Labor, sah eine Anzeige des Verlages und bewarb sich. „Es ist toll, Teil einer Infrastruktur zu sein, die Leben retten, Lebensqualität verbessern kann“, sagt sie.

Wenn man weit zurückgeht in der Geschichte, so wie das Björn Brembs in seinen Vorträgen macht, erkennt man, dass Verlage tatsächlich dazu beigetragen haben, Wissen in die Gesellschaft zu tragen. Brembs sitzt vor seinem Computer und öffnet eine Präsentation, die rechte Hand auf der Maus, klick.

Noch vor fünfhundert Jahren war unter Wissenschaftlern das Bereitstellen ihrer Gedanken nicht gerade beliebt. Leonardo da Vinci schrieb sein Wissen in Codes auf. Manche Forscher veröffentlichten ihre Werke überhaupt erst nach ihrem Tod.

Dann, 1665 – klick, nächste Präsentationsfolie – kam Henry Oldenburg, Naturphilosoph und Sekretär der britischen Gelehrtengesellschaft Royal Society. Er wollte Erkenntnisse teilen, suchte sich eine Druckerei, trug Arbeiten von Forschern zusammen, ließ die Sammlung drucken und verteilte sie unter Kollegen. So entstand eines der ersten Wissenschaftsmagazine: Die „Philosophical Transactions of the Royal Society of London“.

Plötzlich konnten Gelehrte in der ganzen Welt etwas über die Experimente anderer lesen, daran anknüpfen. Bald schrieben berühmte Forscher wie Charles Darwin und Michael Faraday für das Journal. Die Karriere Isaac Newtons soll gar mit einem Artikel in dem Magazin begonnen haben. Nach und nach kopierten Institutionen das Konzept.

„Die Wissenschaft hat damit einen riesigen Schub bekommen“, sagt Björn Brembs. Sein Rechner dröhnt laut. Das Zimmer ist noch genauso bescheiden wie in der Zeit vor seinem Schneckenerfolg. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Papiere, ein Totenkopf hält einen USB-Stick im Mund. Dreht Brembs den Stuhl um 90 Grad nach rechts, sitzt er schon in seinem Labor. Blinkende silberne Messgeräte, bunte Kabel, die zu roboterartigen Metallarmen führen, auf einem schmalen Tisch ein Mikroskop, Pinzetten.

Brembs hat mit seinem Artikel damals einen Treffer gelandet, von dem viele Wissenschaftler träumen. Wie also schafft man es da rein? Welche Kriterien zählen? „Ich hab keine Ahnung“, sagt Björn Brembs.

Die Idee zu seinem Artikel in Science kommt auf einer Party zustande. Sein Chef sagt spätnachts bei ein paar Flaschen texanischem Shiner-Bock-Bier: „Schreib doch das zusammen und schick es an Science.“ Brembs zögert, schließlich ist das alles bekannt, die Zelle, die er mit Dopamin aufpeppte, die Prozesse, die dabei ablaufen. Am nächsten Morgen fragt er seinen Chef, ob er das ernst gemeint habe. Der nennt ihm eine Verantwortliche bei Science. So hat es wohl geklappt, glaubt Brembs.

„Ich muss dort publizieren“, sagt Brembs

Brembs erzählt von Kollegen, die Verantwortliche bequatschten, von anderen, die sie zum Essen einladen. Wie überall geht es in den Wissenschaftsverlagen um Kontakte, um den Namen der Institute, den Bekanntheitsgrad der Autoren. Die Verlage benachteiligen nicht systematisch einzelne Themen, eher arbeiten sie nach unscharfen Richtlinien.

Dennoch: In der Wissenschaft richten sich alle nach diesen Entscheidungen. „Momentan sind die Leute Professoren, die es irgendwie schaffen, in Magazinen wie Science zu veröffentlichen“, sagt Brembs. Und nicht unbedingt die, die die beste Wissenschaft betreiben.

Auch das Maß für Qualität im System der Magazine hält Brembs für unsinnig: den Impact Factor. Er zeigt die Wichtigkeit wissenschaftlicher Magazine. Unter Forschern hat nämlich sogar Einfluss eine Zahl. Aber sie wird von einem kommerziellen Unternehmen gemessen. Es gibt keine Instanz, die den Faktor überprüft.

Den Boykott gegen Elsevier hat Brembs trotz allem nicht unterschrieben. Er sagt, er könne nicht.

Brembs arbeitet als Editor und Gutachter für einige Zeitschriften, auch für Elsevier-Blätter. Er übernimmt die redaktionelle Arbeit mit Manuskripten, erinnert Autoren, Termine einzuhalten, fordert Fakten nach. Er macht das kostenlos, zwischen Versuchen und Meetings, im Flugzeug, beim Mittagessen. Nur die wenigsten Verlage bezahlen professionelle Editoren und Gutachter.

Warum macht Brembs das eigentlich mit?

Brembs lehnt sich in seinen Stuhl zwischen Messgeräte und Rechner. Es wirkt, als würde er um sein Lächeln ringen. „Ich sage mir: Ich muss dort publizieren, für mich selbst oder für meine Coautoren“, sagt er. Nun, da er Professor wird, verbeamtet auf Lebenszeit, könnte er es sich leisten auszusteigen. „Aber dann schade ich meinen Studenten.“

Forschungsarbeiten wie die über die braungefleckte Meeresschnecke sind Gemeinschaftsprojekte. Studenten stehen in Labors, experimentieren, schreiben darüber in ihrer Diplomarbeit, Doktoranden arbeiten daran weiter. Bis genug Stoff zusammen ist, um alles in einen Artikel zu packen. An Aplysias Lernfähigkeit tüftelten die Forscher zusammen um die drei Jahre. Am Ende standen fünf Autorennamen über dem Artikel.

Solange sich nicht genügend Wissenschaftler an der Revolte beteiligen, sind die Karrieren der Studenten davon abhängig, ob sie es schaffen, in eins der großen Magazine zu kommen.

Der Kampf gegen die Verlage ist ein sehr akademischer Aufstand. Einer dem der Mut fehlt, die Radikalität. Es gibt keine Demonstrationen, keine Sitzblockaden vor Verlagshäusern. Dafür Präsentationen auf Konferenzen, Rechenbeispiele in Fachaufsätzen, Unterschriften in Onlinelisten. Und Kompromisse.

Auch Brembs fühlt sich festgenagelt. Dabei bräuchte es das alles nicht mehr, sagt er, die Verlage, dieses System. Seit den Neunzigern gibt es schließlich das Internet. Um seine Gedanken zu veröffentlichen, braucht es nun keine Druckerpressen mehr wie bei Henry Oldenburg. Die Technik, um Wissen verbreiten zu können, steht jedem zur Verfügung. „Alle Menschen sollten einfachen Zugang haben zur Forschung. Ärzte müssen sich über die neuesten Methoden zur Behandlung von Malaria informieren können, ohne Hürden, ohne Kosten“, sagt er. Brembs lässt sich filmen, wie er die Fruchtfliege Drosophila mit einer Pinzette in seine Geräte neben dem Schreibtisch einspannt, wie er ihre Gehirnaktivität misst, ihr beibringt, Farben zu unterscheiden. Er stellt die Videos auf YouTube, auf seine Homepage, veröffentlicht sie in Videomagazinen. Damit andere Forscher die Experimente nachbauen können. Denn alles, sagt Brembs, soll offen sein, auch Methoden, Techniken.

„Wenn man jetzt sagen würde, dann gehen wir halt mit den Preisen runter, das wäre zu einfach“

ANGELIKA LEX, MANAGERIN BEIM WISSENSCHAFTSVERLAG ELSEVIER

Laut einer Umfrage der Europäischen Kommission zur Zugänglichkeit von Forschung haben über achtzig Prozent der befragten Experten Probleme, an Wissenschaftspublikationen zu kommen. Als wichtigsten Grund dafür nannten sie die hohen Preise der Veröffentlichungen.

2012 kostet ein einzelner Artikel aus Elseviers Cell 24 Euro, bei einem Jahresabo eines Wissenschaftsmagazins kann der Preis bei mehr als 30.000 Euro liegen. Insgesamt gibt es rund 25.000 Wissenschaftsmagazine auf der Welt. Die hohen Kosten können viele Bibliotheken nur schwer stemmen. Allein die Max-Planck-Gesellschaft zahlte letztes Jahr rund 14,5 Millionen Euro nur für wissenschaftliche Zeitschriften, etwa die Hälfte davon an die größten drei Verlage: Springer, Wiley-Blackwell und Elsevier. Geschätzt nach Daten der Deutschen Bibliotheksstatistik gab Deutschland auf diesem Weg um die 200 Millionen Euro an Steuergeldern aus. An Verlage wie Elsevier.

Pharmamarketing und Waffenmessen

Auf die Milchglasscheibe des Raumes, in dem die Elsevier-Managerin Angelika Lex sitzt, ist das Logo des Verlages gemalt. Ein weißbärtiger Gelehrter steht unter einer Ulme, im Baum hängt ein Banner mit der Aufschrift „Non solus“ – nicht allein. Studenten haben ein T-Shirt-Motiv entworfen, auf dem ein Gelehrter das Banner runtergerissen hat und es nun in der Hand hält. Darauf steht nun: „Boycott Elsevier“. Die Blätter des Baumes sind abgefallen.

„Ja, manches macht schon traurig.“ Angelika Lex kennt die Protest-T-Shirts. „Man wirft uns vor, eine Hochpreispolitik zu haben“, sagt sie. „Das ist in der Form nicht so ganz richtig.“ Elsevier müsse wohl noch wegen Fehlern aus den Neunzigern büßen. Sie hätten die hohen Preise von damals mittlerweile überdacht, sagt sie, und lägen nun, was die Kosten betrifft, im Vergleich zu anderen Verlagen in den unteren 25 Prozent.

Doch Elseviers Fehler reichen ins 21. Jahrhundert hinein. Der Wissenschaftsverlag publizierte in den Jahren 2003 und 2004 unter der Tarnkappe eines seriösen Wissenschaftsmagazins ein reines Marketingblatt für die Pharmafirma Merck und verteilte es kostenlos an australische Ärzte. Elsevier flog auf, entschuldigte sich 2009. Und dann war da noch diese Abteilung von Reed Elsevier, dem Mutterkonzern, die weltweit Waffenmessen organisierte – wegen Protesten hörte der Verlag 2007 damit auf.

Bis vor wenigen Monaten unterstützte Elsevier einen Gesetzesvorschlag in den USA, den Research Works Act. Momentan verpflichten Geldgeber wie die National Institutes of Health Wissenschaftler, Ergebnisse mit von ihnen geförderter Forschung frei übers Internet zugänglich zu machen. Der Research Works Act hätte dies verboten. Verheerend, gerade für Entwicklungsländer, die bisher Forschung – beispielsweise über die Behandlung von Infektionskrankheiten – frei einsehen konnten. Elsevier sponserte Politiker, die den Gesetzesentwurf einbrachten. Im Februar zog der Verlag, nach den Protesten von „The Cost of Knowledge“, die Unterstützung zurück.

Solche Fehler machen Elsevier zu einem dankbaren ersten Gegner der Revolte. Für das System, das die Akademiker kritisieren, stehen aber alle großen Verlage gleichermaßen.

Können die Proteste dazu führen, dass der angegriffene Verlag seine Preise senkt? Angelika Lex legt ihre Hände ineinander. „Wenn man jetzt sagen würde, dann gehen wir halt mit den Preisen runter, das wäre zu einfach.“ Für Elsevier sei Value for Money wichtig, dass man für das Geld etwas von Wert bekommt. Jahr für Jahr würden mehr Artikel bei ihnen eintrudeln, das sei auch mehr Arbeit, derzeit kämen etwa 800.000 Manuskripte.

Hinter dieser Zahl steht die eigentliche Macht des Verlags. Denn trotz Kritik: Fast alle wollen bei Elsevier publizieren.

„Die Grundhaltung von uns Wissenschaftlern muss sich ändern“, sagt Björn Brembs. Er rollt in seinem Stuhl ein Stück zurück. Vor allem, sagt er, müssten die akademischen Entscheider nicht stupide nach Starpublikationen im Lebenslauf suchen, wenn sie Jobs und Gelder vergeben. Dann erst könnten sich Wissenschaftler von der Angst lösen, dass ihre Karriere von Magazinen abhänge. Dann könnte ein neues Maß für Qualität entstehen, das Forschungen bemisst.

Nun, nach all den Jahrhunderten ungebrochener Macht, scheint sich tatsächlich etwas zu ändern: Institutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft fördern offene Publikationswege, Großbritannien kündigte an, alle Forschungsergebnisse, für die der Steuerzahler Geld ausgibt, bis 2014 im Internet kostenlos zugänglich zu machen, die EU-Kommission hat Ähnliches vor.

Ein Student kommt in Brembs’ Büro, fragt nach einer Bescheinigung. Brembs geht zu einem alten weißen Schrank, kramt Zettel aus Schubladen hervor, beantwortet geduldig Fragen. Er mag seinen Job. Das Forschen, das Unterrichten. Nur das mit dem Publizieren nervt, sagt er. „Ich würde im Leben nicht in Science publizieren, wenn ich nicht müsste“, sagt er. „Das sind 3-Seiten-Artikel, die versteht kein Mensch.“ Niemand würde gern für diese Magazine schreiben oder das lesen. Brembs lacht laut. Als würde ihn das befreien.

„Ich glaube, das klassische Verlagswesen geht im Moment den Weg der Dinosaurier“, sagt Brembs. Sie sterben aus, wenn ihre Zeit gekommen ist.

Maria Rossbauer, 31, sonntaz-Autorin, hat selbst mal als Biologin in einem Elsevier-Magazin publiziert. Der Artikel kostet 34 Euro