„Die Sprache verrät alles“

SÜDAFRIKA Lesbische Frauen werden umgebracht. Warum? Weil sie das Patriarchat infrage stellen

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

Nach einer Woche Berlin ist die Kapstadterin Funeka Sooldat nur noch am Kichern. Jeden Abend ist sie mit den anderen acht Gender-AktivistInnen aus Afrika, die von der Heinrich Böll Stiftung eingeladen waren, durch die lesbisch-schwule Berliner Szene gezogen. Stämmig, groß, schwarz, laut, lesbisch ist sie. 1961 in Südafrika geboren, heute die bekannteste Aktivistin, die mit der Organisation Free Gender gegen die Vergewaltigungen und Morde an lesbischen Frauen in Südafrika auf die Barrikaden geht. Das ist gefährlich – auch für sie.

sonntaz: Wie haben Sie als lesbische Schwarze unter Apartheidgelebt?

Funeka Sooldat: Das Tragische an der Apartheid war, dass auch der unpolitischste Mensch davon betroffen war. Als ich klein war, kamen einmal Soldaten mit Hunden in die Schule und trieben uns raus – so brutal. Die Brutalität der Apartheid, das war, was Angst machte. Wäre es nicht so brutal gewesen, würden Leute heute besser verstehen, was Demokratie bedeutet.

Was stimmt heute nicht in Südafrika?

Es gibt keinen Respekt vor dem Leben. Es ist leicht, andere Menschen zu hassen und umzubringen. Nicht nur die Polizei ist brutal und tötet schnell, ganz allgemein ist Leben nicht viel wert. Männer können schrecklich aufeinander losgehen, und Frauen betrachtet man als etwas, das ständig bestraft werden muss. Ich meine, ein Land, in dem es normal ist, Vergewaltigung als Strafe einzusetzen, ist am Abgrund.

Kennen Sie Leute, die vergewaltigt, die umgebracht wurden?

Viele. Das hängt auch mit meiner Arbeit zusammen. Ich bin eine lesbische Aktivistin. Allein im Juli dieses Jahres wurden sechs Lesben auf bestialische Weise ermordet. Im Juni wurde eine junge Lesbe in der Nähe meiner Wohnung erschossen vor den Augen ihrer Großmutter und des siebenjährigen Kindes. Kürzlich war ich auch auf der Beerdigung von einem Schwulen. Sie hatten ihm die Genitalien abgeschnitten und in den Mund gesteckt. Wenn das normal ist, dann haben wir keine Zukunft.

Warum diese Hassverbrechen vor allem gegen Lesben?

Die meisten Lesben, die umgebracht wurden, sind sehr maskulin – wir sagen Butch-Lesben. Sie sehen wie Männer aus, sie ziehen sich wie Männer an, sie machen Sachen, die angeblich nur Männer machen, Fußball spielen und so. Die Männer fühlen sich in ihrem Selbstwert bedroht, wenn Frauen so sind wie sie. Sie wollen die Konkurrenz auslöschen.

Gibt es viele Lesben in Südafrika?

Früher war die Homosexuellen-Szene von schwulen Männern getragen. Aber seit Anfang des Jahrhunderts, als diese Vergewaltigungen und Morde so zunahmen, haben Lesben angefangen, sich zu organisieren. Da Butch-Lesben einfach zu erkennen sind, konnten sie ja nicht warten, bis man sie nach und nach umbringt.

Rechtlich sind Homosexuelle den Heterosexuellen in Südafrika gleichgestellt.

Wir haben eine wunderbare Verfassung. Da steht, niemand hat das Recht, jemanden aufgrund seiner sexuellen Orientierung zu diskriminieren. Aber dort, wo die Menschen zusammenleben, kommt das nicht an.

Sie sagten, Lesben seien sichtbar in Südafrika. Gehen sie Hand in Hand? Küssen sie sich in der Öffentlichkeit?

Ich hoffe, dass das eines Tages so sein wird. Jetzt erkennt man Lesben nur an ihrem Outfit. Treffen müssen sie sich in informellen Clubs, in Sheebeens. Irgendwo, wo man Bier trinkt, Billard spielt.

Und da kann man auch in der Dunkelheit hin?

Nein. Nicht nachts. Nicht alleine. Vor allem nicht als Lesbe. Du musst wahnsinnig aufpassen, wenn du trotzdem rausmusst.

Sie sind eine Butch-Lesbe. Wurden Sie angegriffen?

Oft. Einmal wurde ich fast umgebracht. Einmal wurde ich von einer Gang vergewaltigt, als ich von einem Treffen kam. Und wenn sie dich vergewaltigen, dann halten sie den Mund nicht. Sie sagen, wieso sie es tun, um es vor sich selbst zu rechtfertigen.

Wie verkraften Sie das?

Wahrscheinlich ist meine politische Aktivität eine Art, mich selbst zu heilen. So kann ich all meine Kraft dafür einsetzen, dass das, was passiert ist, nie mehr passiert. Eine wichtige Arbeit, die wir machen, hat mit der Polizei zu tun. Wenn wir zur Wache gehen und Anzeigen machen, war es lange normal, dass uns die Polizisten nur auslachen.

Hat sich das geändert?

Erst seit letztem Jahr, als wir zur stellvertretenden Polizeiministerin gegangen sind und eine Konferenz gemacht haben, auf der sie war. Sie hat sich bei uns entschuldigt, gesagt, ihr war nicht klar, welche Ausmaße die Angriffe auf uns haben.

Die Vergewaltigungsrate in Südafrika ist generell hoch. Warum hat sich die Polizei erst darum gekümmert, als Sie anfingen, das anzuprangern?

Man sagt, Südafrika sei das Top-Vergewaltigungsland in der Welt. Wir waren auch schockiert, dass die Polizei darin kein Problem sah. Ich meine, viele Polizisten halten Lesbischsein auch immer noch für etwas, das man korrigieren kann. Korrigieren, indem man die Lesben mit Vergewaltigung schockt. „Corrective rape“ – korrigierende Vergewaltigung –, die Sprache verrät alles.

Auch die Regierung hat sexuelle Gewalt nun auf die Agenda gesetzt.

Seitdem können wir sagen: Vergewaltigung ist Vergewaltigung – und mit nichts zu rechtfertigen. Wir Lesben wollen, dass das, was für heterosexuelle Frauen gilt, auch für uns gilt. Der Begriff „corrective rape“ macht einfach keinen Sinn. Es gibt da nichts, was korrigiert werden müsste.

Warum werden Lesben vergewaltigt und zudem ermordet?

Oft kennen die Opfer die Täter. Mord ist der leichteste Weg, Zeuginnen loszuwerden. Sie vergewaltigen dich und töten dich.

Gibt es offizielle Statistiken?

Nein, wie sollte es, wenn es bisher sinnlos war, zur Polizei zu gehen. Und viele Frauen haben Angst davor, dass dann erst recht publik wird, dass sie lesbisch sind oder dass sie in Verhören retraumatisiert werden.

In Nigeria und Uganda sind alle Homosexuellen in Todesgefahr. Warum sind es in Südafrika vor allem die Lesben?

Weil wir sichtbar sind. In den anderen Ländern ist es undenkbar, dass man im Alltag zeigt, dass man homosexuell ist.

Aber in Südafrika machen das die Lesben, obwohl sie das in Lebensgefahr bringt?

Wir als Organisation sagen: Die, die uns umbringen, sorgen auch dafür, dass wir geboren werden. Jeder Tod ermutigt andere, gegen dieses Unrecht aufzubegehren.

Wenn Sie mobilisieren, wie viele Frauen kommen dann?

Viele. Unsere Organisation Free Gender wird von dreißig Aktivistinnen getragen. Aber wenn wir eine Demonstration machen, dann kommen viel mehr.

Sind Sie bekannt in Südafrika?

Jeder kennt mich. Mir ist klar, dass das ein Risiko ist.

Warum ist Südafrika so eine Männergesellschaft?

Ich weiß es nicht. Wir waren so glücklich, als Mandela unser Präsident wurde. Er hat den Ton gesetzt. Er musste so viel in die Wege leiten, das Männerbild aber wurde nicht verändert. Mit einem so homophoben Präsidenten wie Jacob Zuma, dem jetzigen, wäre gar nichts in die Wege geleitet worden. Glücklicherweise haben wir die Verfassung.

Hat Apartheid die männliche Dominanz gefördert?

Ja, aber unsere Kultur ist auch so. Männer betrachten sich als die Gralshüter der Kultur. Es ist alles sehr patriarchal. Was uns aber Angst macht: Die Verfassung soll überarbeitet werden und das Änderungskomitee wird vom Chef der der traditionellen Stammesführerorganisation angeführt. Als er gefragt wurde, was an der Verfassung geändert werden müsse, sagte er sofort, die Sache mit der sexuelle Orientierung. Und sie wollen in den ländlichen Gegenden die traditionelle Stammesgerichtsbarkeit einführen. Eine Gerichtsbarkeit, in der Frauen alleine nicht aussagen dürfen. Wir sind dagegen.