„Schön, wenn die Leute sich aufregen“

CHARAKTER Die lesbische Schauspielerin und Kabarettistin Maren Kroymann findet, dass die Mehrheit auch was davon hat, wenn sie toleranter wird. Ein Gespräch über Outing, Anfeindungen und die Lust am Selbstdenken

■ Die Person: Die 1949 geborene Schauspielerin Maren Kroymann wächst mit vier Brüdern in Tübingen auf. Sie studiert Anglistik, Amerikanistik und Romanistik an der Universität Tübingen, Paris und Berlin.

■ Die Anfänge: Neben ihrem Studium arbeitet Kroymann als Schauspielerin am Tübinger Zimmertheater und an kleineren Bühnen in Berlin. 1982 geht die Schauspielerin mit ihrem Soloprogramm auf Tournee.

■ Der Durchbruch: 1988 bekommt sie die Rolle der Pfarrfrau in der ARD-Serie „Oh Gott, Herr Pfarrer“. 1990 dreht Kroymann die Serie „Vera Wesskamp“. 1993 hat sie als erste deutsche Frau im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Satiresendung „Nachtschwester Kroymann“. Von 2001 bis 2006 spielt sie die Mutter in der RTL-Comedy-Serie „Mein Leben und ich“ – sowie in preisgekrönten Filmen wie „Verfolgt“ oder der Fernsehserie „Klimawechsel“. Derzeit ist Kroymann mit ihrem Soloprogramm „In my Sixties“ auf Tournee.

GESPRÄCH INES POHL
UND ENRICO IPPOLITO

sonntaz: Frau Kroymann, ist es für Sie wichtig, dass die Menschen Sie mögen?

Maren Kroymann: Was mir passiert, ist, dass Leute mich erkennen und grinsen – aber nett. Gerade Frauen. Das finde ich schön. Ich weiß nicht. Es hängt sicherlich damit zusammen, wann sie mich zum letzten Mal gesehen haben. Die erkennen mich, wissen aber meist nicht, wie ich heiße. Die wissen nur, ich bin eine Person, die sie kennen.

Sie sind auch eine Person, die eine Meinung hat und es nicht allen recht macht – Sie haben durch Ihr Eintreten für die Rechte von Homosexuellen wichtige Impulse gegeben.

Vielleicht ist es gut, dass ich auf keinem Gebiet wirklich Experte bin. Und dass ich von außen Sachverhalte erklären muss, weil ich eigentlich nicht die fachliche Kompetenz habe. Ich bin ja nicht wie Volker Beck von den Grünen seit dreißig Jahren in der Politik und kämpfe für Homo-Rechte. Der das toll macht. Den Part habe ich ja nicht. Ich muss eher die Sicht der Minorität zusammenfassen, bin eher Vermittlerin. Fachfremd zu sein ist gut, wenn man in einer Talkshow sitzt. Es ist ja meistens nichts langweiliger als Lobbyisten in Talkshows.

Bekommen Sie aufgrund Ihres Engagements Gegenwind?

Ja, klar. Da kommen auch schon mal homophobe Mails.

War das schon immer so – oder ist das eine neue Tendenz?

Ich glaube, eine neue. Vor ein paar Jahren, bei der Diskussion über das Partnerschaftsgesetz, waren alle vorsichtiger. Der Gedanke der Political Correctness war noch relativ neu. Jetzt gibt es uns selbstverständlicher, das weckt offenbar Aggressionen. Und das zeigt, dass es doch noch nicht verarbeitet ist, gesellschaftlich. Was ich immer gesagt habe.

Wie gehen Sie damit um?

Meine Webmasterin warnt mich vor, und dann schaue ich mir diese Mails vor Aufritten nicht an. Ich kann schon damit umgehen, aber es beschäftigt mich auch.

Was genau beschäftigt Sie? Man könnte die E-Mails doch auch einfach als homophob und dumm einordnen.

Die sind so semi-tumb. Das sind Bildungsbürger – erschreckend. Ich glaube auch, dass ich in Teilen meines Freundeskreises mit Ablehnung rechnen müsste, wenn ich über Gleichstellung, Ehe und Adoption reden würde – ich rede nicht mit allen über alles. Die in meinem Umfeld beziehen sich meist gar nicht auf das, was ich politisch in Bezug auf Schwule und Lesben mache. Ich weiß, zum Teil finden sie das zum Augenrollen. Viel positives Feedback kommt nicht. Es ist eben noch relativ neu, dass man Homosexuelle nicht diskriminieren darf. Es wird noch Generationen brauchen, bis das angekommen ist und nicht mehr emotional diskutiert wird.

Verstehen Sie das als Ihren politischen Auftrag? Sie sind als Lesbe für die Gay Community aktiv unterwegs.

Alles fing mit der Hauptrolle in „Oh Gott, Herr Pfarrer“ an. Da bekam ich plötzlich unerwartet – und wie ich auch finde unverdiente – Prominenz. Dann habe ich mich in eine Frau verliebt.

Davor waren Sie also mit Männern zusammen?

Ja. Die ersten zwanzig Jahre meines sexuell aktiven Lebens. Dann dachte ich, da ich diese Prominenz habe, kann ich auch was Sinnvolles damit machen – und es auch politisch nutzen. Die Mehrheit hat ja auch was davon, wenn sie toleranter wird.

In den Neunzigern wurde noch viel härter mit Homosexuellen umgegangen.

Ja, da redet heute keiner mehr drüber. Zum Beispiel wurden Anfang der 90er drei schwule Radio-Moderatoren beim Sender Freies Berlin nicht mehr beschäftigt, weil sie zu schwul geklungen hätten. Das hat deren Lebensweg verändert. Sie hatten sich als Erste exponiert. Das ist noch nicht so lange her.

Lesbische Frauen scheint es in den Neunzigern überhaupt nicht gegeben zu haben.

Bei den Lesben gab es ja nur Hella von Sinnen, die ich total schätze. Sie hat so viel Verehrung verdient, weil sie die Erste war und sich entschieden hat, die Lesbe der Nation zu sein. Ich fand es für mich auch richtig, diesen Schritt zu gehen. Es ist ja eigentlich nur eine Kleinigkeit, nämlich zu dem zu stehen, was ich bin.

Bereuen Sie Ihr Outing in der Öffentlichkeit?

Es gab ein Jahr nach meinem Coming-out, da hatte ich kein einziges Spielangebot. Das fiel schon auf. Ich bereue es nicht, weil es mir gutgetan hat. Es hat mich stärker gemacht, auch gegen Anfeindungen. Als Person, die mit Satire unterwegs ist, muss man sowieso eher aushalten, dass man nicht geliebt wird. Es hat mich mutiger gemacht. Meine Angebotslage hat es jedoch, vorsichtig gesagt, nicht befördert.

Spüren Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, tatsächlich einen so großen Druck, dass sie sich nicht outen können?

Natürlich haben die Angst. Es gibt eine Grundangst. Bei den Fußballern, in der Politik und im Management, da sagt es ja auch keiner. Aber bei vielen, die in den Medien auftauchen, geht es ja nicht wirklich um die Existenz, also um Hartz IV oder nicht. Da geht es eigentlich um ein Eigenheim und ob man sich fürs Häuschen auf Mallorca noch einen Swimmingpool leisten kann. Und an diesem Punkt hört mein Mitleid auf. Es gibt unterschiedliche Grade von Druck. Es gibt Prominente, die sich nicht outen oder es lange nicht gemacht haben. Die wären nie auf ein Existenzminimum zurückgeworfen, da geht es dann mehr um die gute Quote.

Haben Sie sich eigentlich freiwillig geoutet?

Ja, ich bin die Erste. Ich war die, die es sozusagen ohne Not getan hat. Ich sah nicht so aus, war nie prominent in der Presse, hatte vorher stets Männerbeziehungen. Bei der ARD haben damals alle gedacht: völlig überflüssig! Und auch in der Familie stieß das nicht nur auf Gegenliebe.

Und nach Ihrem öffentlichen Outing passierte …

… lange nichts.

Man denkt ja, Menschen ebnen den Weg, und dann können die anderen auch mal langsam aufbrechen.

So hatte ich mir das auch eigentlich gedacht. Ich hatte dieses Privileg mit der Serienhauptrolle. Und der Plan war, jetzt mache ich das, und dann kommen alle nach. Dann kam gar niemand. Als Nächste kam Ulrike Folkerts, aber sehr viel später. Das passierte dann durch die Bild, und so hatte sie das nicht gewollt. Ich fand ganz toll, dass sie dazu gestanden hat.

Gibt es ein Netzwerk lesbischer Frauen in den Medien?

Nein, nicht wirklich. Prominente, ungeoutete Lesben wollten nach meinem Outing nicht gern mit mir gesehen werden, weil das ja suggeriert hätte, dass sie vielleicht auch lesbisch sind.

Hat Sie das gestört?

Das fand ich völlig absurd. Wo sind wir denn? Für viele Lesben bin ich ein rotes Tuch, weil ich ihnen ein schlechtes Gewissen mache. Ja, ich bin das personifizierte schlechte Gewissen für viele Leute.

Haben Sie immer noch diese Rolle?

Manchmal ja. Die tun so, als ob ich total dogmatisch wäre.

Sie sagen aber schon öffentlich, dass sich mehr Menschen outen sollen. Und dass jeder in einer prominenten Funktion den anderen damit hilft.

Ich würde das aber nie fordern, denn wenn man sich geoutet hat, ist man immer allein – da hilft einem auch keine Community. Man muss es vorher wissen, ob man sich traut und es aushält. Denn es verändert das Leben.

Gibt es einen Punkt, an dem Sie ein Outing von Prominenten für richtig halten?

Bei Verlogenheit und Bigotterie, also wenn Homosexuelle Böses über Homosexuelle sagen, würde es mich schon manchmal jucken , aber ich würde es nie tun. Weil ich es falsch finde. Wie die Amis das gemacht haben, ist es schon richtig. Nur outen, wenn jemand direkt antihomosexuelle Politik betreibt. Wenn sich jemand tatsächlich reaktionär und homophob äußert, aber selbst homosexuell ist. Dann müsste man das noch mal neu diskutieren. Ich bin da aber sehr vorsichtig. Was die Leute aggressiv macht, ist ja, wenn man sich selbst outet. Bei Hape Kerkeling hat man Rosa von Praunheim gehasst, weil er ihn geoutet hat, nicht Hape. Die Leute, die es freiwillig machen, exponieren sich anders.

Aber trotzdem nehmen viele ungeoutete Homosexuelle öffentlich am Leben in der Community teil – ohne sich zu outen. Man nimmt was von der Community, gibt aber gleichzeitig nichts zurück, weil man seine Homosexualität nicht medial öffentlich machen will. Ärgert Sie das nicht?

Ich muss aufpassen, sonst komme ich wieder in die moralische Ecke. Ich würde es positiv sagen: Ich finde jeden toll, der sich outet. Man sollte auch Zivilcouragepreise vergeben an die, die ein Minimum an weniger Zuneigung in Kauf nehmen. Und darum geht es auch bei vielen homosexuellen Prominenten, die sich nicht outen. Es geht nicht darum, dass sie nicht mehr ihren Beruf ausüben können, sondern dass sie – vielleicht! – ein bisschen weniger geliebt werden. Es kann ja dann durchaus Respekt dazukommen.

Hat das was mit Eitelkeit zu tun?

Alle wollen geliebt werden, die im Fernsehen sind oder in der Öffentlichkeit. Es hat was mit Eitelkeit, aber auch mit dem Bedürfnis nach Harmonie und Anerkennung zu tun. Und ganz oft auch mit Macht.

Sind Sie es nicht manchmal müde, die Vorzeigelesbe zu sein? Oder anders gefragt: Wäre es nicht an der Zeit, den lesbischen Nachwuchs zu ermutigen, in Ihre Fußstapfen zu treten?

Die müssen sich noch sicherer sein, dass es ihnen nicht schadet. Es müsste eigentlich mehr geben, wie bei den Männern.

Warum sind Männer mutiger?

Die Jungs haben die Schwulenbewegung gestartet, und es gab kein Pendant. Die Lesben sind alle in die Frauenbewegung gegangen. Die hatten erst mal ein anderes Thema. Die Befreiung der Frauen insgesamt. Und die Männer waren auch die sichtbarer Diskriminierten – nur sie waren Gegenstand des Paragrafen 175.

Trotz allem scheinen Sie beim Publikum beliebt zu sein – so der Eindruck. Warum korreliert diese Popularität nicht mit der Anzahl von Rollenangeboten?

Weil die Produzenten, Regisseure und Redakteure es nicht mitmachen. Ich habe auch das Gefühl: Mein Image ist besser als meine Auftragslage. Da gibt es tatsächlich eine Kluft. Die entscheidenden Leute vom Fernsehen haben noch nicht geschnallt, was man mit mir machen könnte.

Was hätten Sie denn gerne? Eine eigene Serie?

Ja , sehr gerne! Eine Reihe oder Serie, in der die intelligenteren Menschen sich wiederfinden, die Witz hat, in der meine unterschiedlichen Talente zum Tragen kommen. Aber in einigen Sendern halten sich noch die alten Stereotype. Da haben Männer immer noch Probleme mit Feministinnen. Für die Entscheidenden bin ein rotes Tuch in der Kombination: feministisch, offen lesbisch und tendenziell intellektuell. Ich denke halt selbst – auch im Sinne von Forderungen. Und nicht nur im Sinne von „Habt mich doch lieb“. Das mochten die nun gar nicht.

Wird diese Kombination womöglich von vornherein als „zu links“ gedacht?

Das kommt noch hinzu. Aber am meisten hatten sie, glaube ich, gegen das Selber-Denken. Das intellektuelle Image, die soll sich doch nicht so aufspielen. Sie laden mich mittlerweile gern in Talk-Shows ein. Das schon. Beim Besetzen sind sie zögerlich.

Sie sind nicht nur im Fernsehen präsent, sondern auch auf vielen verschiedenen Bühnen. Sie singen, machen Kabarett …

Dadurch können sie mich nicht erpressen. Ich mache halt mein eigenes Programm. Und das ist mir auch total wichtig, weil ich dann niemandem Rechenschaft ablegen muss. Beim Fernsehen muss man das ja immer. Jetzt mache ich einfach meins – und entweder sie kommen auf mich zu oder eben nicht.

Hat sich schon jemand gemeldet in letzter Zeit?

Die können mich nicht leiden. Die rächen sich, indem sie mich scheiße finden – als Frau auch. Wie ich aussehe und wie ich bin, finden die Kacke. Dann komme ich eben einfach nicht vor.

Wenn Sie das jetzt hier so offen sagen, dann wird Ihnen das ja eher noch mehr schaden, oder?

Wissen Sie: Ich bin nicht wahnsinnig ehrgeizig. Ich mache halt nicht alles für die nächste Rolle. Ich bin bereit zu Extremen, das ja. Ich möchte Rollen machen, die mich weiterbringen, die ich richtig geil finde. Das kann auch mal ein Hochschul-Abschlussfilm sein, also was Unbezahltes.

Das sagen Sie so schön entspannt. Aber ist das nicht genau das Problem, das viele Künstler haben? Friss oder stirb – das zu machen, was man wirklich möchte, ist doch ein Luxus.

Ja, das ist ein Luxus. Da bewährt sich dieses alte Bildungsbürgerliche von meinen Eltern. Man muss das Hirn ausbilden – und das nicht nur einseitig. Lieber mehrere Schienen fahren, weil es dann natürlich viel leichter ist, zu sagen: Leck mich am Arsch.

Kommen wir zu Ihren Filmen. Eine der wichtigsten Rollen war für Sie in „Verfolgt“ – Sie spielen darin eine Frau, die ein obsessiv-sexuelles Verhältnis mit einem 16-Jährigen eingeht.

Ja, das ist wirklich eine eine wunderbare Rolle.

Was ist daran so wunderbar?

Dass die Figur über Grenzen geht und das eigentlich nicht vorgesehen ist. Eine Frau um die 50, die einen okayen Typ hat und eine Tochter. Die merkt dann, dass ein junger Mann bei ihr Sado-Maso-Gefühle auslöst. Was wiederum ganz andere Entwicklungen nach sich zieht. Sie bricht Tabus, geht große Risiken ein – weil sie eben noch lebt.

Sie gehen, so scheint, gern an die Grenzen.

So viele Grenzen habe ich jetzt auch nicht überschritten. Ich finde nicht, dass ich revolutionär Grenzen überschritten habe.

Outing, Ihre politische Haltung, Kabarett, die Filmauswahl …

Provokation hat mir immer Spaß gemacht. Es ist schön, wenn die Leute sich aufregen.

Das gibt Ihnen Kraft?

Ja, wenn so bräsige, präpotente Typen hochgehen.

Ines Pohl ist taz-Chefredakteurin, ihre Frau lebt in den USA

Enrico Ippolito ist taz-2-Redakteur, sein Partner stammt aus Italien