Mittlermächte

ORDNER Im Netz ist der Ton oft rau. Gerade wenn Gleiche unter Gleichen reden, braucht es Moderatoren. Drei Porträts

Wer sich mit Oliver Tabola verabreden will, der sollte ein paar Spielpläne im Kopf haben. Auf jeden Fall die Partien von Werder Bremen, Tabolas Lieblingsverein. Aber auch wenn Champions-League-Spiele, Europameisterschaft oder Weltmeisterschaft stattfinden, kann es eng werden. Tabola sitzt dann nicht unentwegt vor dem Fernseher, sondern vor dem Computer. Als Moderator der Seite fussball-forum.de achtet er darauf, dass in der Community auch nach falsch gepfiffenen Foulelfmetern die Umgangsformen gewahrt werden.

Seit 2004 ist der Informatikkaufmann dabei. Neben dem Job, je nach Saison eine Stunde täglich oder mehr. 2,3 Beiträge pro Tag schreibt er im Schnitt, so hat es die Forumssoftware ausgerechnet – er ist einer der Aktivsten. Oliver Tabola schafft es, auch bei hochernsten Diskussionen, und hier geht es immerhin um Fußball, noch Witze zu reißen. In seinem Profil, Punkt Interessen, steht: „Häkeln, Synchronschwimmen, … WAS SOLL DIE FRAGE??? Viel Fußball und net ganz so viel Computer …“

„Am meisten los ist vor Meisterschaften oder wenn die Deutschen spielen“, sagt Tabola. Angefangen hat er als Nutzer des Forums, dann ab und an Spielberichte geschrieben, und schließlich sei er gefragt worden, ob er nicht auch moderieren wolle. „Ich hab mir gedacht, probieren wir’s mal, und da sind mittlerweile acht Jahre daraus geworden.“ Er sei da aktiv, weil „ich einen Riesenspaß am Fußball habe“, sagt Tabola. Das mit der Moderation sei eher Beiwerk. „Irgendjemand muss es ja machen, sonst artet es aus.“ Was er sofort löscht: Beschimpfungen, Provokationen oder Posts, die überhaupt nichts mit dem Thema zu tun haben.

Dann gebe es natürlich die Trolle, die stören wollen, und die, die glaubten, ihre Meinung würde davon wahrer, dass sie das Gleiche immer und immer wieder wiederholten. Acht Jahre Moderation hinterlassen Spuren, auch bei Tabola. Es habe da beispielsweise, als er noch relativ neu war, eine längere Diskussion mit einem Nutzer gegeben. „Irgendwann habe ich einfach den Rechner runtergefahren und nicht mehr geantwortet, weil ich gemerkt habe, er hat recht und ich komme aus der Nummer nicht mehr raus.“ Was würde er heute tun? „Ich würde einfach schreiben, okay, es stimmt schon, du hast recht.“ Auch die Selbstwahrnehmung verändere sich. „Seit ich Moderator bin, lese ich über eigene Beiträge schon noch mal mit den Augen eines Moderators. Trotzdem kann es passieren, dass da hinter den Kulissen gefragt wird: Hättest du das so stehen lassen?“ Dass man als Moderator Dinge bestimmen könne, damit müsse man verantwortungsvoll umgehen. Gerade wenn es nicht um eindeutige Fälle geht, in denen sowieso klar ist, dass nur ein Klick auf den Lösch-Button die Diskussion rettet.

Mitunter sei es ein schmaler Grad zwischen dem Versuch, jemanden zu überzeugen, und unangenehmem Insistieren. „Je vehementer du auf deiner Meinung beharrst, desto eher entsteht bei dem Nutzer der Eindruck, hier will der Moderator dir eins überbraten“, sagt Tabola. Zumal sich Moderatoren und der harte Kern der Stamm-User persönlich kennen. Einmal im Jahr verabreden sie sich zum Grillen – auf dem Sportplatz. SVENJA BERGT

Was sie macht, betrachtet Henriette Fiebig als eine Art Hausmeistertätigkeit. Hier ein bisschen putzen, da ein bisschen aufräumen und an anderer Stelle etwas polieren. Wirklich nichts, was die Welt bewegen würde.

Dabei bewegt Fiebig durchaus die Welt, schließlich beaufsichtigt sie als Administratorin das Wissen des Lexikons Wikipedia. Nicht nur Nahostkonflikt oder Kioto-Protokoll, auch das Restaurationsbrot hat in dieser Wissenssammlung seine Daseinsberechtigung.

„Im Prinzip ist das eine Stulle mit viel Belag“, sagt Henriette Fiebig. Eigentlich wäre der Eintrag damit fertig, hätte nicht ein Nutzer ausdauernd in Gaststätten recherchiert, Speisekarten durchforstet und Fotos der regional ganz unterschiedlichen Brote gemacht, um das alles dann auch zu präsentieren. Hier kommt nun Fiebig ins Spiel: Als Administratorin löscht sie nicht nur unsinnige Einträge, sperrt aufsässige Nutzer oder stellt verunstaltete Artikel wieder her. Sie beteiligt sich auch an Diskussionen, versucht zu schlichten oder zu überzeugen, alles ehrenamtlich.

„Wir haben, glaube ich, drei Wochen und 15 DIN-A4-Seiten lang um dieses verdammte Brot gestritten“, erinnert sie sich. Was ist relevant, wie viel Tiefgang ist nötig? Die Einigung am Ende: ein vier Sätze langer Artikel, dazu ein Foto. Seit 2004 ist Fiebig, die ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck Enzyklopädist trägt, bei der Wikipedia dabei, erst als Nutzerin und nach ein paar Monaten als Administratorin. Die Administratoren werden von der Community Admins genannt und auch von ihr gewählt.

Eine Kandidatin braucht mindestens eine Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Als Fiebig anfing, war alles familiärer, weniger Regeln, und obwohl sie erst so kurz dabei war, schaffte sie es. „Heute“, sagt Fiebig, „muss man schon mindestens zwei Jahre aktiv sein, um eine Chance zu haben.“ Fiebig kennt den Tagesablauf ihrer Institution. „Bis zur Mittagszeit sind es eigentlich immer Schüler, die anonym irgendwelchen Unfug treiben. Früher gab es das nur in den Pausen, mittlerweile auch während der Unterrichtszeit.“

Sie erinnert sich an einen Fall, in dem jemand im Eintrag zum Thema Gehweg sämtliche Substantive ausgetauscht hatte – durch Begriffe wie Penis und Geschlechtsverkehr. Fiebig musste lachen, verwarnte den Störenfried und stellte mit einem Klick den alten Text wieder her. „Ob diese kleinen Vandalen sich die Mühe immer noch machen würden, wenn sie wüssten, dass mich das zehn Sekunden kostet, die Spuren zu beseitigen?“ In der Community ist sie bekannt. Geht auf Stammtische, trifft andere Mitglieder persönlich, hält Vorträge. Ihre Bekanntheit hilft ihr – nicht nur in Diskussionen, sondern auch, als sie sich als Admin wiederwählen ließ. „Ich habe auch schon persönliche Anfeindungen erlebt, nach denen ich dann mit Magenschmerzen vor dem Rechner saß und nicht mehr schlafen konnte.“ In solchen Fällen zieht sie sich jetzt ein paar Wochen zurück und hört auf, mitzudiskutieren. Nach drei Wochen Abstand sehe die Welt schon wieder ganz anders aus.

Was macht Spaß daran, Admin zu sein? Fiebig überlegt. Und überlegt. „Also beim Löschen und Sperren eigentlich nichts.“ Dann hält sie noch mal kurz inne. „Ich finde es aber extrem interessant, die Dynamik in einer Community zu beobachten. Und wenn man dann in einer Diskussion durch Zufall den entscheidenden Kommentar schreibt und alle sagen, ja, sie hat recht. Das ist eigentlich das schönste Kompliment.“ Dann muss sie los. Sie habe da gerade noch eine Diskussion am Laufen.

SVENJA BERGT

Als Maria Rosenau anfing, herrschte Chaos: Beleidigungen, Verschwörungstheorien, Äußerungen vom rechten Rand. „Aber mittlerweile“, sagt Rosenau, „hab ich sie ganz gut erzogen.“

Rosenau moderiert eine Facebook-Gruppe, in der sich Piraten und Pirateninteressierte treffen. Eine inoffizielle Gruppe, also keine, die für einen Landes- oder den Bundesverband steht. „Ich bin vor etwa einem Dreivierteljahr durch Zufall auf die Seite gestoßen und die lief komplett aus dem Ruder“, erzählt Rosenau. Von einem Ort für ernst zu nehmende politische Diskussionen sei die Gruppe weit weg gewesen.

Rosenau sitzt auf einem schwarzen Ledersofa in einem kleinen Café in Berlin Prenzlauer Berg. Sie hat Guarana bestellt, eines dieser Wachmacher-Getränke, und redet und redet. Manchmal hält sie kurz inne und sagt: „Ich hoffe, das war jetzt nicht zu durcheinander.“

Seit etwa einem Jahr ist Rosenau Mitglied der Piratenpartei und aktiv im Berliner Landesverband. Sie habe sich quasi in der Wahlkabine für die Piraten entschieden und sei danach eingetreten, erzählt sie. Auf der Suche nach einem Ort, um Piraten-Inhalte zu posten, sei sie auf die Facebook-Gruppe gestoßen: „Ich hab erst mal geguckt und gedacht, hier sind ja ein paar komische Leute.“ Vertreiben lassen hat sie sich trotzdem nicht – sondern stattdessen die Gruppe in die Hand genommen. „Mich hat es, glaube ich, genervt, dass, auch wenn es keine offizielle Gruppe war, unter dem Label Piraten Inhalte verbreitet wurden, die mit piratiger Meinung so gar nichts zu tun haben“, sagt sie.

Kurz darauf hat der Admin der Seite sie dann gefragt, ob sie nicht moderieren will, sie könne das ja wohl ganz gut. „Dann habe ich ein bisschen Unkraut gejätet“, erzählt sie. Sie schrieb Richtlinien, die rechtsextreme Äußerungen, Minderheitenbashing und Beleidigungen verbieten, sie löschte entsprechende Posts. „Sobald da reingegrätscht wird, verziehen sich die meisten komischen, zwielichtigen Leute sowieso.“ Mittlerweile ist sie nicht nur für die inoffizielle Gruppe zuständig, sondern moderiert auch bei der offiziellen Gruppe des Landesverbands mit.

Wer in Diskussionen eingreift, löscht, Nutzer sperrt, muss mit Anfeindungen leben. „Das Schlimmste, was mir passiert ist, war, dass mir ein Nutzer mit dem Anwalt drohte“, sagt Rosenau. Sie hatte ihm zuvor vorgeworfen, rechtsextreme Ansichten zu verbreiten. „Da hab ich angefangen, Screenshots zu machen, um gewappnet zu sein, und auch mit unserem Anwalt gemailt.“

Angriffe, die über eine sachliche Diskussion hinausgehen, gibt es immer wieder, jeder Moderator sucht sich seinen eigenen Weg, damit klarzukommen. Für Rosenau ist es die Öffentlichkeit. Besonders fiese Bemerkungen postet sie auf Twitter: „Ich kann es rauslassen, bekomme Bestätigung, werde geflauscht, und dann ist auch alles wieder gut.“ Mehrere Stunden wöchentlich verbringt sie mittlerweile damit, ehrenamtlich. Fast immer. „Ein Urlaubsgebiet, in dem ich nicht ins Internet komme, muss erst noch gefunden werden.“ SVENJA BERGT

■ Admin, der, die: Das Wort Administrator, kurz Admin, leitet sich ab vom lateinischen Wort administrare: verwalten. Die Verwaltungsfunktion des Admin bezieht sich auf Windows-Betriebssysteme, Mailinglisten oder Diskussionsforen. Das Community-Management ist eine moderne Form der Administratorentätigkeit. Community-Manager achten auf den Umgangston in Diskussionen und verwarnen Störenfriedas oder Störenfriede. Sie organisieren sich im Bundesverband für Community Management e. V., dem BVCM.

■ Sysadmin, der, die: Systemadministratorinnen, kurz Sysadmin, nehmen ihre Verwaltungsfunktion vor allem als Betreuerinnen oder Betreuer von technischer Infrastruktur wahr. Sie sorgen beispielsweise für den Betrieb und die Aufrechterhaltung eines IT-Netzwerks in einem Unternehmen. Systemadministratorinnen werden oft von Mitarbeitern angerufen, weil an deren Computern etwas nicht funktioniert. Systemadministratorinnen sagen dann in der Regel: „Haben Sie schon versucht, einmal neu zu starten?“