„Ich wollte, dass es knallt“

DIGITAL Der Autor Jonas Winner ist einer der erfolgreichsten Online-Selbstverleger. Er setzt auf den Marktführer

■ Der Mann: Jonas Winner wurde 1966 in Berlin geboren und wuchs dort und in Rom auf. Er promovierte in Philosophie über Spieltheorie, arbeitete als Reporter und Kulturredakteur beim ZDF. Seit 2000 schreibt er Drehbücher.

■ Der Romanautor: 2011 erschien Winners erster Roman, „Davids letzter Film“, beim dtv-Verlag. Im selben Jahr begann Winner, als Self-Publisher auf der Amazon-Plattform Kindle Direct Publishing, seine Thrillerserie „Berlin Gothic“ zu verkaufen, die Winner zum ersten deutschen Autor machte, der dort über 100.000 Exemplare verkaufte. Amazon lässt den Roman derzeit ins Englische übersetzen, Winner verhandelt über Filmrechte für den Stoff. Der Knaur-Verlag wird „Berlin Gothic“ im Sommer 2013 nochmals als Printbuch auf den Markt bringen. Bei Knaur erschien im Oktober auch Winners neuer Thriller, „Der Architekt“.

INTERVIEW MEIKE LAAFF

sonntaz: Herr Winner, kaum ein Autor hat über Amazons Plattform Kindle Direct Publishing mehr E-Books verkauft als Sie mit Ihrer Reihe „Berlin Gothic“. Wie kam das?

Jonas Winner: Als mein Thriller „Davids letzter Film“ beim dtv-Verlag erschienen ist, habe ich immer im Netz geguckt: nach Rezensionen, aber vor allem auf das Ranking des Buchs auf Amazon. Da starrt man drauf wie so ein Hase aufs Scheinwerferlicht: Wo steht mein Buch? Jeden Morgen. Und dann hab ich in diesen Google-Arien gesehen: Man kann selbst bei Amazon, diesem wichtigsten Portal, wenn es um Bücher im Internet geht, direkt sein Buch reinladen. Da ist bei mir sofort der Groschen gefallen.

Dann haben Sie bei Amazon ein Manuskript hochgeladen, das Sie auch einem traditionellen Verlag angeboten hatten?

Nein, denn ich war noch gar nicht fertig mit „Berlin Gothic“. Ursprünglich hatte ich diese Geschichte als Trilogie angelegt – aber mein Verlag dtv wollte sich mit der Veröffentlichung meiner Bücher mehr Zeit lassen, als mir lieb war. Da wäre der letzte Teil erst 2015 erschienen. In dieser Phase habe ich von Kindle Direct Publishing erfahren und habe dann mein Buch nicht erst noch einem Verlag angeboten, sondern da war klar: Das dauert alles viel zu lange.

Als Selfpublisher bei Amazon muss man ja aber vom Cover bis zum Marketing alles selbst machen. Wie schwierig war das?

Im Prinzip ist dieses Kindle-Direct-Publishing-Portal einfach zu bedienen. Man kann eine Word-Datei hochladen oder auch mit einem E-Book-Programm, das als Freeware zu bekommen ist, aus dem Word-Dokument erst noch ein E-Book machen, das man bei KDP hochlädt. Für das Cover muss man ein bisschen mit einem Bildprogramm operieren – das ist ja auch nicht so schwer. Wer Facebook kann, der kann auch ein E-Book bei Amazon hochladen, würde ich sagen. Man muss dann noch den Preis festlegen. Das ist ja eine richtige verlegerische Entscheidung.

Sie haben sich entschieden, jeden Teil Ihres „Berlin Gothic“-Romans für 99 Cent zu verkaufen. Ein schmerzhafter Moment für Sie als Autor?

Ich habe den etwa 1.400 Seiten langen Roman in sieben Teile gesplittet. Das heißt, eigentlich verkaufe ich das Buch für 7 Euro. Das wiederum scheint mir nicht zu wenig. Natürlich stelle ich mir die Frage nach wie vor: Sollte ich den Preis hochsetzen?

Und?

Ab einem Verkaufspreis von 2,60 Euro zahlt Amazon an Autoren 70 Prozent. Das bedeutet, wenn ich eine Folge für 2,99 Euro verkaufe, verdiene ich ungefähr 2 Euro. Verlange ich nur 99 Cent pro E-Book, geben sie mir etwa 33 Cent. Also nur ein Siebtel. Auf der anderen Seite hat mir meine Recherche bei den Amerikanern gezeigt: Einer der Hebel, wie Selfpublishing funktioniert, ist natürlich der Preis. Und es ging mir nicht darum, dieses Buch nur 2.000- oder 3.000-mal zu verkaufen. Ich wollte, dass es knallt. Darum habe ich mir gedacht: Du hast die größten Chancen, wenn du es so richtig billig machst. Der Preis war natürlich ein wichtiges Marketinginstrument.

Wenn Sie 33 Cent pro verkauftem E-Book von Amazon bekommen haben, haben Sie insgesamt 40.000 Euro verdient.

40.000 müsste ungefähr stimmen. Da ich auch über andere E-Book-Shops vertreibe, müsste man das mal genau ausrechnen.

Sind Sie frustriert von traditionellen Verlagen? Fehlt denen die Lust am Experiment?

Na ja … Wenn die das Buch drucken, haben sie massive Kosten im Vorfeld. Allein das Papier. Das Lektorat. Dieser ganze Verlagsapparat. Lastautos, das muss alles bezahlt werden. Diese Kosten können sie nicht investieren in etwas, von dem sie nicht wissen, ob es funktioniert. Also scheuen sie vor dem Experiment zurück. Ich kann aber experimentieren, weil ich keine Kosten habe. Außer meiner Arbeitszeit. Darum bin ich natürlich viel experimentierfreudiger als ein Verlag.

Jetzt erleben Sie als E-Book-Autor ein ganz direktes Verhältnis zwischen Autor und Leser. Weil sich Amazon unsichtbar macht.

So ist es. Das sagen die ja auch selbst. Amazon hat gesagt: Es braucht nur einen Leser und einen Autor, der ganze Zwischenapparat ist überflüssig. Deswegen jaulen Buchhandel und Verlage. Ist ja auch dramatisch. Man kann es auch mal so betrachten: Früher wurden die Bücher mit der Hand geschrieben – und die handabschreibenden Mönche sind ja auch nicht mehr nötig. Heute sind eben andere Sachen nicht mehr so nötig.

Wie verändert das Ihre Arbeit?

Meine Arbeit verändert das nicht. Ob ich ein Manuskript zum Verlag schicke oder ob ich es bei Amazon publiziert habe, das ist für mich das Gleiche.

Der Verlag zahlt Ihnen immerhin einen Vorschuss für Ihr Buch.

Das kommt drauf an, wie etabliert du bist. Wenn du etabliert bist, hast du einen schönen Vorschuss, wenn nicht, hast du einen Scheißvorschuss. Ich kriege jetzt okaye Vorschüsse. Seit 2011. Vorher waren die nicht so toll. An dem Punkt, an dem ich jetzt stehe, ist es schon angenehm, dass ich nicht mehr das volle Risiko gehen muss wie mit einem E-Book-Projekt. Es hat natürlich riesige Nachteile, online zu publizieren.

Weniger Geld?

Nein. Der Hauptnachteil ist: Wer liest denn heutzutage schon E-Books in Deutschland? Die Zahlen schwanken, 2, 5, 7 Prozent höchstens. Von hundert Lesern erreiche ich damit also 95 überhaupt nicht. Das muss einfach über Holzbuch gemacht werden. Was ich aber als Selfpublisher nicht machen kann – weil ich das nicht finanzieren kann. Das kann nur ein Verlag. Deswegen ist es natürlich eine große Freude, wenn ein Verlag sagt: Wir gehen das Risiko für dich ein – wir machen ein Holzbuch draus.

Aber die Angst vor Amazon ist ja absolut da. Da ist ein Unternehmen, das genau so unbesehen, wie es Waschmaschinen verkauft, auch Bücher verkauft. Verstehen Sie diese Angst?

Wenn ein Buchhändler seinen Laden schließen muss, weil alle ihre Bücher bei Amazon kaufen, da bricht mir das Herz. Auf der anderen Seite kann man das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Subventionen für Buchhändler – wären auch Quatsch. Wir leben in der freien Marktwirtschaft, da funktioniert das halt so. Das entwickelt sich einfach weiter. Ich finde, das E-Book hat auch ungeheure moralische, ethische Vorteile. Vielen Leuten, die sich bisher keine Goethe-Gesamtausgabe leisten konnten, weil die 5.000 Euro kostet oder wie viel auch immer, die können sich den Goethe jetzt für 0 Euro auf den E-Book-Reader laden. Das ist doch ein Fortschritt! Wenn man die Ideologie der Aufklärung beherzigt, ist das alles im Grunde ein Schritt in diese Richtung.

Viele in der Buchbranche sehen Amazon als Reinkarnation des Bösen. Für Sie ist es neutral?

Ich finde Amazon toll. Das reicht an Gutenbergs Erfindung fast schon ran. Gutenberg hat eine Maschine erfunden, mit der das Verbreiten von Büchern billiger wird. Meister Jeff Bezos hat eine Maschine gebaut, das Kindle, mit dem Bücher billiger werden und weiter verbreitet werden können. Finde ich gigantisch.

Wenn das so toll ist – warum zieht kein Etablierter mit?

Wenn man ein, zwei Jahre investiert hat, um ein Buch zu schreiben, und dann veröffentlichst du es online – da stellt sich ja die Frage, warum. Du hast nicht E-Book plus Holzbuch. Das heißt, du verkleinerst deinen Markt. Ist ja erst mal doof. Der einzige Grund, warum du es machen könntest, ist: Du verdienst mehr Geld. Tust du aber nur, wenn es abgeht wie eine Rakete. Insofern: Wie ich mir ja auch selbst sehr gut überlegen würde, ob ich jetzt noch zurückkehre in die E-Book-Schiene oder es nicht lieber über einen Verlag mache, weil einfach die Risiken etwas abgemilderter sind, genauso überlegen vielleicht die etablierten Autoren.

Das bedeutet: E-Books können eigentlich nur ein Sprungbrett sein.

Ich glaube, ja. Im Moment jedenfalls …