Tempo 30 scheitert an deutschen Gesetzen

NACHGEHAKT Nicht nur Kommunen, auch Landesministerien sehen Hürden in der Straßenverkehrsordnung

In der vergangenen Ausgabe der taz.am wochenende forderte Heike Aghte von der Bürgerinitiative „30 km/h – macht die Straßen lebenswert!“ eine EU-Richtlinie, die Tempo-30-Zonen zur Regel in Europas Städten macht.

Verbesserter Verkehrsfluss, geringere Lärm- und Abgasbelastung sowie mehr Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer würden die Lebensqualität steigern. Auch die deutsche Bundesregierung nimmt Aghte in die Pflicht. Kommunen sollten mehr Rechte bei der Ausschilderung von Tempo-30-Zonen erhalten, um den „Bittgängen von Bürgermeistern zu weit entfernten Ministerien und dem Zwang zu jahrelangen teuren Vorstudien für jede kleine Tempo-30-Zone“ ein Ende zu bereiten. Auf diese Äußerung reagierte Gisela Splett, Staatssekretärin für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg.

Splett macht auf die Vorgaben der Straßenverkehrsordnung aufmerksam, an die sich nicht nur Kommunen, sondern auch Landesregierungen zu halten hätten. In einer E-Mail an Aghte, die der taz vorliegt, differenziert Splett: „Die Problemstellung liegt nicht in erster Linie darin, dass Bürgermeister eine Landesbehörde um Erlaubnis bitten müssen. Vielmehr sind die durch die Straßenverkehrsordnung vorgegebenen Hürden so hoch, dass in vielen Fällen eine Tempo-30-Anordnung beim besten Willen nicht möglich ist.“

Nach Paragraf 45 der StVO ist dies auf klassifizierten Straßen wie Ortsdurchfahrten nur im Falle einer konkreten Gefahrenlage erlaubt. Zwar kann in Wohngebieten mit hohem Fußgänger- und Radverkehrsaufkommen die Beschränkung auf Tempo 30 für ganze Zonen gelten, für Durchfahrtsstraßen hingegen gilt die Gefahrenklausel. Die ist etwa bei Querungen in unmittelbarer Nähe von Schulen, bei sehr engen und unübersichtlichen Ortsdurchfahrten oder bei erhöhter Lärm- und Abgasbelastung erfüllt. Liegt eine entsprechende Gefahrenlage nicht vor, kann Tempo 30 auch nicht angeordnet werden.

Die deutschen Vorgaben sind besonders restriktiv. Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet die deutschen Gesetze zu Tempolimits in dem aktuellen Bericht zur Straßensicherheit als unflexibel. Nur Dänemark, Bulgarien und die Slowakei werden in Europa noch so eingestuft.

Heike Aghte hat gegenüber der taz eingeräumt, den eingeschränkten Handlungsspielraum von Landesbehörden durchaus anzuerkennen. Der Staatssekretärin Splett hat sie in einer Antwort-Mail angeboten, ihren Standpunkt auf der Website der Bürgerinitiative darzulegen. Schließlich unterstützt Splett, die auch Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung ist, die 30-km/h-Initiative. Letztlich hoffen beide auf eine EU-Richtlinie, die es deutschen Kommunen erlaubt, aus Vernunftsgründen Tempo 30 auszuschildern. RALF PAULI