Bremen zieht die Privatisierungsbremse

PIONIERE Leipziger haben es erfunden, Bremen schreibt als erstes Bundesland den Volksentscheid für große Privatisierungen in die Verfassung

VON KLAUS WOLSCHNER

Leipzig ging voran. Dort haben in dieser Woche die Aktiven von „Mehr Demokratie“ 25.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren „Privatisierungsbremse“ im SPD-regierten Rathaus abgegeben. In der kommenden Woche folgt Bremen: Eine scharfe Privatisierungsbremse soll in die Landesverfassung geschrieben werden – als Reaktion auf die Privatisierungen vergangener Jahre entwickelt sich ein neues Pflänzchen.

In Bremen sind die Stadtwerke verkauft, die Müllabfuhr, eine von zwei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften – der Senat der Hansestadt hatte in einer Phase der großen Koalition eine Reihe von Betrieben, die für die kommunale Daseinsvorsorge wichtig sind, privatisiert, um damit kurzfristig an Geld zu kommen.

Andreas Bovenschulte hat diese Phase der großen Koalition skeptisch begleitet, nun ist er als neuer Landesvorsitzender ein mächtiger Mann in der Bremer SPD. Als die „Schuldenbremse“ für den Staatshaushalt auf die Tagesordnung kam, hat er in den rot-grünen Koalitionsverhandlungen 2011 durchgesetzt, dass eine zweite Bremse dazukommt, die Privatisierungsbremse. Denn insbesondere unter dem Druck der Schuldenbremse, so der Zusammenhang, geraten Stadtregierungen in Versuchung, kommunales Tafelsilber zu verscherbeln.

Mit dem Antrag zur Änderung der Landesverfassung, der am kommenden Donnerstag mit SPD, Grünen und Linkspartei eine Zweidrittelmehrheit bekommen dürfte, legen die Parteien sich selbst Zurückhaltung auf: Die Abgeordneten der Bürgerschaft sollen in Zukunft Privatisierung beschließen dürfen, wenn es mit einer Zweidrittelmehrheit einen breiten Konsens gibt. Stimmt nur eine einfache Mehrheit dafür, dann muss es einen Volksentscheid geben. Auch im Falle einer Zweidrittelmehrheitkönnte eine Bürgerinitiative für einen Volksentscheid mobilisieren. Konkret, so steht es im Gesetz, soll es bei der „Bremse“ nicht um unwichtige Minderheitenbeteiligungen gehen, sondern um den Verkauf des beherrschenden Einflusses auf Unternehmen wie die Wohnungsbaugesellschaft Gewoba, die kommunalen Kliniken oder die bremische Hafengesellschaft BLG.

Die Bremer CDU, die in der großen Koalition die SPD in die Privatisierungen hineingetrieben hatte, lehnt erwartungsgemäß die „Privatisierungsbremse“ ab – „keine praktische Notwendigkeit“ gebe es dafür, heißt es in ihrem Votum, und: „Durch eine Privatisierungsbremse werden die Handlungsmöglichkeiten Bremens stark eingeschränkt.“ Mit der Forderung nach Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaft Gewoba hatten sich CDU-Wahlkämpfer allerdings mehrfach die Finger verbrannt. Die FDP war mit dieser Forderung unter die Fünfprozenthürde gesegelt.

Die Verankerung der Privatisierungsbremse in der Bremer Landesverfassung ist bundesweit einmalig, nicht einmal die „Staatssekretärin für Zivilgesellschaft“ in Baden-Württemberg hat im grün-rot regierten Ländle eine Debatte dazu in Gang setzen können. In Hamburg gab es 2011 ein Volksbegehren „Keine Privatisierung gegen den Bürgerwillen“, das aber scheiterte. In Berlin scheitert eine vergleichbare Initiative bisher daran, dass Klaus Wowereit mit der CDU zusammen regiert. Immerhin wurde, so freut sich Bovenschulte, in das Wahlprogramm der SPD für die Bundestagswahl 2013 „auf Bremer Initiative der Satz aufgenommen: Privatisierungen dürfen nicht gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger durchgeführt werden.“

In Leipzig hat das Stichwort „Privatisierungsbremse“ schon im Jahre 2008 für Schlagzeilen gesorgt. Dort ist, im Unterschied etwa zu Bremen, weder die Wasserversorgung noch die Müllentsorgung privatisiert worden. Gegen den Versuch, die gesamten Stadtwerke zur Sanierung des Stadtsäckels an Gaz de France zu verkaufen, regte sich 2008 ein breiter kommunaler Widerstand – SPD und CDU wurden durch Volksentscheid gebremst.

„April“, die „Anti-PRivatisierungs-Initiative Leipzig“, befürchtet inzwischen eine „Salamitaktik“, da zwei kleinere Datengesellschaften verkauft wurden. Nun soll über einen Bürgerentscheid erreicht werden, dass kommunale Privatisierungen nur mit einer Zweidrittelmehrheit des Stadtrats beschlossen werden können. Die Leipziger Grünen sind gespalten, ob sie das gut finden sollen – sie würden obligatorische Volksentscheide bevorzugen. Die Leipziger SPD-Fraktion ist gegen eine „Pauschallösung“, weil jeder Einzelfall anders gelagert sei. Eine „Privatisierungsbremse“ sei zudem „aktuell unnötig“, Begründung: „Knappe Verkaufsentscheidungen bei kommunalem Eigentum in der Art, wie sie in den letzten Jahren in Leipzig in Bezug auf strategisch wichtige kommunale Unternehmen diskutiert wurden, wird es mit unserer Fraktion nicht mehr geben.“ Das heißt aber nicht, dass die SPD ihre damalige Position zum Verkauf der Stadtwerke bereut: „Aus damaliger Sicht war diese Verkaufsentscheidung richtig“, betont der derzeitige Fraktionsvorsitzende Axel Dyck.

Bei der SPD gibt es allerdings – wie 2008 beim Bürgerentscheid – viele, die hohe Privatisierungshürden für notwendig halten und daher für „Mehr Demokratie“ sind.