Nicht vom Blendwerk verführen lassen

WORUM ES GEHT Von wegen, dass die Kanzlerin okaye Ideen im Programm hat – die FDP wird’s verhindern

Jahrgang 1968, kommt aus dem Rheinland und studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Berlin. Sie besuchte die Evangelische Journalistenschule und ist seit 1999 Redakteurin für Geschlechter- und Gesellschaftspolitik der taz. 2004 erschien ihr Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“.

VON HEIDE OESTREICH

Sie blendet. Ja, Angela Merkel blendet. Sie ist so erfrischend uckermärkisch bodenständig. Denkt so gründlich nach, bevor sie entscheidet. Sie rettet Europa. Und ist cool, Physikerin der Macht. Und dann ist sie ja inzwischen so weit nach links gerückt! Spricht von Mindestlohn und Mütterrenten, hat die Energiewende eingeleitet und will für uns eine auskömmliche Rente auch für Ärmere. Und bei alldem ist sie auch noch eine Frau! Zeigt, dass Frauen es auch können. Mutti sein und zugleich mindestens so eine Art Präsidentin. Von der Alice Schwarzer schwärmt. Die sich nach langem Zögern sogar eine echte Frauenquote für die Wirtschaft hat aufquatschen lassen. Allensbach erhob es gerade für die Emma: 65 Prozent der befragten Frauen würden Merkel wählen.

Mit Merkel bekommt man so eine Art in die CDU eingebaute SPD, diesen Eindruck hat sie meisterhaft geweckt und genährt. Eine SPD ohne den arroganten Steinbrück und das ganze mutlose Führungspersonal mit seit Jahren zuverlässig funktionierendem Selbstquälmechanismus. Die nach der Wahl dann ohnehin wieder nicht hält, was sie versprochen hat. Mehr noch, die Angst vor ihrem eigenen ambitionierten Programm hat. Steuern vielleicht doch lieber senken als erhöhen? Und wie um Himmels willen sollen wir nur unsere Bürgerversicherung einführen, gegen die Wand von Zeter und Mordio schreienden Ärzten und Versicherungen? Merkel hat es verstanden, sich als glaubwürdige Alternative zu inszenieren.

Nichts als Blendung. Wer Merkel wählt, weil sie ja gar nicht mehr wehtut und so nett ist, übersieht einen gravierenden Punkt: die FDP. Immer noch Wunschpartner der Union. Man nimmt diese Partei mittlerweile als kurioses Maskottchen wahr, das nur drei Sprüche krähen kann: Steuern senken, Risiken privatisieren und bloß nichts regulieren. Neulich schlug wieder ein FDPler als Konsequenz aus den Personalengpässen im Mainzer Bahnhof vor: Na? Was? Natürlich: die Bahn zu privatisieren.

Die Partei mit dem putzigen Personal. Übrigens bis auf ein, zwei Alibifrauen männlich. Deren Spitzenkandidat es nicht für nötig hält, sich für Sexismus zu entschuldigen. Sind ja ohnehin kaum Frauen unter den Wählern. Die Partei, die nur dank Leihstimmen von der Union wieder in den Bundestag einziehen könnte. In der Tat kann man diese Partei eigentlich nicht ernst nehmen. Aber man übersieht, dass die FDP die Regierung immer wieder zu Vollbremsungen gezwungen hat und zwingen wird.

Eine kleine Auswahl der Vorhaben, die die FDP ablehnt: Mietenbremse, Mindestlohn, Mütterrente, Frauenquote, Reichensteuer, Mindestrente, Ehegattensplitting abschaffen – gegen all das ist die FDP. Also quasi gegen alle innenpolitischen Projekte, die in der letzten Zeit diskutiert wurden. Diskutiert, aber nicht umgesetzt, weil die FDP dagegen war.

Exakt dasselbe blüht den verträumten Merkel-WählerInnen nach der Wahl. Ja, Schwarz-Rot wäre gar nicht so schlimm. Viele Übereinstimmungen, zwei eher linke Programme. Aber wer Merkel wählt, weil es ja sowieso egal ist, wer die linken Programme umsetzt, übersieht, dass es dafür andere CDU-WählerInnen geben wird, die Schwarz-Gelb wollen und deshalb ihre Stimme an die FDP verleihen. Damit rückt eine weitere Regierung mit Fipsi und Schnupsi von der FDP in den Bereich des Wahrscheinlichen.

Mit der tollen Kanzlerin wählen die Merkel-Fans den Stillstand. Weitere vier Jahre Nichtpolitik. Viel Spaß.