Pkw-Maut für alle!

DISKUSSION Für eine Straßenbenutzungsgebühr sprechen budget- und umweltpolitische Gründe

■ Jahrgang 1950, ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Sein letztes Buch: „Unter Piraten – Erkundungen in einer neuen politischen Arena“ (als Herausgeber zusammen mit Christoph Bieber, Transcript Verlag, Bielefeld 2012).

VON CLAUS LEGGEWIE

Der Aufreger des KanzlerInnenduells war, außer den Beamtenpensionen, die Straßenmaut. Das geht dem deutschen Volk an die Nieren und der Autokanzlerin sichtbar auch.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, sonst für jede Geisterfahrt gut und mit diesem europarechtlichen No-Go wieder rasant auf der falschen Spur unterwegs, hat im Kern recht: Eine Straßenbenutzungsgebühr ist richtig und wichtig. Über Details, Sozialverträglichkeit und Diskriminierungsfreiheit reden wir nach der Wahl. Aber klar ist, dass sie auch für Deutsche gelten muss und die Kfz-Steuer, die nach Hubraum unterscheidet, damit nicht überflüssig wird. Das wird Seehofer mit dem Zauberlehrling gemein haben – die Geister, die ich rief … Die Maut ist eine alle Benutzer von Autobahnen und Fernstraßen treffende Belastung, die genau nach Kilometern abrechnet. Und Dummheiten wie Dienstwagenprivileg und nur aufs Auto bezogene Pendlerpauschale gehören gleich mitabgeschafft. Und die Innenstadtmaut muss natürlich auch her.

Ob das tatsächlich Regierungsprogramm in Deutschland wird, erscheint unwahrscheinlich. Umso sinnvoller wäre es, im Wahlkampf Seehofers populistische Stimmungsmache in rationale Argumente umzuwandeln. Für die Maut sprechen budget- und umweltpolitische Gründe. Sie sind seit Jahren bekannt: Die Finanzierung der Straßeninfrastruktur ist aus normalen Haushaltsmitteln nicht mehr zu leisten. Mit der Maut kann man eine effizientere Nutzung der Straßen steuern und die motorisierte Teilnahme am Verkehr reduzieren, unterm Strich also die externen Kosten des individuellen Automobilverkehrs (Lärm, Emissionen, Unfallfolgen) endlich ansatzweise einrechnen.

Die Maut gibt auch der Energiewende einen Impuls und eine Richtung. Für die meisten beschränkt sie sich auf den Austausch karboner durch dekarbonisierte Infrastrukturen. Standardbeispiel ist wieder das Automobil, dessen Otto- oder Dieselmotor durch einen Elektromotor ersetzt werden soll, während man das generelle Mobilitätsmuster unverändert beibehält. Oder man saniert alte Häuser energetisch, ändert aber wenig am übrigen Strom- und Energieverbrauch und an der Raumordnung. Das führt unterm Strich zu einem lokalen und globalen Rebound-Effekt.

Wir stehen offenbar in der Pfadabhängigkeit einer – auch mentalen – Infrastruktur des Automobils. Ölproduzierende Länder wie Saudi-Arabien kennen den „Ressourcenfluch“: Rückständigkeit durch Reichtum. Der Fluch der OECD-Welt ist die zum großen Teil auf Pump errichtete Verkehrsinfrastruktur, deren Aufrechterhaltung und Erweiterung eben jene Milliarden und Billionen verschlingt, die für eine alternative Entwicklung wie eine Energie- und Verkehrswende, die diesen Namen verdient, womöglich nicht mehr bereitstehen.

Ein abschreckendes Beispiel ist der Zustand der Autobahnbrücken im Industrie- und Privatautoland Nordrhein-Westfalen. Straßen.NRW, ein Dienstleistungsunternehmen in der Landesverwaltung, meldete kürzlich, dass für 3,5 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren fast 400 Brücken in NRW saniert, verstärkt und teilweise neu gebaut werden müssen, um den ständig wachsenden Schwerlastverkehr tragen zu können.

Der Grund für den Reparaturstau liegt darin, dass das Gros der Brücken vor 30 und mehr Jahren gebaut, aber nicht auf die gigantische Zunahme des Schwerlast- und individuellen Personenverkehrs ausgerichtet wurde. Infrastrukturfluch nenne ich diese Pfadabhängigkeit von der Straßenbaupolitik der 1970er Jahre, die – mitten in der ersten Ölkrise und Weltwirtschaftsflaute und ungeachtet des Berichts des Club of Rome über die limits to growth – auf den Ausbau der individuellen Automobilität und des Lkw-Verkehrs setzte und nachfolgende Generationen damit zwingt, diesen Exzess weiter auszubauen, und zwar mit dem erwiesenermaßen falschen Argument, gegen Staus hülfe nur der weitere Streckenausbau. Jede Brückenreparatur, jede neu eingeweihte Autobahnmeile, jeder Zubau von Lkw-Parkplätzen auf den europäischen Transitstrecken prolongiert den Angriff der Vergangenheit auf die Zukunft. Und da bekanntlich jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, fehlen die Mittel für ein alternatives, intelligenteres Mobilitätskonzept.

Es geht nicht nur darum, dass wir eigentlich etwas anderes wollen, es aber nicht bezahlen können. Der wahre Fluch liegt in der mentalen Infrastruktur – wir schleppen lieber explodierende Kosten mit, als dass wir den Schalter umlegen und ein besseres Konzept verfolgen. Halb Europa hält Deutschland mit seiner Weigerung, ein Tempolimit und Straßenbenutzungsgebühren einzuführen, für wahnsinnig. Dagegen werden ganze Kohorten von Verkehrswissenschaftlern aufgeboten, ADAC und andere laufen Sturm. Wer das Thema auch nur kurz anspricht, wie Sigmar Gabriel, hat sich als Kanzler diskreditiert. Und die Grünen leiden bis heute unter ihrem Magdeburgtrauma, als sie auf einem Parteitag höhere Benzinpreise forderten (die Esso und Co. heute längst kassieren).

Das Auto ist unsere heilige Kuh, und alle Versuche, Mobilität in diesem Land umzustellen, zu verringern und intelligenter zu gestalten, unterliegen einem Tabu. Es wird Zeit, es zu brechen – am besten mit einem weiteren Tabubruch: So paradox es erscheint, könnte eine schwarz-grüne Koalition auch dieses Problem am ehesten anpacken.