Verlass ist wichtiger als Erlass

FORDERUNG Der Verkehr ist bedeutend für Klimaschutz und Energiesicherheit – daher müssen neue Konzepte her, bevor alte über Bord gehen

■ Politologe, arbeitet in der Forschungsgruppe EU-Integration der Stiftung Wissenschaft und Poltik unter anderem zur Energie- und Klimapolitik der EU. Die SWP ist die größte außenpolitische Forschungseinrichtung Europas und wird überwiegend von der Bundesregierung finanziert.

VON SEVERIN FISCHER
UND SYBILLE RÖHRKASTEN

Ob EEG-Reform oder Netzausbau, Atomausstieg oder Kohleförderung – die Energiedebatte konzentriert sich in Deutschland, so wie in den meisten europäischen Staaten, einseitig auf die Elektrizitätsversorgung. Zu Unrecht, denn immerhin knapp ein Drittel des europaweiten Energieverbrauchs fällt im Transportbereich an. Der Löwenanteil wird vom motorisierten Individual- und Güterverkehr konsumiert.

Mit Blick auf die vergangenen Jahre deuten die Trends im Gegensatz zum Stromsektor sogar auf einen steigenden Energieverbrauch und eine entsprechende Emissionsentwicklung hin. Dies ist nicht nur ein Problem für das Erreichen langfristiger Klimaschutzziele, sondern erhöht auch die einseitige Abhängigkeit vom Erdöl als dominantem Energieträger in diesem Sektor.

Anders als im Stromsektor fehlt in der Verkehrspolitik derzeit ein ähnlich stark ausgeprägter Gestaltungswille. Die einzige merkliche Veränderung wurde im Verlauf der letzten Jahre durch die Erhöhung des Anteils von Biokraftstoffen erreicht. Etwa 5 Prozent beträgt er heute. Mindestens 10 Prozent bis 2020 hatten die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten 2007 als politisches Ziel ausgegeben. Derzeit wird es in der EU wieder einmal kontrovers diskutiert. Umweltschutz- und Entwicklungsorganisationen fordern, die Förderpolitik zu beenden. Die EU-Kommission hat reagiert und will den Anteil bis 2020 bei 5 Prozent einfrieren.

Der Anbau von Nutzpflanzen zur Herstellung von Biokraftstoffen geht ohne Frage mit negativen Begleiterscheinungen einher. Nicht immer ist unter Einbeziehung aller (auch indirekten) Faktoren eine Nettominderung der Treibhausgasemissionen zu erzielen. Dabei sind die Auswirkungen monokultureller Landwirtschaft auf die Biodiversität noch gar nicht eingerechnet.

■ ist Volkswirtin und Politologin. Sie arbeitet in der Forschungsgruppe globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, unter anderem zu Erneuerbaren Energien und Klimapolitik.

Trotz der wachsenden Kritik an der Herstellung von Biokraftstoffen sollten wir uns allerdings immer wieder fragen: Legen wir die gleiche Messlatte auch an andere Energieträger an? Werden beispielsweise bei der Tiefseeölförderung die indirekten Effekte auf die nähere Umwelt in die Bewertung einbezogen? Oder die sozialen Folgen der Ölförderung in Entwicklungsländern?

Neben dem direkten Vergleich mit den Folgen der Förderung fossiler Rohstoffe gibt es mindestens noch zwei weitere Gründe, sich davor zu hüten, noch vor 2020 eine kurzfristige 180-Grad-Wendung in diesem Politikbereich einzuleiten.

Erstens würde die Verlässlichkeit politischer Entscheidungen erheblichen Schaden nehmen. Stellen wir uns vor, die EEG-Förderung eines Windparks würde schon nach fünf statt den zugesagten zwanzig Jahren plötzlich beendet. Dies hätte neben lautstarkem öffentlichem Protest vor allem zur Folge, dass niemand mehr langfristig in neue Technologien investiert. Verlässlichkeit ist in dieser Hinsicht ein hohes Gut, das insbesondere dann gilt, wenn quantifizierte Ziele für ein bestimmtes Jahr gesetzt wurden, wie im Fall der Erneuerbare-Energien-Quote im Verkehrssektor. Dies gilt im Übrigen nicht nur für den Biokraftstoffmarkt in der EU, sondern auch für die Beziehungen zu Entwicklungs- und Schwellenländern, die sich auf eine wachsende Nachfrage in Europa verlassen haben.

■ Was verhandelt die Große Koalition gerade abseits der finanziell unwichtigen Nebelkerze Pkw-Maut für Ausländer? Die SPD brach am Dienstag die Verhandlungen in der Arbeitsgruppe Verkehr ab, weil nach ihren Angaben die Union nicht über eine Ausweitung der Straßenbenutzungsgebühr für Lastwagen sprechen wollte. Der amtierende Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will über Themen wie „maritime Wirtschaft oder Elektromobilität“ diskutieren. Wohin die Masse des Etats gehen soll (etwa Sanieren der Altbestände oder Neubau), darüber gibt es keine schlüssigen Aussagen. Allein beim Bund beträgt der Gesamtetat Verkehr 26,4 Milliarden Euro für das Jahr 2013.

Zweitens muss die Frage nach den alternativen Ansätzen für strukturelle Reformen und ihrer Umsetzung im Verkehrssektor gestellt werden. Man kann die Biokraftstoffpolitik mit guten Gründen beenden. Aber: Wenn sich als direkte Folge daraus wieder eine steigende Nachfrage nach fossilen Kraftstoffen ergibt, so ist nichts gewonnen. Um dies zu verhindern, sollten die Entwicklung alternativer Strategien und deren Implementierung vor der Beendigung bestehender Politikansätze stehen.

Dazu können neue Grenzwerte für den Energieverbrauch von Fahrzeugen gehören. Auch Investitionen in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr sind notwendig, um von bestehenden Strukturen wegzukommen. Selbst eine Elektromobilitätsoffensive könnte ein Weg sein. Wichtig ist nur, dass sie auch vollzogen und nicht nur angekündigt wird.

Der Verkehrssektor verdient in der Energie- und Klimapolitik deutlich mehr Beachtung, als ihm bislang zuteil wurde. Bevor den Biokraftstoffen aber ein vorzeitiges Ende bereitet wird, sollte klar sein, was sie ersetzen soll. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen dürften dies fossile Antriebsstoffe sein. Dies käme einem Pyrrhussieg im Kampf für einen nachhaltigeren Verkehrssektor gleich.