„Nun zittert das Establishment“

UTOPIE Daniel Suarez hat in seinen Science-Fiction-Romanen prophezeit, was heute alle wissen: Die Überwachung im Netz ist total. Der Autor und Hacker hat sich ein neues Internet ausgedacht

■ Der Autor: Daniel Suarez hat als Programmierer gearbeitet und große Unternehmen in Sachen Cybersicherheit beraten. Sein Buch wollte anfangs niemand haben. Den Lektoren verschiedener Verlage gefiel der Technikthriller „Daemon“ nicht. Suarez verlegte ihn selbst, schickte ihn an Blogger – und wurde zum Bestsellerautor. Er ist ein Star der Netz-Community, weil seine Fiktionen bis in die Details fachkundig erzählt sind.

■ Das Buch: Als der Computerspiele-Tycoon Matthew Sobol stirbt, hinterlässt er ein Programm, das eine eigene Armee rekrutiert und einen Kampf gegen Konzerne und Geheimdienste beginnt. Das Programm heißt wie der Thriller selbst: „Daemon“. Es ist ein Algorithmus, der töten kann, indem er Menschen manipuliert. Ein Algorithmus, der Wissen über Menschen sammelt und sie damit zu Entscheidungen zwingt. Der Nachfolger – „Freedom (TM)“ – schildert, wie sich der Daemon schließlich gegen die Herrschaft der Konzerne und ihrer privaten Geheimdienste stellt.

INTERVIEW JOHANNES GERNERT
UND DANIEL SCHULZ

sonntaz: Herr Suarez, in Ihren Bestsellern ringen Geheimdienste und Hacker um die Kontrolle des Internets. Was Edward Snowden über die Macht der NSA enthüllt, scheint direkt aus Science-Fiction-Romanen wie den Ihren zu stammen. Überholt die Realität gerade die Fiktion?

Daniel Suarez: Vielleicht erfüllen sich da gerade einige Vorhersagen. Aber Science-Fiction ist für mich kein Entwurf von Zukunftsszenarien. Es geht darum, Umbrüche einer Gesellschaft zu erkunden. Als George Orwell „1984“ schrieb, war das seine Antwort auf den Aufstieg Stalins. Wenn Künstler an die Grenzen des Möglichen gehen, stoßen sie oft auf tiefere Wahrheiten.

Ihre Bücher haben sich in viele Länder verkauft und sollen verfilmt werden. Dabei zeigen sie recht düstere Aussichten einer überwachten und ferngesteuerten Gesellschaft. Warum will jemand so etwas lesen?

Gute Science-Fiction spiegelt immer, was gerade in einer Gesellschaft geschieht. Das Genre des Cyberpunk ist voller Zukunftsbilder, die eher düster sind: übermächtige Konzerne, geheime Organisationen, allgegenwärtige Überwachung. Manche Menschen mögen den Eindruck haben, wir seien schon in einem Polizeistaat 2.0 angekommen.

Und, sind wir das?

So weit sind wir glücklicherweise noch nicht. Die Enthüllungen Snowdens haben dazu geführt, dass wir jetzt über unsere überzentralisierten Kommunikationsnetzwerke nachdenken. Viele Menschen und Firmen speichern ihre Daten massenhaft auf zentralen Servern, die Firmen extra dafür bereit stellen. Das verleiht den Organisationen, die auf diese Informationen zugreifen können, unkontrollierte Macht.

Das klingt aber, als wären wir zumindest nah dran an Ihren Büchern.

Sicherlich holen gerade einige Firmen, in den USA und im Rest der Welt, ihre Daten aus der Wolke und bringen sie an sichere Speicherorte. Manche Länder versuchen, ihre eigene Datenpolitik zu entwickeln, um sich vor der Überwachung von außen zu schützen. Die Menschen haben verstanden, dass Überwachung zu etwas Alltäglichem geworden ist, und sie suchen nach Wegen, wie man sie umgehen kann.

Haben Sie Angst, dass Ihnen angesichts dieses harten Stoffs, den die Realität gerade liefert, die Geschichten ausgehen?

Mein Problem ist ein ganz anderes: Ich muss mich fragen, mit welcher meiner Ideen ich mich die kommenden ein bis zwei Jahre beschäftigen will. Und wie ich die NSA davon abhalte, das, was ich da mache, zu lesen, bevor es fertig ist.

In Ihren Thrillern entwickeln Computerprogramme ein Eigenleben. Als könnte die Maschine einmal den Menschen beherrschen.

In den USA hat fast jeder schon einmal nach dem Takt solcher Programme, der Algorithmen, getanzt. Wenn er zum Beispiel seinen Onlinelebenslauf so optimiert, dass er von Suchmaschinen im Internet besser gefunden wird, oder seinen Lebensstil ändert, um sein Kreditranking bei den Banken zu verbessern. Algorithmen sind eine engstirnige Form künstlicher Intelligenz. Sie können zwar auf das reagieren, was Menschen tun, aber nur innerhalb klar begrenzter Parameter. Die Menschen müssen sich also ihrem Willen beugen, nicht umgekehrt.

Hacker wirken heute fast wie Magier. Wie mächtig sind sie tatsächlich?

Einzelne Hacker können sehr viel Macht ausüben. Deshalb sind die Geheimdienste auch so darum bemüht, sie zu rekrutieren. Die Anreize dafür können ins fast Unermessliche gesteigert werden. Sie können in einer hohen Bezahlung bestehen, aber auch darin, dass jemand nicht für 50 Jahre ins Gefängnis muss. Schauen Sie sich nur mal an, wie viele Jahre Gefängnis darauf stehen, in ein Unternehmensnetzwerk einzubrechen. Und dann vergleichen Sie das mal mit einem Fall, wo jemand einen anderen mit einem Stahlrohr attackiert. Das zeigt ziemlich eindrucksvoll, wie das Establishment vor den Hackern zittert.

Männer wie der Wikileaks-Gründer Julian Assange oder der NSA-Aufklärer Edward Snowden sind zu Heldenfiguren geworden. So viel Hoffnung auf Einzelne zu projizieren, das hat doch etwas Vordemokratisches, oder?

Wenn Sie damit meinen, dass diese Konflikte jenseits der Wahlurnen ausgetragen werden, zwischen selbst ernannten Hütern der Demokratie und selbst ernannten, unsichtbaren Mächten – dann, ja, dann wirkt das undemokratisch. Wir sollten uns aber Gedanken darüber machen, ob es vordemokratisch ist oder postdemokratisch.

Was ist der Unterschied?

Es geht um die Frage, wie wir die Demokratie in unserer neuen, vernetzten Welt überleben lassen. Die aktuellen Netzwerkarchitekturen sind zentralisiert. Was auch immer man da über das demokratische Wesen des Internets erzählen mag, die meisten Leute haben einen Internetanschluss bei einer der großen Telekommunikationsfirmen. Alles läuft über Glasfaserkabel, die noch größeren Konglomeraten gehören. Widerstand in so einer Architektur abzuwürgen, ist überhaupt kein Problem.

Sie würden das gern ändern?

Diese Infrastruktur müsste neu geordnet werden – und zwar dezentralisiert. Als ein Netzwerk, das aus unzähligen benachbarten Knoten besteht, die die Verbindungen schaffen. Anders als im zentralisierten Internet unserer Tage könnte in so einem Netzwerk ein Knoten ausfallen, ohne dass es große Nachteile für die Weiterleitung von Informationen hätte. Dann würde einfach ein anderer Knoten die Aufgaben übernehmen. Diese wie ein engmaschiges Netz aufgebaute Infrastruktur sollte eine zivile sein. Sie sollte den Kommunen gehören. Das wäre weniger effizient, aber extrem widerstandsfähig gegen den Versuch, dort die Kontrolle zu übernehmen.

Verstehen wir Sie richtig: Sie wollen die großen Telekommunikationsfirmen zerschlagen?

Ich will überhaupt nichts zerschlagen. Wenn man etwas zum Positiven ändern will, muss man etwas Neues aufbauen und Beschränkungen umgehen. Es ginge also darum, die neuen Netzwerke Knoten für Knoten zu errichten. Man könnte das Geld dafür auf Crowdfunding-Plattformen sammeln. Die Regierungen dieser Erde müssten offene Netzwerke mit freier Software unterstützen, um demokratische Elemente gleich in die Struktur der Gesellschaft einzubauen.

Helden wie Snowden, die das digitale Böse bekämpfen und verehrt werden – eine bessere Werbung für ihre Bücher kann es gar nicht geben. Ihnen als Schriftsteller müsste das doch gefallen.

„Gute Science-Fiction spiegelt immer, was gerade in einer Gesellschaft passiert“

Mir gefällt das vor allem als freiheitlich denkender Bürger. Die Regierung sollte sich immer vor ihrem Volk verantworten müssen und möglichst wenige Geheimnisse vor ihren Bürgern haben. Andernfalls erwachsen daraus tief verwurzelte Interessen in Form bestimmter Institutionen wie der NSA. Deren Hauptaufgabe besteht fast von Beginn an darin, ihre eigene Existenz zu bewahren. Das gelingt im Schatten leichter als im Licht.

Aber die Hacker sind doch selbst nicht demokratisch legitimiert. Sie handeln auf eigene Faust.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir brauchen eine Regierung, die uns repräsentiert, das ist völlig legitim und notwendig. Eine demokratische Regierung herrscht aber nicht über uns, sie sollte mitten unter uns sein und den kollektiven Willen ihrer Bürger umsetzen. Damit das funktioniert, muss die politische Macht kontrolliert werden. Hacktivisten erfüllen einen Teil dieser Aufgabe. Ich hoffe, dass dieser Hacktivismus langfristig eine offiziellere Form annimmt und nicht nur von digitalen Bürgerwehren abhängt.

Erst diese Woche wurde wieder klar, dass die USA nicht einlenken wollen, ein No-Spy-Abkommen mit Deutschland wird es wohl nicht geben. Manche Hacker wie Jacob Appelbaum sind nach Berlin geflüchtet. Sind sie hier sicherer?

Der westliche Sicherheitsapparat ist ein globaler. Es gibt für Hacktivisten keinen sicheren Ort. Aber ironischerweise schützt digitale Dissidenten wie Appelbaum gerade die Tatsache am meisten, dass die NSA erwischt wurde. Nämlich dabei, dass sie Angela Merkels Smartphone abgehört hat. Die Vereinigten Staaten können sich nicht so gut darüber beschweren, dass jemand ihre Geheimnisse preisgibt, wenn sie zugleich jemand anderem die Geheimnisse stehlen.

Eines Ihrer Bücher heißt „Darknet“. Als Darknet wird auch der große Teil des Internets bezeichnet, den Google nicht anzeigt. Ein weniger kontrolliertes Netz, in dem man aber auch Drogen, Waffen, sogar einen Killer kaufen kann. Ein gefährlicher Ort?

Kriminelle nutzen ihn, das ist logisch; über die üblichen Kanäle können sie ja nicht kommunizieren. Das gilt auch für eine andere Gruppe: politische Dissidenten, die gegen die Autoritäten aufbegehren, legitime oder illegitime. Deswegen zeichnen viele Medien beide Gruppen mit demselben Pinsel. Tatsächlich sind solche Netzwerke natürlich wie Feuer. Man kann damit die Welt erleuchten oder sie verbrennen.

Müssen wir als Gesellschaft ein gefährlicheres Internet in Kauf nehmen, um die Freiheit zu bewahren?

Ja, das gehört dazu, wenn man ein freier, eigenverantwortlicher Bürger sein will. Es ist trotzdem so, dass vieles, was wir als Onlinegefahr wahrnehmen, wenig mit unseren Surfgewohnheiten zu tun hat, aber sehr viel mit der Art, wie große Konzerne das in seinem Kern unsichere Netz nutzen.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Es gibt nur einen einzigen Grund, warum die Industrieaufsicht der USA ihr System ans öffentliche Internet angeschlossen hat: um Geld zu sparen. Sie betreibt die Elektrizitätsnetze von einem zentralisierten Kontrollraum aus per Netzverbindung, denn so muss sie weniger Ingenieure einstellen. Gäbe es mehrere dezentralisierte Kontrollräume, müssten diese auch besetzt werden, und das kostet.

Dass Unternehmen Arbeitsplätze einsparen, ist nicht schön – aber was hat das mit der Freiheit des Internets zu tun?

Eine so zentrale Struktur birgt das Risiko, dass komplette Landstriche nach einem Cyberangriff ohne Strom sein könnten, denn es muss immer nur eine Stelle attackiert werden. Angesichts solcher Unvorsichtigkeit dürfte auch klar sein, warum die Gefahr einer Cyberattacke die Sicherheitsbehörden so alarmiert. Und wir Steuerzahler übernehmen die Kosten für diesen Irrsinn, indem wir die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste finanzieren, die mit ihren wachsenden Etats das Schlimmste verhindern sollen. Wir zahlen außerdem mit dem Verlust unserer persönlichen Freiheit. Die Unternehmen dagegen lagern das Risiko an uns aus. Sie senken die Kosten und gewinnen bares Geld.

Was müsste geändert werden? Was schlagen Sie vor?

Kritische Infrastruktur dürfte nicht über das öffentliche Internet betrieben werden, und die Energiekonzerne und Netzbetreiber müssten mehr Ingenieure vor Ort anstellen, die die Netze managen. Das erhöht die Widerstandsfähigkeit, senkt die Arbeitslosigkeit und nimmt den Sicherheitsbehörden ein paar Gründe, noch mehr Macht anzuhäufen. Das würde die Risiken eines Cyberangriffs deutlich senken.

Sie haben selbst als Experte für Cybersicherheit gearbeitet. Hinterlassen Konzerne oder Länder bei ihren Cyberattacken Spuren, die sie verraten?

Prozent mittlerer und großer Unternehmen in Deutschland wurden 2013 mehrmals pro Woche oder sogar täglich über das Internet attackiert Quelle: Cyber Security Report

Millionen Internetnutzer in Deutschland benutzen Software wie „Tor“, um anonym zu surfen. Das entspricht 13 Prozent der User

Quelle: Bitkom

Millionen der Internetanschlüsse in Deutschland sind DSL-Anschlüsse. 2013 betrieb die Telekom rund 12,4 Millionen davon Quelle: Bundesnetzagentur

Menschen in Deutschland arbeiten in der IT- und Telekommunikationsbranche Quelle: Bitkom

Cyberangriffe sind deswegen so beliebt, weil man sie so schwer zurückverfolgen kann. Dennoch gibt es Spuren, die auf die Nationalität ihrer Urheber schließen lassen. Natürlich müssen die Urheber nicht diejenigen sein, die diese Werkzeuge einsetzen. Oder die Hinweise sind bewusst gefälscht. Oder die Angriffe erfolgen über gekaperte Computer, deren Benutzer gar nicht wissen, was ihre Rechner da gerade tun.

Wie entdeckt man solche Spuren?

Das ist extrem schwierig und teuer. Man muss den Datenverkehr über verschiedene Länder mit unterschiedlichen Rechtsprechungen hinweg verfolgen, um am Ende vielleicht nur bei den eben erwähnten gekaperten Computern zu landen. Der Vorteil im Cyberwar liegt zurzeit definitiv aufseiten der Angreifer, nicht der Verteidiger. Riesige Datenmengen werden täglich geklaut, in den Nachrichten sehen wir nur die Spitze des Eisbergs.

Wir haben über die Ideen des Science-Fiction-Genres Cyberpunk gesprochen. Dazu gehört auch die Vorstellung immer mächtigerer Konzerne mit eigenen Armeen und Hoheitsgebieten. Glauben Sie wirklich, dass das so kommen wird, oder verkauft sich das nur gut an die Linken, die doch so gern an die Apokalypse glauben?

In weiten Teilen der Welt ist Privatisierung die Regel. Du genießt die Freiheit, die du dir leisten kannst. In den USA ist das natürlich weniger offensichtlich. Die Übernahme wird durch Lobbyisten und Rechtsstreite vorangetrieben. Gesetze werden von Firmenanwälten verfasst, Unternehmen profitieren. Sehen Sie sich die private Gefängnisindustrie an, die in den USA wächst. Oder die privaten Nachrichtendienste, die die Interessen multinationaler Klienten vertreten. Oder die Banker, von denen viele reicher sind als die Regierungen, die sie zähmen sollen. Der ehemalige griechische Premier George Papandreou hat es so ausgedrückt: Big Business ist global. Demokratie – noch – nicht.

Heute müssen Facebook und Google mit der NSA kooperieren. Wird es irgendwann andersherum sein?

Ich freue mich jedenfalls auf keines der Szenarien.

Die düstere Vorstellung von einer Zukunft, in der Firmen mächtiger sind als Staaten, stammt aus den 80er Jahren. Aber gerade ist es doch die staatliche Macht der NSA, die überwältigend wirkt.

Nein. Wirtschaft und Staat kooperieren eng. Seit den Anschlägen vom 11. September sind 70 Prozent der Aufgaben der NSA outgesourct worden. Für welche Firma hat Edward Snowden noch mal gearbeitet? Erinnern Sie sich?

Johannes Gernert, 33, ist

sonntaz-Redakteur ■ Daniel Schulz, 34, leitet das

Ressort taz zwei/Medien