Wenn du willst, bleibe ich bei dir

DRÜBEN Im Osten verehrt, im Westen unbekannt – für den DDR-Schlagerstar Frank Schöbel hat der Fall der Mauer wenig geändert. Seine Auftritte führen in eine Wirklichkeit, in der Deutschland noch ein geteiltes Land ist

AUS FRANKFURT (ODER), BERLIN UND MAGDEBURG GABRIELA M. KELLER

Der Star des Tages ist in einem weinroten Kombi gekommen, hat hinter dem Festzelt geparkt und einen Hartschalenkoffer aus dem Wagen gehievt. Seine blond gesträhnten Puttenlocken wippen im Takt seiner Schritte. Ein lauer Wind schraffiert die Elbe, er riecht nach Bratwurst. Die Wohnungsbaugenossenschaft Magdeburg-Stadtfeld feiert 60. Geburtstag. Frank Schöbel ist der Hauptact des Programms.

Er stellt seinen Koffer ab und tritt vor den mit weißer Folie verhängten Bauzaun, der ihn vom Strom der Besucher auf der Promenade trennt. Er späht durch einen Spalt zwischen den Planen, lächelt und winkt. „Guck mal. Die beiden Mädels.“ Auf der anderen Seite stützen sich zwei alte Frauen, Gesichter wie Walnüsse, die grauen Haare zu Zöpfen geflochten, auf ihre Fahrräder. Auch sie lächeln, winken. Schöbel freut sich über solche Momente. Wenn die Liebe seines Publikums noch da ist, ist auch er noch da.

Mädchen, ich lieb’ dich. /

Du machst mich glücklich. /

Heut’ scheint die Sonne heller, mh-mh-mh /

Sieh nur dein Lächeln,

Und augenblicklich /

Dreht sich die Erde schneller, ah-ah-ah.

(„Wie ein Stern“, 1971)

Frank Schöbel wird bald 72, wirkt aber deutlich jünger. Er setzt sich an den Klapptisch im Garderobenpavillon, stellt einen Stapel Autogrammkarten vor sich und schreibt seinen Namen unter sein Porträt, hinter dem ein violetter Sternhimmel glimmt. Er hält kurz inne, schaut über das Gestänge des engen Zelts und sagt: „Das ist ’n bisschen einfacher hier. Aber so ist das Leben.“

Frank Schöbel, der wohl größte Schlagerstar der DDR, hat sich fast an seinen Alltag in der vereinten Bundesrepublik gewöhnt. 25 Jahre sind seit dem Fall der Mauer vergangen. Doch wer den Sänger eine Weile begleitet, erlebt eine Wirklichkeit, in der Deutschland noch ein geteiltes Land ist: Der Westen existiert quasi nicht für ihn, und er nicht für den Westen. „Das ist nicht meine Schuld“, sagt er, „in der Musik hat die Einheit nicht stattgefunden. Es ist, als ob es einen Plan gäbe: Lasst die Ost-Musiker mal alle wegsterben.“

Im Osten aber ist er noch ein Star. Im Winter geht er mit seinem Album „Weihnachten in Familie“ auf Tour, das 1985 erschien, das erfolgreichste in der Geschichte der DDR. Dann singt er in ausverkauften Stadthallen und Theatern. Im Sommer arbeitet er sich an Autohäusern und Einkaufszentren an den Rändern der ostdeutschen Städte ab. Für viele Schlagerstars, mit deren Karriere es abwärts geht, sind solche Orte das Einzige, was ihnen bleibt. Bei ihm ist es anders: Ihm ist ja nicht nur die Zeit der großen Hits abhanden gekommen, sondern auch der Staat, in dem er eine Bühne dafür hatte.

Denn ich kenne dich aus Sternenzeiten, /

Liebe dich und will dich stets begleiten, /

Wenn du willst, dann bleibe ich bei dir, nur bei dir.

(„Sternenzeiten“, 2014)

Vor dem Kuchenstand am Ufer hat sich eine lange Schlage gebildet. Aus dem Festzelt dringt die Melodie des 50er-Jahre-Ohrwurms „Marina“, aber statt „Marina, Marina“ singt eine schrille Frauenstimme: „Klaus-Dieter, Klaus-Dieter.“ Schöbel muss wissen, dass Auftritte wie dieser von vielen belächelt werden. Aber wenn man ihn fragt, wie er damit umgeht, wirkt er unsicher. „Hier kommen Leute hin, die kein Geld haben. Muss man sich dafür entschuldigen?“ Dann lässt er seinen Koffer aufschnacken, packt eine Used-Denim-Jeans aus, ein Mikrofon und einen Kulturbeutel. Vor dem Spiegel in der Ecke des Pavillons streicht er sich Puder ins Gesicht.

An der Rückwand des Festzelts steht ein schmaler Mann im Anzug; er arbeitet für die Agentur, die das Fest organisiert hat. Er taxiert die beleuchtete Bühne, die Bänke, Männer, die sich an Gehstöcken festhalten, Frauen mit steifen Dauerwellen, die sich von jüngeren Begleitern am Arm durch das Gedränge lotsen lassen. Warum er Schöbel eingeladen hat? „Wir haben eine bestimmte Zielgruppe. Das ist ja unschwer zu erkennen.“

Der Sänger schlendert draußen auf und ab. Die Frage von vorhin geht ihm noch im Kopf herum. „Früher fanden solche Veranstalten in den Kulturhäusern statt“, sagt er. Nach der Wende aber lösten sich die kulturellen Strukturen im Osten auf, vor allem in der Provinz. Schöbel muss nun an Kurt Hager denken, einen führenden SED-Funktionär. „Wir wollen die magere Kulturlandschaft der Bundesrepublik nicht durch unsere Künstler aufwerten“ – so hatte Hager die Westreiseverbote für DDR-Künstler begründet. Schöbel deutet durch den Spalt im Zaun, über den Fluss, die blassen Gebäuderiegel dahinter und sagt: „Das ist die magere Kulturlandschaft der BRD. Aber egal.“ Für Schöbel manifestiert sich das vereinte Deutschland in der Lethargie des Magdeburger Vorortes. Es geht weniger um den Staat selbst, als vielmehr um die Idee, die er sich davon gemacht hat.

Looky looky mach’ ich Tag und Nacht, /

Wenn ich schöne Frauen seh’. /

Looky looky hat oft Glück gebracht, eje. /

Looky looky mach’ ich immerzu. („Looky Looky“, 1964)

Frank Schöbel ist ein fester Teil der kollektiven Erinnerung Ostdeutschlands. Die Alten haben zu Hits wie „Looky Looky“ oder „Party Twist“ in der Disko getanzt; die Jüngeren im Vorschulalter seine Kinderplatte „Komm, wir malen eine Sonne“ gehört. In den 60ern trat er mit seiner damaligen Frau Chris Doerk auf. Sie galten als Traumpaar des realen Sozialismus. Wie sie da auf der Bühne standen, sie im Minikleid, er in Schlaghosen, so unbeschwert und ausgelassen, dass man die Enge der DDR einen Moment lang vergessen konnte. Auch nach ihrer Trennung ging es für ihn weiter aufwärts. Als erster DDR-Star durfte er im Westfernsehen auftreten.

Eine Woche vor dem Auftritt in Magdeburg hastet Frank Schöbel über die Karl-Marx-Allee in Berlin. Die Straße wurde in den 50ern als Prachtboulevard im sowjetrussischen Stil erbaut. Der Verkehr donnert auf sechs Spuren vorbei, rechts und links Monumente der Macht aus Rohbeton, gekachelte Plattenbauten, die an der Fahrbahn liegen wie aufgelaufene Containerschiffe.

Schöbel betritt das Café Alberts, das zu DDR-Zeiten ein beliebter Jugendtreff war. Er lebt in Berlin-Marzahn, den Treffpunkt hat er gewählt. Er setzt sich, streift die Lederjacke ab und bestellt Ingwertee. Er kriegt dieser Tage wieder viele Interview-Anfragen; die meisten lehnt er ab. Es ärgert ihn, das periodisch anschwellende Interesse an ihm vor den Jahrestagen der Einheit, mehr noch: „Das kränkt mich. Plötzlich erinnern die sich: Hey, da können wir ja mal ’nen Ossi fragen, wie es damals war.“

Schöbel ist ein freundlicher, bescheidener Mann. Aber wenn er über die Art spricht, wie die Medien mit ihm umgehen, schwingt Bitternis mit. In den Fernsehshows mit den Hits der 60er und 70er Jahre kommt er fast nie vor. Ganz so, als hätte es in der DDR keine Musik gegeben.

Schöbel hat in der DDR nicht aufbegehrt, aber er hat einen gewissen Abstand gewahrt. Er ließ sich nichts Ideologisches in seine Texte schieben, und wenn er auf einer Feier singen sollte, die ihm zu politisch war, meldete er sich krank. Schöbel versuchte, sich zu arrangieren, nicht anzuecken. Der Druck war immer dabei. Nachts lag er oft wach, knirschte mit den Zähnen, fragte sich: „Warum sind die so bescheuert?“

Mitte der 60er Jahre trieb Walter Ulbricht eine Kampagne gegen Anglizismen voran. Schöbels Hits wurden zwei, drei Jahre lang nirgends mehr gespielt, nicht „Looky Looky“ und nicht „Baby, du bist okay“. Sein Blick treibt schräg durch die Glasfront des Cafés, verliert sich zwischen den kantigen Nutzbauten. „Heute“, sagt er wie zu sich selbst, „könnten wir den Ulbricht manchmal gebrauchen.“ Das ist noch so ein Punkt, über den er sich aufregen kann, dass er im Radio nur noch englischsprachige Lieder hört. Er nimmt die Honigportion von seiner Untertasse, löffelt das Päckchen aus und sagt zwischen zwei Schlucken: „Aber dadurch kommen die Leute zu meinen Konzerten. Um die Lieder zu hören, die sie sonst vermissen.“

Mit großer Disziplin bringt Schöbel seine Laufbahn zu Ende. Er arbeitet wie ein Dienstleister, der den Leuten den Service bietet, den sie sich vorgestellt haben. Wenn man ihn fragt, warum er noch weitermacht, guckt er pikiert. Er macht den Job ja gerne, trotz allem. Zudem gibt es Leute, die auf ihn zählen: Die Fans, die seine Musik hören wollen. Und die Musiker, die ihn seit 20, 30 Jahren begleiten und auf die Auftritte angewiesen sind. Aber die Welt hat sich verändert. Früher wurde ihm ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit geschenkt. Heute muss er dafür arbeiten, dass ihm ein Rest von Aufmerksamkeit erhalten bleibt. Doch er hadert nicht. Er hat sich eine Nische geschaffen, in der er sich wohlfühlt. Ein Journalist hat ihn neulich gefragt, was wäre, wenn es die deutsche Einheit nicht gegeben hätte; da antwortete er: Es wäre für ihn nicht anders als jetzt. Er lächelt, ein bisschen keck, weil er weiß, dass der Reporter eine andere Antwort wollte. Und so ganz stimmt es ja auch nicht. Er kann jetzt reisen, der Kaffee schmeckt besser, und er muss nachts nicht mehr mit den Zähnen knirschen.

Wir brauchen keine Lügen mehr. /

Ohne Angst vor dem Verrat /

Vertraun wir zwei uns an, /

Und wir geben uns völlig frei. („Wir brauchen keine Lügen mehr“, 1989)

Freitag, Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober. Grau und teigig wie Leberwurst hängen die Wolken über dem Bahnhof Frankfurt (Oder). Der Bus in Richtung Nordwesten ist an diesem Tag drangvoll, vor allem mit älteren Menschen. Sie alle wollen ins Spitzkrug-Multicenter, einer Mall, die ihren 21. Geburtstag feiert. Schöbel wird gegen 15 Uhr auftreten. Eine Rentnerin sagt: „Ich hatte als Teenager so ’ne Wand, voll mit Bildern von Frank Schöbel. Das war meine Jugend.“

Der Bus müht sich über leere Ausfallstraßen voran; die Mall ragt aus der Asphaltsteppe eines Gewerbegebiets auf. Zwischen Kaufland und Nanu Nana ist eine Bühne aufgebaut. Eine gute Stunde, ehe es losgeht, stehen die ersten schon da. Eine Frau mit goldener Brille und Anorak sagt: „Frank Schöbel ist Ostbürger geblieben, wie wir auch. Er ist nicht so arrogant wie die aus dem Westen.“ Vor ihr sitzt eine Greisin auf ihrem Rollator, die knotigen Finger im Schoß gefaltet. „Es ist seine Natürlichkeit!“, ruft sie, „seine Ehrlichkeit! Die im Westen glauben ja Wunder, was sie wären!“

Ringsum Sonderangebote in den Schaufenstern, Menschen, die sich mit vollen Tüten ihren Weg durch die Schöbel-Fans bahnen. Auch einige junge Leute sind da, ganz vorne eine Frau Anfang 20. Dunkle Haare liegen glatt um ihr rundes, blasses Gesicht. Sie ist wegen einer psychischen Krankheit in Behandlung, durfte aber die Klinik verlassen, um den Auftritt zu sehen. Schöbels Musik gibt ihr Lebensmut, sagt sie: „Dass er so offen seine Gefühle äußert. Das lernen wir ja auch in der Klinik.“

Steh auf und leb dein Leben, /

Denk nicht dran aufzugeben. /

Jetzt ist die Zeit um stark zu sein. („Steh auf und leb dein Leben“, 2008)

Links haben sich zwei Frauen aus dem Schöbel-Fanclub aufgestellt. Bettina Müller, 50 Jahre, trägt ein Polohemd mit der Aufschrift: „Bettina grüßt Frank“. Sie ist bei fast jedem Auftritt Schöbels dabei. „Er ist ein Stück meines Lebens.“ Sie sagt, dass es für sie eine Rolle spielt, dass der Sänger aus dem Osten stammt. „Wir sind eine Gemeinschaft. Es sind ja damals so viele Künstler abgehauen. Aber der Frank ist bei seinem Publikum geblieben.“

Dann spurtet Schöbel auf die Bühne. Mehrere Hundert Leute haben sich vor ihm versammelt. Es dauert nur einen Augenblick, dann sind alle versunken in der Musik. Manche singen jedes Wort mit, andere lauschen still, ein Lächeln im Gesicht. Das ist das Wundersame an Schöbel: Er kann eine Erinnerung in ein tiefes Gefühl verwandeln, das ihn und die Leute vereint. Man könnte Geborgenheit dazu sagen. Schöbel schäkert und strahlt: „Wir gehn jetzt zurück in die 60er Jahre.“ Er zwinkert einer Rentnerin zu: „Mädchen, weißte noch, unsere Zeit damals.“

Schöbel singt nur die Stücke, von denen er weiß, dass sie gut ankommen. Die Vorlieben seiner Fans sind die Orientierungsmarke, an der er sich ausrichtet. Sein Programm umfasst die größten Hits von früher, durchsetzt mit neueren Stücken. Mit den koketten Schwerenötereien der 60er und 70er haben die aktuellen Titel nicht mehr viel zu tun. Seine Lieder spiegeln jetzt oft die Belange ältere Menschen, meist auf eine heitere, leichte Art.

Hast du deine Tabletten genomm’ /

Hör ich drei Mal am Tag. /

Hast du meine Brille geseh’n /

Die noch eben hier lag?

(„Hast du deine Tabletten genommen“, 2014)

Die Texte mögen schlicht klingen, aber Schöbel trifft damit einen Ton, in dem die Leute sich angesprochen fühlen, ob es um die verwirrende Menge der unterschiedlichen Bio-Siegel geht oder um die Nähe, die bleibt, wenn man sich nach vielen Ehejahren scheiden lässt. Er selbst sagt, dass es ihm immer nur darum ging, den Leuten Freude zu bereiten. Auch deswegen beantwortete er die Fanpost selbst. Einmal hat ihm ein Obdachloser von seinem Leben erzählt; daraus entstand das Lied „Weihnachten allein“. Aber das singt er nicht mehr. Das Publikum mochte es nicht; es ist zu traurig. „Die Leute kommen ja zu meinen Konzerten, um aufgemuntert zu werden“, sagt Schöbel. „Heruntergezogen werden sie genug.“

Nach seinem Auftritt beim Jubiläumsfest der Wohnungsbaugenossenschaft in Magdeburg zupft Frank Schöbel kurz seine Locken zurecht, dann trägt er die Autogrammkarten in einer gelben Postkiste zu einem Stehtisch. Sofort umringt ihn eine Traube von Leuten. „Für Gitti“, schreibt Schöbel. „Für Jürgen und Jeanette.“ Schöbel posiert für Fotos, sagt „alles Gute“, tätschelt Schultern rechts und links.

Er wirkt nun etwas abgespannt. Sein Gesicht ist gerötet, Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Schöbel will gemocht werden, und wie viele Menschen, die gemocht werden wollen, reibt er sich auf. Ihm ist anzumerken, dass ihn all der Trubel inzwischen Kraft kostet. Trotzdem tut er, was er für seine Aufgabe hält: Er gibt den Leute das, wofür sie hier sind, ein Autogramm, ein Selfie mit ihm, ein paar warme Worte. Erst, als jeder versorgt ist und die Menge sich aufgelöst hat, macht er sich auf den Heimweg.