Eine Botschafterin der Liebe

EUROVISION Tom Neuwirth alias Conchita Wurst singt nicht nur ein tolles Lied, sondern verkündet auch eine übergreifende Botschaft des Friedens und der Freiheit. Gratulation

AUS KOPENHAGEN JAN FEDDERSEN

Simpel und verstehbar lässt sich dieses Resultat erklären: Conchita Wurst aus Österreich, aufgewachsen in einem Dorf namens Bad Mitterndorf im Salzkammergut, gewinnt den 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen, weil der ESC, wie das eurovisionäre Popfestival kürzelhaft genannt wird, ein schwules Event sei – und eine Dragqueen es allen mal tüchtig besorgt hat. Mit ihrem, nachgerade in eigener Sache „Rise Like A Phoenix“ betitelten Song setzte sie, die ein schwuler Mann ist und Tom Neuwirth heißt, ein Zeichen für „Toleranz und Respekt“. Ein Fanal beinah, um dem homophoben Teil (Ost-) Europa zu zeigen, wie eine Botschaft der Liebe und eine Mission für bunte Vielfalt und gutes Miteinander in Europa aussieht.

Stimmt ja auch alles. Conchita Wurst, im Herbst vom österreichischen Fernsehen ORF intern nominiert und seither selbst Hassbekundungen aus dem sogenannten Volk ausgesetzt, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie ihre Mission ESC als politisch, als Kampfansage und als Symbol für das Andere schlechthin versteht. Kein Interview gab sie – und schon gar nicht in Kopenhagen –, in dem sie nicht darauf verwies, Kleider seien das eine, eine Message verbreiten zu wollen das andere. Zweiteres wollte sie. Allerdings nicht ohne den Zusatz, dass selbst ein tolles Ergebnis beim ESC sie nicht ans Ende ihres Weges bringen werde: „Am Ende meines Tunnels bekomme ich einen Grammy.“ So werde Licht. Eine Fummeltrine, die als Mann das Tragen von üblicherweise Frauen zuerkannten Textilien als privat ausgibt, ist sie keineswegs.

Mit anderen Worten: Mit Conchita Wurst gewann eine fleißige, beinhart ehrgeizige, hoch konzentriert und detailbesessen arbeitende Künstlerin – die, bei aller Nonchalance, akkurat nichts falsch zu machen versucht. Eine Perfektionistin. Gleichwohl: Ein Lied im James-Bond-Style, als sei er für Sheena Easton, Shirley Bassey oder Adele komponiert, zu singen, kann peinlich werden, wenn eben irgendetwas schiefgeht bei der Performance. Die Töne müssen sitzen, das Pathos darf nie überhitzt wirken – und in Kopenhagen war besonders darauf zu achten, dass sie sich bei der Performance nicht vom Fleck rührt, nur umschmeichelt von einem Lichtdom in Rot, den man gut als Antithese zur Kälte Leni Riefenstahls hat lesen können.

Und das tat sie: Alles saß hauteng, passend, luftig, dramatisch, angemessen – und, ja, sich selbst genießend. Der ESC war wieder einmal wie Fußball: Alle Theorie ist grau, sobald angepfiffen ist. Was zählt, ist aufm Platz. Conchita Wurst war die Beste in performativer Hinsicht.

Dementiert wurde an diesem Abend – den die 12.000 Menschen in der B&W-Halle frenetisch mit Applaus (für die allermeisten), Buhs und Pfiffe (für Russlands Wertungsdurchsagerin – und unhöflicherweise auch für die Tolmatschewi-Schwestern, die ziemlich okay waren und doch wie Putin behandelt wurden) – auch die These, die Darbietung einer Dragqueen werde im westlichen Europa goutiert, nicht jedoch im homophoben Osten des Kontinents. War aber nicht so. Im Gegenteil: Die Österreicherin bekam sogar fünf Punkte aus Russland, viele andere aus anderen Ländern, die einst hinter dem Eisernen Vorhang lagen. Auffällig war bei den Punktezuteilungen, dass überall dort, wo die Siegerin gut wegkam, auch die Zweitplatzierten, die Niederländer von The Common Linnets, belohnt wurden. Dem Osten missfiel nicht die Wurst oder die Post-Country-Indie-Schmuser aus Holland, er bevorzugt vielmehr langbeinige oder offenes Dekolleté tragende Chanteusen, etwa aus der Ukraine oder aus Polen.

Conchita Wurst war am Ende nicht die vor Selbstverliebtheit strotzende Königin des Abends; eher, wie es der österreichische LGBTI-Aktivist Mario Lackner postete, ein „massenphänomenaler, postmoderner Messias“. Sie selbst, die Mascara-Ströme aus den Augen von den Wangen schon wieder weggeschwämmt, sagte nur freundlich: „Thank you, thank you.“ Und: „We are unstoppable.“ Später ergänzte sie, irrig sei, sie verwende sich lediglich für die „Gay Community“. Sie streite überhaupt für Menschenrechte und kämpfe gegen deren Missachtung. Gegen sie nahm sich selbst Dana International 1998 in Birmingham flamboyanter aus.

Mag sein, dass viele, die queere Figuren hassen, den ESC gar nicht erst geschaut haben – in der ARD waren dies sehr viele, nämlich fast 9 Millionen Menschen. Wenn es aber überhaupt um Zeichen, um die Kraft von Symbolen geht, müsste man sagen: Das libertäre Europa hat sich durchgesetzt, immer hatte es dies offenbar auch wollen – dessen Kandidatin musste nur eine perfekte Show liefern. Das hat sie getan. 48 Jahre nach dem bekennenden Heterosexuellen Udo Jürgens hat Österreich es nun geschafft, sich von dessen „Merci Chérie“-Mehltau zu befreien.

Conchita Wurst wird wissen: Das war jetzt nur der nächste Schritt. Bis zum Grammy ist es immer noch ziemlich weit. Für was auch immer.

Elaiza aus Deutschland hatten beim Grand Final den besten Auftritt ihrer Kopenhagener Tage. Sie wurden 18. Nur. Sie waren bestimmt traurig. Müssen sie nicht. Wer vor 120 Millionen Zuschauern aufgetreten ist, kann, zumal als Nachwuchs im Pop, nicht gebrochen sein. Sie können noch viel vor sich haben.

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